Theater
Geburtsvorgänge auf der Bühne
„Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“ – Getanzte Selbstbestimmung im Berliner Ballhaus Naunynstraße – als würde man Horror träumen.
Von Jamal Tuschick Freitag, 30.08.2013, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.08.2016, 10:49 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Man sieht Ataxien wie auf Crack und mimische Verwandlungen, die an weidmännische Häutungen und Ed Geins kriminelle Ledermasken erinnern – als würde man Horror träumen. Auf der Bühne wühlen sich Körper aus traumatischen Zuständen. Sie steigern sich in Konvulsionen. Sie gebären Persönlichkeiten in vehementer Opposition zu allen möglichen Zuschreibungen und kulturellen Überformungen. Sie ziehen ihre Autonomie aus dem Müll postkolonialer Identitäten. (Das denke ich.) Das sieht manchmal zum Erschrecken aus und manchmal wie ein Spielmannszug im Sambaschritt. – Wie ein Spiel mit der Garderobe so harmlos.
Diese Inszenierung überwältigender Volten auf der Folie einer erweiterten Négritude, die immer noch auf Frantz Fanon reagiert (das ist meine erste Assoziation), explodiert auf der Bühne im Berliner Ballhaus Naunynstraße. Die Performance „Women, Part Two: You might think I’m crazy, but I’m serious“ ist Auftakt und früher Höhepunkt von vier Wochen Black Lux – „Ein Heimatfest aus Schwarzen Perspektiven“. Die Produktion von Cie Artincidence kommt aus Martinique. Sie ergänzt die Dokumentationen schwarzer Biografien (in Deutschland), die zurzeit vor Ort einem „vergammelten Heimatbegriff“, um einmal wieder Jörg Sundermeier zu zitieren, auf die Sprünge helfen.
Ihre Schuhe zertanzen Annabel Guérédrat, Ghyslaine Gau und Ana Pi. Die virile Ghyslaine Gau kämpft zuerst mit zwei Worten, als gehörte sie von Haus aus der Sprachlosigkeit. Am Ende einer Kette von Zisch- und Klicklauten formuliert sich in der Herrensprache (meine Projektion) „Je suis“. Sie will „ein Fenster“ sein … hinter dem eine Vergangenheit droht, die den Ursprung als Abgrund definiert. Was von diesem Ursprung deutlich wird, ist nicht afrikanisch, vielmehr die Fremdbestimmung der Sklaverei. Ghyslaine Gau tanzt die Frage: Wie entsteht aus der Verdammung ein revolutionäres Subjekt? Jedenfalls verstehe ich sie so. Der Waschzettel erzählt etwas ganz anderes: Das Tanztheater „erkundet den weiblichen Körper als einen politischen Körper, der aus Fantasien besteht. … Eine radikale Stellungnahme zwischen Chaos und Grenzüberschreitung.“
Ich haue Fanon in die Tonne meiner Irrtümer, Ana Pi fragt heftig in die Runde: „What’s your name?“ Die Kolleginnen geraten in Rage, ein Sturm kommt auf. Neben mir hält ein Vater seinen Sohn auf dem Schoß, die Zwergnase bleibt lässig. Sollen die Frauen doch schreien. Schließlich findet Ana Pi auch eine Antwort, zum Lärm einer unrund laufenden Maschine: „My name is Aunt Sarah … my name is Saffronia … my name is Sweet Thing … my name is Peaches.“
Das versteht man richtig als Kommentar zu Nina Simones „Four Women“. Ich lese nach: Es geht um „die Verletzlichkeit und Stärke schwarzer Frauen.“ Die nächste Feststellung lautet: „Mais toi, tu n’es pas vraiment noire?“ Das wird variiert: „You are not really black.“
Auch dazu gibt es einen Aufstand, der Kampf geht weiter … mit Pulswärmern, Hauben und künstlichen Wimpern in den Farben der Trikolore. Aktuell Feuilleton
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