Partiziano
M³ macht MmM
Weil Migration den Verdauungstrakt bisweilen aus dem Verdauungstakt bringt, heißt es jetzt: Neue Formen formeln und die Stimme abgeben, um sich stumm an steigender Stimmung zu erfreuen oder mit Ängelszungen die Mitte zu entlasten - für ein neues Ungleichgewicht im Migrationshinterhalt.
Von Marcello Buzzanca Donnerstag, 12.09.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.09.2013, 22:51 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Migration ist Scheiße, gerät dabei doch der Verdauungstrakt bisweilen aus dem Verdauungstakt. Das gilt besonders dann, wenn man sich noch am letzten Urlaubstag den Bauch am Buffet vollgeschlagen hat und am nächsten Tag wieder auf der einheimischen Toilette thront.
Und genau dann ist Migration eben Scheiße, weil man dann hier aussitzt, was man sich im Urlaubsausland hektisch am Buffet erkämpft und in sich reingestopft hat, immer die Briten mit ihren backed beans im Auge und die tedeschi im Blick, um ja nicht als jemand erkannt zu werden, der Deutsch spricht. „Wissen Sie vielleicht, wo hier die Teller sind?“ „No entiendo!“ Und jetzt mach‘ Platz, damit ich mir einen echten italienischen Espresso aus dem spanischen Vollautomaten holen kann.
Tja, da wird wohl nichts draus, sehen die Britannen doch den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr und stehen (in perfekter Reihe) verloren mit ihren Teebeuteln vor dem Rätsel, ob nun aqua caliente oder leche dem Beutel bekommt. Kommt davon, wenn man keine Fremdsprachen kann, denke ich mir, während ich skeptisch die drängelnden Italiener beobachte, wie sie wieder versuchen, sich um das Einhalten von Regeln herumzumogeln.
„Ich brauche nur kurz einen Löffel“, sagt die IT- oder Finanzbranchenbrille aus Bergamo. Ich glaube ihm. Schließlich ist er nicht aus dem Süden Italiens und schummelt also bestimmt nicht. Wobei, hey, Berlusconi ist doch auch aus dem Norden.
Was der wohl gerade macht, frage ich mich. Ach ja, richtig, er trotzt und droht: Wenn ihr es wagen solltet, mich meines Mandats zu entheben, kündige ich die Koalition auf und es gibt Chaos und Cholera in Italien. Wieder einmal, ist man versucht zu sagen. Schließlich kann man Silvio Berlusconi zwar verurteilen, ihn aber auf Basis eines Gesetzes, dass es rechtskräftig verurteilten Politiker verbietet, weiterhin öffentliche Mandate inne zu haben, doch nicht einfach aus dem Senat schmeißen.
Wo soll er denn auch hin? Wieso, denke ich mir, geht er eigentlich nicht in den Hungerstreik? Das wäre doch mal etwas anderes. Aber anders war er ja sowieso schon immer. Deshalb gelten für ihn auch nicht normale Regeln. Im Endeffekt wird er wahrscheinlich auch niemals sterben, sondern einfach in eine Immunitätsstarre verfallen, so wie Erdkröten die kalte Jahreszeit in einer Winterstarre verbringen und erst dann auftauen, wenn die Temperatur wieder steigt.
Italienische Wandelanlei(c)he zeichnen
Und so wird auch Berlusconi wahrscheinlich vom Wandertrieb direkt zum Laich(en)trieb übergehen, um nach einigen Jahrzehnten wieder aufgetaut und eingesetzt werden zu können. Auch Kröten sind also Migranten, wenngleich sie in gewisser Weise auch ortstreu sind. Sie überwintern, laichen und leben immer an derselben Stelle, müssen aber auf Migration (also auf Wanderung) machen, wenn sie zwischen diesen Etappen wechseln wollen und müssen. Anders gesagt, sie fressen zwar dort, wo sie scheißen, legen sich aber dort nicht zum Überwintern hin.
