Zuwanderungsjargon in der Kritik
„Sozialtourismus“ ist Unwort des Jahres 2013
Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „Sozialtourismus“ zum Unwort des Jahres 2013 gewählt. Mit diesem Begriff sei gezielt Stimmung gegen Einwanderer gemacht worden. Damit wählt die Jury bereits zum sechsten Mal ein im Kontext von Ausländern stehenden Begriff zum Unwort.
Mittwoch, 15.01.2014, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.01.2022, 15:10 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Sozialtourismus wurde von Sprachwissenschaftlern zum Unwort des Jahres 2013 gewählt. Aus über 700 verschiedenen Vorschlägen und 1300 Einsendungen wurde der Begriff von der sprachkritischen Jury ausgewählt. Als weitere Favoriten galt unter anderem Armutseinwanderung bzw. -zuwanderung.
Als Begründung für die Wahl zum Unwort des Jahres führte die Jury die Diskussion um erwünschte und nicht erwünschte Zuwanderung nach Deutschland im vergangenen Jahr an. „In diesem Zusammenhang wurde von einigen Politikern und Medien mit dem Ausdruck Sozialtourismus gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht“, so die Jury.
Böswillige Unterstellung
Das Grundwort „Tourismus“ suggeriere hierbei in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit. Das Bestimmungswort „Sozial“ wiederum reduziere die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren. „Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu“, so die Sprachwissenschaftler weiter.
Der Ausdruck „Sozialtourismus“ reihe sich dabei in ein Netz weiterer Unwörter ein, die zusammen dazu dienen, diese Stimmung zu befördern: „Armutszuwanderung“ etwa werde im Sinne von Einwanderung in die Sozialsysteme ursprünglich diffamierend und nun zunehmend undifferenziert als vermeintlich sachlich-neutraler Ausdruck verwendet. Mit „Freizügigkeitsmissbrauch“ werde denjenigen, die in der EU jetzt auch garantierte Freizügigkeit nutzen, ein kriminelles Verhalten unterstellt. „Der Ausdruck Sozialtourismus treibt die Unterstellung einer böswilligen Absicht jedoch auf die Spitze“, so die abschließende Bewertung der Jury.
Ausdruck des Zeitgeistes
Mit dieser Wahl hat die Jury bereits zum sechsten Mal seit dem ersten Unwort vor 23 Jahren ein im Kontext von Ausländern stehenden Begriff gewählt. Den Auftakt machte „Ausländerfrei“ im Jahre 1991. Der Begriff hatte als fremdenfeindliche Parole in Hoyerswerda die Runde gemacht. Nur zwei Jahre (1993) später wurde von der Jury „Überfremdung“ zum Unwort des Jahres gewählt, weil es als Scheinargument gegen den Zuzug von Ausländern benutzt wurde. Im Jahre 2000 schaffte „National befreite Zone“ zum Unwort des Jahres, 2006 die „Freiwillige Ausreise“ von Ausländern, weil in den meisten Fällen von Freiwilligkeit nicht die Rede sein konnte. „Döner Morde“ wurde nach dem Bekanntwerden der NSU im Jahre 2011 zum Unwort des Jahres gewählt.
Nur knapp verpasste im Jahr 1992 der Begriff „Beileidstourismus“ die Wahl zum Unwort des Jahres. Mit diesem Begriff hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die Solingen-Besuche anderer Politiker nach dem Brandanschlag umschrieben. Weitere Begriffe, die die Wahl knapp verpassten, waren unter anderem „Ausreisezentrum“ (2002) oder „Begrüßungszentren“ (2004), die in Wirklichkeit Auffanglager für afrikanische Flüchtlinge waren. 2010 hatte „Integrationsverweigerer“ von Bundesinnenminister Thomas de Maizière es in die engere Auswahl geschafft.
Die von Sprachwissenschaftlern gewählten Unwörter des Jahres gelten als Ausdruck des Zeitgeistes. (es) Leitartikel Politik
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Interessant. Das Wort habe ich für mich bis dato immer ganz anders gedeutet: Sozialtouristen – soziale Touristen – waren für mich immer jene Deutschen aus meinem Umfeld, viel zu übersättigt und sich auf ihre Bildung etwas einbildend, die eben in das soziale Milieu anderer immer nur einen mentalen Abstecher machten, wenn sie sich das grüne Mäntelchen umhängen wollten. Hinfahren, gucken, nischt wie weg und froh sein sich damit nicht länger befassen zu müssen. – ‚Aber helfen, wenn es wirklich um die Wurst ging – nee, ne…
Auf die andere Deutung kam ich gar nicht, da ich Mainstream Medien in letzter Zeit meide wie die Pest.
Sprache kann Segen aber auch Fluch sein. Mit Sprache kann man heilen aber auch kränken.
Es sieht so aus als ob sich der „neue deutsche Faschismus“ u.a. auch in diesen immer mehr werdenden unsäglichen Sprachgestaltungen verbirgt und entbirgt zugleich.
Dies würde zumindest zu meiner These der zunehmenden Strukturalisierung und Formalisierung des Faschismus in Deutschland passen. Und Sprache stellt eine zentrale sozial- und politisch relevante Größe dar.
Also müsste sich die neue Qualität des Faschismus in Deutschland vor allem auch sprachanalytisch erfassen lassen.
Josef Özcan (Diplom Psychologe / Kölner Appell gegen Rassismus e.V.)
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