Partiziano

Dui(t)senpijp

Über die Kunst, einen richtigen Espresso in der Betriebsküche zu machen und was zwei unter den Düsen positionierte Würfelzucker aussagen, wenn man den richtigen Hintergrund hat.

Von Mittwoch, 29.09.2010, 8:29 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.01.2011, 23:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Neulich stand ich wieder am Kaffeevollautomaten in der Betriebsküche meiner Arbeit. Hinter mir stand mein Kollege und beobachtete interessiert, wie ich begann, mir einen Espresso zuzubereiten. Ich spürte förmlich seine Gedanken, die mich als veritablen Italiener beschworen, ihm das Geheimnis eines ‚richtigen‘ Espressos zu verraten.

Also positionierte ich beide Würfelzucker genau unter den Düsen des Automaten und merkte, wie sich sein Lächeln genauso über seinem deutschen Gesicht ausbreitete, wie auch das braune Wasser langsam die Würfel zersetze: Gleichmäßig. Und tatsächlich formten sich seine Lippen zu einer Frage, die ich bereits ganz im Sinne der sich selbst erfüllenden Prophezeiungen erwartet hatte: ‚So macht man in Italien also einen richtigen Espresso?‘ ‚‚Ja, nickte ich, du musst unbedingt darauf achten, dass du die beiden Zuckerwürfel GENAU unter den Düsen positionierst und BEVOR die letzten beiden Tropfen aus der Düse kommen, musst du die Tasse rausziehen! Dann hast du den perfekten Geschmack! ‘‘ Die DankBARkeit für diese Ad-Hoc-Einheit in italienischer Gastrokultur veranlasste ihn dazu mir ein anerkennendes Lächeln zu schenken, welches ich gerne zurückgab, ähnlich jener Wünsche zum Geburtstag, man möge trotz nahender 4 an erster Stelle so jung bleiben, wie man sich zweitens sowieso nicht mehr fühlt und nie gefühlt hat.

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Natürlich ist nichts von all jener Espressologie auch nur annähernd richtig bzw. bewiesen. Fest steht einfach, dass ich zu faul bin den Zucker umzurühren und zu gierig und ungeduldig, endlich Koffein in meine Blutbahn zu leiten, als dass ich noch die letzten Tropfen abwarten würde. Wahr ist aber, dass mein Kollege es für einfach für bare Münze genommen hat, weil ich einen italienischen Namen habe und auch so aussehe. Gut, ich habe keinen Schnauzbart und keine geölten Locken und natürlich laufe ich auch nicht mit einer weißen Schürze samt grün-weiß-roter Fahne auf der Arbeit herum. Doch auch diese fehlenden Accessoires als eindeutige Indikatoren der Zugehörigkeit zum Volksstamm der Luigis ließen meinen Kollegen unbeeindruckt ob der Tatsache, dass wenn einer in der Firma wüsste, wie man diesem Kaffeevollautomaten irgendetwas Schmackhaftes entlocken könnte, es in jedem Fall ich sein müsste.

Düsen pressen also nicht nur (über)flüssige Substanz, sondern auch diffuse Gedankengänge durch einen oder auch zwei enge Kanäle, um sie zielgerichteter einsetzen zu können. Das Gegenstück zur Düse bildet der Diffusor, der die Gedankenströme verzögert und dadurch Energie umwandelt. Zwischen diesen beiden Bauteilen ist wenig Platz für jenes, was sich ähnlich der nicht begradigten Arme wilder Flüsse irgendwo dazwischen bewegt.

Auch im Sinne einer gelungenen Integration im Epizentrum des cultural clash und anderer Rühreier, also in der Küche, ist insofern der Schrei nach einem abwechslungsreichen und nicht vorhersehbaren Speiseplan laut. Und in Zeiten, in denen Rohstoffe wie Getreide, Mais, Reis und auch Kaffee als Spekulationsobjekte und Diversifizierungen des Portfolios zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnen, erhebt sich mehr und mehr die Forderung nach einer Central Counterparty (CCP), einem zentralen Kontrahenten, der bei Börsengeschäften als Clearingstelle gegen Bezahlung die Brotkrumen unter den Teppich kehrt und aus dem Kaffeesatz liest. Schließlich eignet sich letzterer bestens dafür, die Zeichen der Zeit auch aus Sicht eines provisorischen Italieners zu deuten: A goccia a goccia si scava la roccia – Steter Tropfen höhlt den Stein. Aktuell Meinung

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  1. BiKer sagt:

    selten so gelacht und mir war gar nicht danach. großen dank an den autor. „direkt unter die düsen“. ich kriege mich nicht mehr ein, wenn ich mir den gesichtsausdruck von deinem kollegen vorstelle.

  2. Marcello Buzzanca sagt:

    Hallo Biker,

    auch wenn’s gut zwei Jahre brauchte, um zu antworten, freue ich mich dennoch/immer noch, dir den Tag mit herzhaftem Lachen versüßt zu haben – auch und gerade weil dir eigentlich nicht danach war :-)

    Viele Grüße

    Marcello

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