Interview mit Bilgin Lutzke
„Das Land ist noch nicht so weit, sich bei diesen Menschen zu bedanken“
In Deutschland gibt es nach verschiedenen Schätzungen etwa 20.000 Migrantenorganisationen. Doch in den Medien kommen sie kaum vor. Das MiGAZIN will das ändern und sprach mit Divan e.V. unter anderem über den Koalitionsvertrag und die neue Staatsministerin mit türkischen Wurzeln.
Von Hakan Demir Mittwoch, 18.12.2013, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 30.09.2014, 10:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
MiGAZIN: Frau Lutzke, Sie sind Vorsitzende des Vereins „Divan“ in Berlin-Charlottenburg und kümmern sich unter anderem um die Alltagssorgen von Menschen mit Migrationshintergrund. Der Koalitionsvertrag wurde nun am Montag unterzeichnet. Wird dieser Vertrag mehr Hilfesuchende zu Ihnen treiben oder weniger?
Bilgin Lutzke: Ich glaube nicht, dass die Anzahl der Hilfesuchenden durch diesen Vertrag mehr wird oder ob sie weniger wird, sehen wir erst in den nächsten Monaten.
Als der Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, im Sommer unseren Verein DIVAN e.V. besuchte, habe ich ihm drei Sorgen von MigrantInnen mitgeteilt: Arbeit, bezahlbare Mieten und bessere Bildung für Kinder.
Die Menschen möchten nicht viel: Die Erwartungen sind sehr schlicht, sie wollen nur als Menschen wahrgenommen werden. Um es noch deutlicher zu sagen: Sie wollen von ihren Rechten auch Gebrauch machen können. Es geht um Teilhabe.
Sie möchten eine gut bezahlte Arbeit, also von ihrer Arbeit leben können und das ohne staatliche Hilfe, sie möchten Mieten, die bezahlbar sind und sie möchten eine bessere Bildung für ihre Kinder, damit diese bessere Chancen in der Zukunft haben.
Was die doppelte Staatsbürgerschaft betrifft, seien wir mal ehrlich: Es glaubt schon lange kein Migrant mehr an die Versprechungen der Parteien. Die Menschen schmunzeln, wenn man sie darauf anspricht.
MiGAZIN: Was ist mit der Willkommenskultur?
Bilgin Lutzke: Dieser Begriff beschreibt nicht die Ist-Situation des Landes. Die Menschen leben schon bis zu 50 Jahre in der vierten Generation hier. Wir brauchen eine Alltagskultur der Menschenwürde, d.h. Teilhabe. Es braucht eher Wertschätzung und Anerkennungspraxis für die bereits geleistete Leistung unserer Eltern für dieses Land. Unsere Eltern haben für den Wohlstand dieses Landes schwer gearbeitet und viele sind Mitte der 1980er Jahre mit 10.000 DM von der Regierung Kohl „nach Hause“ geschickt worden. Sie können heute noch nicht mal ihre Enkelkinder ohne beschwerliche Visumpraxis hier in Deutschland besuchen. Das Land ist noch nicht so weit, sich bei diesen Menschen zu bedanken.
MiGAZIN: Als Dankeschön könnte doch der Wegfall der Optionsspflicht betrachtet werden. Was denken Sie?
Bilgin Lutzke: Die Optionspflicht gehört zu den letzten restriktiven und undemokratischen Regelungen der Migrationspolitik, die das Demokratieverständnis des Landes in Frage gestellt hat. In Deutschland kommen täglich Hunderte Kinder auf die Welt, die von dieser Regelung betroffen sind. Die ersten Fälle haben wir in diesem Jahr mitbekommen, in denen die Jugendlichen aus unterschiedlichen Gründen die Frist verpassten und mit ihren Problemen allein gelassen worden sind. Ich nehme dieses Vorhaben ganz ernst und ich denke, es wird einiges im Bereich Migrations- und Teilhabepolitik in diesem Land anstoßen. Kein Mensch hat das Recht, diese Kinder mit Druck zwischen zwei Stühle zu stellen und zu fragen „Wo gehörst du hin?“ Die zweite Generation hat für jedes bisschen in diesem Land sehr viel gekämpft und die Biographien tragen die Spuren der 16-jährigen Regierung Kohl: Ausgrenzung, Ignoranz, Gleichgültigkeit.
Viele Eltern möchten deshalb nicht, dass ihre Kinder das gleiche hier in diesem Land erleben. Da reagieren sie auch verständlicher Weise sehr sensibel. Sie begrüßen den Wegfall der Optionspflicht.
Info: Bilgin Lutzke ist die Vorsitzende von Divan e.V. in Berlin-Charlottenburg. Sie ist Diplom Pädagogin mit dem Schwerpunkt Interkulturelle Pädagogik. Geboren wurde sie 1962 in Salihli, Türkei.
MiGAZIN: Was bedeutet der Koalitionsvertrag für Ihre Arbeit?
