50 Jahre Assoziationsabkommen EWG/Türkei
EuGH kann erneut zum Motor des Beitrittsprozesses werden
Heute vor 50 Jahren unterzeichneten die Türkei und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das Assoziationsabkommen. Ziel: Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied werden. Davon ist man aber heute noch weit entfernt. Dennoch könnte bald Schwung in den Prozess kommen – aus Luxemburg.
Von Ünal Zeran Donnerstag, 12.09.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.09.2013, 22:51 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Am 12.09.1963 jährt sich das Assoziationsabkommen zwischen der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei zum fünfzigsten Mal. Vermutlich das älteste noch bestehende Assoziationsabkommen der EU, dessen Ziele noch immer nicht vollständig realisiert wurden. Die Jubelschreie fallen aus. Die Jubilanten sind abgetaucht. Es ist nirgends eine Feierlichkeit geplant.
Nichts könnte besser unter Beweis stellen, welchen Tiefpunkt die Beziehungen des Beitrittskandidaten Türkei mit der EU im Moment erreicht haben. Auch ist die Türkei nicht einmal ein Randthema der bevorstehenden Bundestagswahlen. Eine neue Erfahrung für die Türkeistämmigen in Deutschland. Das sind sie nicht gewohnt.
Doch ist dies weder politischen Sensibilitäten noch Einsichten geschuldet. Es gibt keinen akuten Bedarf, um damit auf Stimmenfang zu gehen. Mit gegenseitiger Ignoranz werden die Beitrittsverhandlungen geführt. Von den Zielen des Assoziationsabkommens EWG/Türkei scheinen sich beide Seiten verabschiedet zu haben.
Walter Hallstein, Präsident der EWG Kommission, formulierte anlässlich der Vertragsunterzeichnung am 12.09.1963 in der Nationalversammlung in Ankara: „Und eines Tages soll der letzte Schritt vollzogen werden. Die Türkei soll vollberechtigtes Mitglied der Gemeinschaft sein. Dieser Wunsch und die Tatsache, dass wir in ihm mit unseren türkischen Freunden einig sind, sind der stärkste Ausdruck unserer Gemeinsamkeiten“.
Obwohl sich beide Parteien von diesem Ziel entfernt zu haben scheinen und beiderseitige Lustlosigkeit dominiert, könnte der Beitrittsprozess dennoch bald an Dynamik gewinnen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte erneut zum Motor des Beitrittsprozesses werden. Denn am 24.09.2013 wird über das Verfahren Demirkan verhandelt – ein juristisch und politisch höchst brisanter Fall, bei der entschieden wird, ob türkische Staatsbürger visumfrei in die EU einreisen können.
Das Gericht steht zwar unter enormen Druck der Mitgliedstaaten, die in ihren schriftlichen Stellungnahmen unverhohlen mit dem Untergang der Union drohen, sollte der EuGH die Visumspraxis der EU-Mitgliedstaaten gegenüber türkischen Staatsangehörigen kippen. Doch könnte dort, wo Politik aus scheinbar nationalen Interessen versagt, die Vertragstreue den EuGH dazu verleiten, den Mitgliedstaaten ihre Grenzen aufzuzeigen. Damit könnte eine neue Ära – und keinesfalls aber der Untergang der Union – eingeläutet werden.
Und das ist nicht einmal unwahrscheinlich: Sollte der EuGH seiner bisherigen Rechtssprechungslinie und Rechtstradition treu bleiben, wird er die Visafreiheit für touristische Aufenthalte von türkischen Staatsbürgern bejahen und für Besuchsaufenthalte verneinen. Allein das wäre ein viel größerer Schritt hin zum Vertragsziel, als das, was die Politik seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen im Jahre 2005 geleistet hat. Aktuell Meinung
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Wie unterscheidet man denn touristische Aufenthalte von Besuchsaufenthalten wie z.B. Verwandtenbesuche?
Das Bundesinnenministerium meint, dass man es könne.
Beim Tourismus geht es um die Entgeltlichkeit und einen wirtschaftlichen Wert. Beim Besuch wird dieser Wert negiert bzw als nachrangig betrachtet. Das ist (juristische und politische ) Theorie.