Das nennt man wohl Gewaltenteilung, womit wir wieder beim Essen und dem Stuhlgang wären. Was nämlich passiert mit all dem aus dem Urlaub Mitgebrachten? Man integriert es, was sonst. Ich nämlich habe letztes Jahr irgendeine kanarische Frucht auseinander genommen und den Kern mit nach Deutschland gebracht. Da setzte ich ihn in einen Blumentopf und wartete. Es kam sogar ein kleiner grüner Stängel heraus, doch dem war es wohl zu kalt und er ging ein.
Nicht so einfach, in der neuen Heimat aufzugehen. Da heißt es doch besser schlank zu bleiben, um geschmeidiger durch die Kanalisation fließen zu können, wenn es drauf ankommt. Also besser doch eine Migrationsrohkost? Dann haben Kiefer und Körper wenigstens mal was zu tun. Vielleicht ist Migration aber auch Trennkost, überlege ich, während ich die Speisekarte studiere. Hier in einer Pizzeria in Frankfurt Rödelheim. Was??? Pizza mit Currywurst? In einer italienischen Pizzeria??
Nun gut, auch die kulinarische Kontamination ist Migration. Also, was soll’s. Ich nehme eine Pizza vegetale. Während ich warte, studiere ich das Servietten-Italienisch: Io Imparo t’italiano. Hää?? Das ist doch völlig falsch, schreie ich innerlich. Geistig den Rotstift in der Hand, lese ich weiter im Vokabular bzw. hänge mich erst einmal an dem Wort VOKABULAR auf. Das lässt sich doch bestimmt filetieren. Wo Kabu lar: Die Frage nach dem Ort (Wo) an dem sich die Kassenbücher (Kabu und -lar als Pluralform aus dem Türkischen) befinden. Kurzum: Eine Steuerprüfung.
Il conto pronto
Und die macht man in italienischen Restaurants doch ständig oder etwa nicht?. Il conto, per favore! Wenn man dies nach dem Essen bestellt, bekommt man wider Erwarten nicht den Kontostand des Restaurants mitgeteilt, sondern die Rechnung – bisweilen auch quittiert. Und schon schallen die Unkenrufe wieder an mein Ohr: Italien hat 2.000 Milliarden Euro Schulden und Beppe Grillo (der hoffentlich bald von einer Kröte gegessen wird) fordert einen Schuldenschnitt für Italien.
Ich hingegen fordere Erklärungen – nicht für die Pizza-Preise, sondern dafür, was in aller Welt ein Satz wie Ti amo auf der Sprachkurs-Serviette zu suchen hat. Und dann steht es auch noch genau vor Arrivederci. Sich gleich verabschieden, nachdem man seine Liebe gestanden hat, Liebe, die durch den Magen geht… ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen.
Verbale Vongole
Also mache ich mich auf die Fersen. Genug gegessen, jetzt muss ich diese verbalen Vongole erst einmal verdauen. Übrigens ging man in der Antike davon aus, dass die Venusmuscheln (also die Vongole) geschlechtslos seien. Dabei hat Venus doch einen eindeutigen Sexus. In jedem Fall aber passt es nun wieder, das ti amo auf der Serviette und Venus im Kopf. Immerhin schließt sich hier der konzentrische Kreis, wie jene Strukturen auf den Schalen der Muscheln.
Konzentrische Kreise übrigens teilen den selben Mittelpunkt, unterscheiden sich aber in ihrem Radius. Doch wenn man wie die FDP die Mitte entlasten will, kippt doch das Gleichgewicht und die Kreise werden krumm. Also heißt es dann buckeln? Oder den Buckel runterrutschen lassen? Einknicken oder abnicken? Kennt die FDP ja alles bestens.
Wahlgeschenke für die Gelenke
Wie auch immer – ein bisschen Bewegung nach dem Essen kann nicht schaden und ein wenig mehr Gelenkigkeit sowieso nicht. Agilität ist gefragt, natürlich auch für uns Menschen mit Migrationshinterhaltgrund. Wir müssen noch sportlicher werden, um nicht vom interkulturellen Mainstreaming an den Strand gespült und von der Einbürgerungsoffensive überrollt zu werden.
