Interview mit Mandana Kazemi
„Das Glück hält nicht für immer, aber die Probleme auch nicht“
In ihrer Kindheit hat Mandana Kazemi die Gewalt der islamischen Revolution miterlebt. Als Teenager musste sie den Schrecken des Ersten Golfkriegs mit ansehen. Mit 16 Jahren flüchtete sie aus dem Iran – und landete in Deutschland. Ein Gespräch mit ihr über das Leben von Flüchtlingen.
Von Ananda Rani Bräunig Freitag, 20.12.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.05.2015, 17:18 Uhr Lesedauer: 10 Minuten |
MiGAZIN: In Ihrer frühen Kindheit haben Sie noch die Monarchie des Schahs Mohammed Reza Pahlavi erlebt. Wie war das Leben damals im Iran, vor der islamischen Revolution und dem Ersten Golfkrieg?
Mandana Kazemi: Bis zu meinem neunten Lebensjahr war es im Iran genau wie hier. Mädchen und Jungs gingen zusammen zur Schule, ohne Kopftuch. Man war frei, konnte mit Freunden weggehen. Als die Revolution das Regime stürzte, hat sich der Islam verändert. Vorher konnten die Leute selbst entscheiden, ob und wann sie in die Moschee gehen. Dann, nach der Revolution, war das Leben voller Gewalt und Angst. Man musste machen, was einem gesagt wurde. Es wurde vorgegeben, was man anziehen soll, wie man aussehen soll. Es wurde Jahr für Jahr extremer.
Als Sie neun Jahre alt waren, brach 1979 die islamische Revolution aus. Der Revolutionsführer Ayatollah Khomeini und seine Anhänger haben die Monarchie des Schahs gestürzt und errichteten die Islamische Republik Iran. Wie haben Sie diese Revolution erlebt?
Kazemi: Da war dieser Alarm, der geklingelt hat. Er lief im Radio, das war furchtbar. Mein Vater war beim Militär, er war Offizier. Wir haben in der Kaserne gewohnt. In der Stadt sind sie alle auf die Straße gegangen und haben gegen das Regime protestiert. Dann sind sie in unsere Kaserne gestürmt. Das werde ich nie vergessen, an dem Tag bin ich mit ein paar Freunden Bilder kaufen gegangen. Wir wollten Bilder vom Schah und seiner Frau kaufen. Wir hatten ein großes Bild von ihm und seiner Familie im Wohnzimmer hängen. Dann sind die Revolutionäre in die Wohnungen gestürmt, die Bilder herausgeholt und verbrannt. Dann haben sie uns ein schwarz-weißes Foto von Ayatollah Khomeini gegeben. Wir sollten das an die Wand hängen. Jeder sollte es in seinem Haus haben. Meine Mutter hat es heimlich in die Toilette gehangen. Meine Eltern haben zu der Zeit schon geahnt, dass die Revolution nichts Gutes ist. Die Leute waren irgendwie ‚heiß‘ auf die Revolution. Es gab viel Gewalt, viele Menschen wurden hingerichtet. Manche durch Zufall, weil man sie verwechselte.
Ayatollah Khomeini wurde per Volksentscheid das neue Staatsoberhaupt. Er machte aus dem Iran einen Gottesstaat. Ein Jahr später begann der Erste Golfkrieg mit dem Nachbarland Irak. Wie ging das Leben für Sie weiter?
Kazemi: Als der Krieg begann, sind wir umgezogen, in ein Haus in der Stadt Kermanschah. Dort haben wir dann gelebt – ich meine, was heißt leben? In der Schule hatten wir immer Angst. Einmal mussten wir alle eine Klasse wiederholen, weil wir fast keinen Unterricht hatten. Sobald wir gesessen haben, ging wieder ein Alarm los und wir mussten uns in einem Bunker verstecken. Warten, bis es vorbei ist, dann wieder raufkommen. Dann haben sie in der Schule mit den Kindern gesprochen und gesagt, dass sie in den Krieg ziehen sollen, um ihr Land zu verteidigen. Es war Gehirnwäsche. Sie sagten, wenn die Eltern nicht zustimmen, dann sind sie keine Iraner und lieben ihr Land nicht. Auch mein älterer Bruder wurde dieser Gehirnwäsche unterzogen. Er kam nach Hause, er war 14 Jahre alt, und wollte unbedingt seinen Ausweis haben. Meine Eltern waren dagegen, ein Streit brach aus. Gottseidank hat mein Bruder irgendwann aufgegeben. Viele unserer Nachbarkinder sind in den Krieg gezogen und sind umgekommen.