Ich möchte nicht Grenzbeamter sein, der das prüfen soll. Das ist die Herausforderung (Praxis).
Daher wird es kaum möglich sein in der Praxis den Unterschied heraus zu arbeiten.
Ich habe meine Zweifel, ob die Mitgliedsstaaten den Tourismus mit der Türkei visumfrei gestalten wollen. Tourismus ist ein Kanal für undokumentierte Einwanderung. Es wäre begrüssenswert, weil die Türkei ein wichtiger Partner der EU ist. Innenpolitisch ist freier Tourismus für die türkische Diaspora wenig interessant. Vom wachsenden touristischen Konsum in der BRD kann sie nicht profitieren, weil die Hotellerie in den Händen anderer ist. Spannender wäre es da schon, wenn die Türkei den türkischen Tourismussektor für die türkische Diaspora öffnen würde für die Entwicklung des Heritage Tourismus, Wildlife Tourismus…Die türkische Diaspora ist seit Jahrzehnten ein zuverlässiger Lieferant von Hartwährung in Form von Investitionen, Heimaturlauben und Rücküberweisugen. Die einseitige Vorteilsnahme durch den Auswanderungsstaat kann so nicht ewig weitergehen. Die Türkei muss sich ökonomisch öffnen.
Mich freut es, dass der Artikel nicht bewertet, sondern lediglich versucht die aktuell bevorstehende Entscheidung zu erklären. Ich persönlich tue mich schwer mit dieser Erklärung…
Im Kern geht es darin (also versuche ich es mal):
Das Assoziationsrecht besitzt eine Stillhalteklausel, die besagt, dass die einmal entstandenen Rechte für eben ARB-Türken nicht verschlechtert werden dürfen. Wir sprechen dabei von einem Erlasszeitraum 1973. D.h., dass die damals geltende Rechtslage für die ARB-Türken nicht schlechter gestellt werden darf.
Damals gab es eine sogenannte Dienstleistungsfreiheit, die es möglich machte, ohne Visum einzureisen, sofern man von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen wollte.
Frau Demirkan sagte nun, sie wolle im Rahmen eines Besuchsvisums doch auch Dienstleistungen in Empfang nehmen (zB Frisör, Arzt, etc.).
Die Mitgliedsstaaten argumentieren aber, dass damals (1973) nur die „aktive“ Dienstleistungsfreiheit visafrei war, also der ARB-Türke nur dann einreisen durfte, wenn er selbst Dienstleistungen erbringen wollte.
Die passive Dienstleistungsfreiheit, d.h. der Emfang der Dienstleistungen sei davon nicht umfasst.
Die Begriffe Tourismus und Besuch sind insofern im Artikel schwierig einzuordnen.
Die Frage nach der aktiven Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungserbringung) hat der EUGH geklärt. Nun geht es nur noch um die passive Dienstleistungsfreiheit. Ich persönlich glaube nicht, dass die visafreiheit in diesen Fällen hergestellt wird.
Der Generalanwalt sieht die passive Dienstleistungsfreiheit als nicht gegeben an. Im Übrigen bliebe sich der EUGH eher damit treu, wenn er diese Visapflicht nicht aufhebt. Wer die Urteile Soysal zur aktiven Dienstleistungsfreiheit liest, bemerkt doch recht zügig, dass der EUGH kleinlichst darauf achtet eben NUR die aktive Dienstleistungsfreiheit zu behandeln. Wäre man der Ansicht gewesen, dass die gesamte Dienstleistungsfreiheit zur visafreien Einreise berechtigt, dann hätte man juristisch nicht diese Unterscheidung getroffen.
Aktuelle Meldung:
Ohne Visum dürfen Türken nicht in die EU einreisen
24.09.2013, 10:43 Uhr
Visafreies Reisen in der EU bleibt türkischen Staatsbürgern auch weiterhin verwehrt. Ein Berliner Gericht entschied nun gegen den Antrag einer Türkin. Sie wollte einreisen, um Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
http://www.handelsblatt.com/finanzen/recht-steuern/urteile-entscheidungen/eugh-ohne-visum-duerfen-tuerken-nicht-in-die-eu-einreisen/8837930.html