Bilgin Lutzke: Ich denke, es gibt viele Themen und Vorhaben, die das Leben der MigrantInnen verbessern. Mehr Geld für Kitas, Schulen, Hochschulen und mehr Geld für Kommunen bedeutet für diese Menschen mehr Teilhabe vor Ort und mehr Gestaltungsmöglichkeit. Auch wenn viele, aus unterschiedlichen Gründen, den Koalitionsvertrag kritisieren , so begrüße ich die Mindestlohnentscheidung in Höhe von 8,50 Euro. Das bedeutet für viele MigrantInnen besonders in Berlin, bessere Bezahlung, besseres Leben. Es ist ein Anfang. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist eine alte Forderung der SPD. Die Eindämmung von Leih- und Zeitarbeit betrifft an erster Stelle MigrantInnen. Sichere Arbeitsbedingungen bedeuten wiederum mehr Gestaltung. Was auch wichtig ist, die stärkere Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, weil Jugendliche mit Migratioshintergrund von der Arbeitslosigkeit als erste betroffen sind.
MiGAZIN: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz wird neue Staatministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Zum ersten Mal wird also eine Frau mit türkischen Wurzeln am Kabinettstisch sitzen. Glauben Sie, dass sie die Probleme der Migranten eher lösen kann?
Bilgin Lutzke: Ich kann nicht einschätzen, ob sie die Probleme der MigrantInnen eher lösen kann. Aber ich begrüße die Entscheidung sehr, dass eine türkischstämmige Frau am Kabinettstisch sitzt. Wir brauchen mehr Vorbilder in diesem Land. Ich hätte es viel besser gefunden, wenn sie für einen anderen Aufgabenbereich zuständig wäre. Die MigrantInnen müssen nicht immer für den Bereich Migration zuständig sein. Aktuell Interview
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Artikel wie diese lassen mich an der Zurechnungsfähigkeit gewisser Migrantenvertreter/innen zweifeln.
Bereits im Jahre 2005 wurde das 50. Jubiläum des ersten Anwerbeabkommens zwischen BRD und Italien als allgemeines Jubiläum für alle ehemaligen Gastarbeiter öffentlich begangen. Ebenso gab es Jahr 2011 laufend öffentliche Veranstaltungen, Sendungen und Publikationen zum 50.Jahrstag des Anwerbeabkommens mit der Türkei.
Permanente Lobeshymnen auf ihre Arbeiterschaft waren übrigens ein Stilmerkmal der sozialistischen Regierungen.
A propos Sozialismus:
Eine Art von Dankeschön an die Arbeiterschaft gibt es auch in der BRD:
Den 1. Mai, den Tag der Arbeit, den ich traditionell nutze, um die DGB-Kundgebung zu besuchen und dabei im Kreise Gleichgesinnter abzuhängen: So viel Sozialismus muss sein!
„Das Land ist noch nicht so weit, sich bei diesen Menschen zu bedanken.“
Als ich diesen Satz las musste ich schlucken, dann wurde mir irgendwie komisch, doch dann ging es wieder.
Ich habe viele Jahre in Taiwan gelebt, einem reichen demokratischen Land und sehr hohem Bildungsstand in dem viele „Gastarbeiter“ leben.
Der Stand vor 3 Jahren war folgender.
Ausländische Arbeitssuchende werden im Ausland angeworben, bekommen am Flughafen in Taiwan eine Nummer, werden dann zu ihren Arbeitsstellen gebracht. Die Männer arbeiten meist in Fabriken und leben in Gemeinschaftsbaracken, die sie oft nicht verlassen dürfen. Jahrelang. Viele Frauen arbeiten als Haushaltshilfen und Kindermädchen und betreuen Alte & Kranke und Behinderte in den Familien. Sie haben oft kein eigenes Zimmer, müssen unter Umständen zu jeder Tages- und Nachtzeit für die Arbeit zur Verfügung stehen. Ihr Wohlbefinden und ihre Lebensverhältnisse hängen zu 100% von den Familien ab für die sie arbeiten. Oft werden ihnen die Pässe abgenommen.
Laut Gesetz wird diesen „Gastarbeitern“ ein unbefristeter Aufenthaltsstatus und mehr Rechte zubilligt, sobald sie 3 Jahre im Land sind. In der Regel wird das Arbeitsverhältnis auf „3 Jahre minus ein paar Tage“ festgelegt, sodass sie, um weiter in Taiwan arbeiten zu können, kurz ausreisen müssen, was bedeutet, dass sie niemals das Recht auf einen permanenten Aufenthaltsstatus bekommen können. Gastarbeiterinnen verlieren ihren Job und müssen das Land verlassen falls sie schwanger werden.
Das mag ziemlich hart und unfair klingen, ist es für die Menschen in Taiwan aber nicht. Sie sind sehr nett, freundlich und herzlich. Sie sind zu Recht Stolz auf ihre Gastfreundschaft und sind sehr freundlich zu Ausländern.
zurück zu Deutschland. Wie abwegig ist für Immigranten der Gedanke sich bei Deutschland dafür zu bedanken, dass das Land und seine Menschen ihnen geholfen haben ein besseres Leben, Bildung, Wohlstand eine neue Lebensperspektive und auch Freiheit zu finden?
Ich vermute dass sich bei dieser Frage manche unwohl fühlen, vielleicht ein wenig anders unwohl als sonst, hier in diesem schrecklichen deutschen Land.