Jahrelang auf Raketen- und Bombenanschläge gefasst zu sein, das ist eine extreme psychische Belastung. Vor allem für die Kinder.
Kazemi: Das ist wirklich schrecklich. Es gab keine Handys, man war nicht erreichbar. Wenn einer zu spät nach Hause kam, dann hatte man Herzrasen. Meine Mutter hat sich unglaubliche Sorgen gemacht. Meinen Vater haben sie einmal einen Monat lang in Kurdistan als Geisel gefangen gehalten. Wir dachten, wir sehen ihn nicht wieder. Als er wieder nach Hause kam, war es wie Weihnachten, Silvester und Ostern zusammen. Vor dem Krieg hatten wir keine Sorgen, wir hatten genug zu essen. Und von einem auf den anderen Tag ändert sich alles. Es ist schrecklich, wenn man sieht, was das Leben so bringt. Meine Eltern haben viel durchgemacht. Sie haben alles dafür getan, um uns Kinder durchbringen. Jetzt bin ich selber Mutter von drei Kindern und wir haben ein wunderbares Leben in Deutschland. Was die Leute jetzt in den Kriegsländern durchmachen, das kann ich wirklich mitfühlen.
Wie kam es dann zur Flucht?
Kazemi: Mit 15 wurde ich verheiratet und bin nach Teheran gezogen. Da habe ich meinen ersten Sohn bekommen. Wir wollten eigentlich nicht weggehen. Meine Schwägerin war früher schon einmal im Ausland und hat sich dazu entschlossen, auszureisen. Sie wollte nach Amerika. Mein Mann besuchte sie, als sie ihre Sachen verkaufen wollte. Sie fragte ihn, warum er nicht auch mitkomme. Und er dachte: Warum eigentlich nicht? In Teheran war eine DDR-Botschaft, dort gingen sie hin. Die DDR-Beamten haben drei Tage lang Visa verkauft. Die Leute standen Tag und Nacht Schlange. Mein Ex-Mann hatte für uns alle ein Visum geholt. Er kam abends nach Hause und sagte: Pack deine Sachen, wir fliegen in drei Tagen in die Türkei. Ich wusste gar nicht, was los ist. Gepackt habe ich nur eine Tasche für meinen Sohn, Windeln, und ein paar Sachen für uns, Klamotten für eine Woche. Mehr nicht. Als wir am Flughafen waren, war der Abschied von unseren Eltern sehr schwer.
Kaum waren wir zehn Minuten in der Luft, mussten wir wieder zurück. Es hieß, es gebe einen Defekt in der Maschine. Am Flughafen in Teheran haben sie dann 13 Leute im Flieger verhaftet. Es waren höhere Beamte des alten Regimes, die flüchten wollten. Viele Stunden hingen wir am Flughafen fest. Danach sind wir doch geflogen. In der Türkei mussten wir eine weitere Woche auf das Ticket für Deutschland warten. Was in der Woche alles passiert ist, meine Güte, Streit mit meinem Ex-Mann, er schlug mich, dann wollte ich nachts abhauen. Meine Schwägerin hat mich gefunden und gesagt: ‚Bitte Mandana, komm mit uns, wir werden mit ihm reden, dass er das nicht noch mal macht.‘
Sie sind also gemeinsam in die DDR gereist?
Kazemi: Ja, ich wusste noch nicht einmal, dass es ein geteiltes Deutschland gibt. Wir sind in Ost-Berlin gelandet. Den Pass mit dem Visumsstempel habe ich noch. Letzten Monat war ich in Berlin, das erste Mal wieder nach 28 Jahren. Da haben sie diese Visa den Leuten aufgestempelt, als eine Art Touristenattraktion. Ich habe das gesehen und gesagt: Ich habe das Original!
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„Nicht ohne meine Tochter“ war übrigens ein hervorragender Thriller, auch wenn das Gerücht der Finanzierung durch CIA nicht aus der Welt geschafft werden konnte.
Für einen Artikel gibt es immer einen guten Grund solange sie nicht endlich aufhören den Weltherrschern in die Suppe zu spucken. Das macht Erdogan viel besser finde ich, indem er auch bei Syrien alles mit den USA abstimmt.
Der Film „nicht ohne meine Tochter“ hat nicht ohne Grund die goldene Möhre – einen von der CIA gestifteten Filmpreis – gewonnen. Das war schon letztes Jahrhundert, seitdem hat sich auch im Iran offenbar nichts geändert. Danke für dieses Interview
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