Dann sich doch lieber selbst an den Lenker des Walhallomats setzen und die Richtung angeben. Gut sechs Millionen Menschen mit Migrationshintergrund und damit knapp 9 Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland, könnten am 22. September ihre Stimme abgeben – theoretisch. Nur, was passiert eigentlich, wenn man seine Stimme abgibt ? Und das ist ja bei Wahlen so üblich. Genau, man verliert sie!
Also besser die Klappe halten und den Schlitz der Wahlurne zukleistern – rein plastisch gesprochen. Schließlich malen sowieso alle Dämonoskopen den Teufel mit Ängelsnamen an die Wand bzw. in den Pie Chart und womöglich sind sie auch ganz froh, dass viele Migranten den Urnen fern bleiben werden. Nicht, weil sie keine Ahnung oder Lust hätten. Nein, sie fühlen sich schlicht und ergreifend nicht genügend repräsentiert. Zu wenige von uns finden sich auf den Plakaten und Programmen wieder. Keine Aus(senge)länder, um sich im Laber-Labyrinth zurechtzufinden. Außerdem wäre die Gefahr, dass Migranten tendenziell jene Parteien wählen, die sie aus ihrer Heimat kennen, zu groß – vor allem bei uns Italienern.
Da ja leider keine Koch-, Küchen- oder Klopartei angetreten ist, würde mir die Wahl schwer fallen. Wenn jetzt Uli Hoeneß beispielsweise eine Partei gegründet hätte und zur Wahl angetreten wäre, wären die Parallelen zu Berlusconi so groß, dass dessen Anhänger in Deutschland sich dieser Karawane sicher gerne anschließen würden.
Migrationshintergrund wirft Schatten aufs Kabinett
Über die entlastete Mitte müssen wir an dieser Stelle nicht reden, sehr wohl aber über ein Pendant zu Beppe Grillos M5S. Nur, wo fände man einen derart selbstverliebten Kasper im deutschen Showbiz? Stefan Raab? Natürlich, nur ist der ja mittlerweile ein Polit-(S)Talker geworden und außerdem viel zu eingespannt.
Dann doch lieber abwarten, dass sich die deutschen Parteien endlich migrantieren und Menschen mit Migrationshintergrund als Kandidaten präsentieren – und sei es nur als Köder: So, liebe M³ (Menschen mit Migrationshintergrund), wir stellen euch heute unsere Kandidaten für den Bundestag und unser Schattenkabinett vor: Bushido wird Verteidigungsminister. Kaya Yanar wird Pausenclown-Minister für die Zeit zwischen den Sitzungen.
Haftbefehl wird Justizminister, damit auch die anderen Czabos wissen, wer der Babo ist. Nazan Eckes und Gülcan Kamps teilen sich das Ministerium für Familie und Promis. Jerome Boateng und Mesut Özil werden Sportminister und Giovanni di Lorenzo wird Bundeskanzler. Schließlich hat er ja viel Zeit.
Ach, was soll’s, am Ende erinnert sich doch sowieso keiner mehr an seine Wahlverbrechen und wenn man sich auf Stimmenfang für den Urnengang befindet, sind vielen alle Netze recht(s). Ich aber mache mich lieber auf den Weg, ein Wahlgeschenk zu kaufen. Denn am 22. hat ein Bekannter von mir Geburtstag. Dumm gelaufen, ja, aber Geburtstage sucht man sich eben nicht aus. Und je nachdem, wer die Wahl gewinnt und für wen mein Bekannter stimmt, kann es am Ende ja doch noch eine schöne Bescherung werden. Aktuell Meinung
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Bei allen gelungenen Wortspielen ein kleiner Einwand am Rande des Textes:
„Im Endeffekt wird er wahrscheinlich auch niemals sterben, sondern einfach in eine Immunitätsstarre verfällt, so wie Erdkröten die kalte Jahreszeit in einer Winterstarre“ – Weil er verfällt, oder „verfallen“.
Danke für diesen schönen Artikel
Lieber Patrick,
besten Dank für den Hinweis. Verfallen, natürlich, absolut richtig!
Bei den ganzen Wortspielen verzocke ich mich ab und an grammatisch ;-)
Herzliche Grüße
Marcello Buzzanca