Veto in Brüssel

Deutschland verhindert Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien

Mit einem Veto hat Innenminister Friedrich die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum verhindert. Sein Hauptargument: Verhinderung von Armutszuwanderung. Dafür gibt es aber keinen Beleg. Im Gegenteil: aus diesen Ländern kommen Fachkräfte.

Montag, 11.03.2013, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 15.03.2013, 0:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schengen-Raum verhindert. Auf dem Treffen der EU-Innenminister in Brüssel Ende vergangener Woche begründete Friedrich sein Veto mit Schwachstellen in diesen Ländern, insbesondere die Justiz funktioniere nicht wie gewünscht.

Zuvor hatte Friedrich sein Veto unter anderem damit begründet, dass Deutschland den Ansturm auf sein Sozialsystem stoppen müsse. Es könne nicht sein, „dass sich irgendwann einmal aus ganz Europa die Leute auf den Weg machen nach dem Motto: In Deutschland gibt es die höchsten Sozialleistungen“.

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Außen vor gelassen
Außen vor ließ Friedrich dabei Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Danach fällte die weit überwiegende Mehrheit der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien dem Sozialstaat nicht zur Last. Und auch sonst ist die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe geringer als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung in Deutschland.

Außen vor ließ Friedrich auch, dass sein Veto überhaupt nicht geeignet ist, die Zuwanderung aus diesen Ländern zu stoppen. Bereits seit 2007 dürfen Bulgaren und Rumänen ohne Visum in die Bundesrepublik und in andere EU-Länder einreisen. Alles was sie zum Passieren der Grenze benötigen, ist das Vorzeigen eines Personalausweises. Mit dem Schengen-Beitritt wäre lediglich diese Grenzkontrolle entfallen.

Keine Daten
Neben seinem Schengen-Veto warb Friedrich in Brüssel auch für die Einführung einer Wiedereinreisesperre für so genannte „Sozialhilfetouristen“. Gemeint seien Menschen, die nach einer Ausweisung gleich wieder einreisen, um sich erneut am Sozialstaat zu bedienen. Da eine solche Änderung ohne die Mitwirkung der EU-Kommission nicht möglich wäre, blieb dieser Vorstoß Friedrichs ohne Erfolg. Jonathan Todd, Sprecher der EU-Kommission, sagte: „Kein Mitgliedsstaat hat uns bisher irgendeinen Nachweis geliefert, dass es Probleme mit Sozialhilfetourismus gibt.“

Auch ein Sprecher von EU-Sozialkommissar László Andor äußerte sich skeptisch. Die deutsche Kampagne übertreibe maßlos: „Im Augenblick handelt es sich bei der angeblichen Welle sogenannter Armutsflüchtlinge nur um eine Wahrnehmung in den Mitgliedstaaten, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.“ Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hielt dagegen: „Wir haben keine massive Armutszuwanderung, weder aus Rumänien noch woanders her“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Richtig sei, dass einige Städte, etwa im Ruhrgebiet, gerade stark belastet seien. Diese Probleme ließen sich aber mit Finanzhilfen und administrativer Unterstützung für die Kommunen bewältigen. Gefragt nach konkreten Zahlen, musste auch Innenminister Friedrich einräumen, dass es keine verlässliche Faktenlage gibt.

Angesichts dessen stieß die harte Position des Innenministers nicht nur auf Kritik von der Opposition. Auch aus den eigenen Reihen gab es Schelte. Über den Schengen-Beitritt müsse unabhängig von der aktuellen Debatte über den Zuzug von Roma nach Deutschland entschieden werden, kritisierte Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. Außerdem dürfe Deutschland qualifizierte Arbeitskräfte nicht abschrecken.

Es kommen Fachkräfte
Ein genauer Blick in die Statistik zeigt, das Krichbaums Einwand nicht von ungefähr kommt. Laut Angaben des Rheinisch-Westfälischem Instituts für Wirtschaftsforschung arbeiten 80 Prozent der Bulgaren und Rumänen, die seit dem EU-Beitritt 2007 nach Deutschland kamen, 46 Prozent sind qualifiziert und 22 Prozent sogar hoch qualifiziert. Fachkräfte also, um die Deutschland seit einigen Jahren buhlt und zuletzt sogar deren Einreise erheblich vereinfacht hat.

„CDU/CSU wollen offenkundig im braunen Sumpf nach Wählerstimmen fischen und malen eine vermeintliche Armutsmigration als Schreckgespenst an die Wand“, kommentierte die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dağdelen, die Haltung Friedrichs angesichts dieser Zahlen. Das werde ihm vor allem aus dem rechten Lager Beifall einbringen. Die aktuelle Debatte schüre Rassismus gegen Sinti und Roma vor Ort.

Gefährliche Rhetorik
Nicht anders sieht es auch der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. Der aktuelle „Streit um die Freizügigkeit innerhalb der EU“ werde in Deutschland „auf dem Rücken einer Minderheit geführt“, kritisierte Rose. Man rede von „Armutsmigranten“, die „ausschließlich als Roma“ identifiziert und „pauschal kriminalisiert“ würden – „dass sie Sozialsysteme ausnutzen“. Tatsächlich lebten Sinti und Roma seit Jahrhunderten in Deutschland und seien heute weitgehend „unauffällig und völlig integriert“. Dass Roma jetzt als „Zuwanderer aus Osteuropa“ ganz allgemein zur finanziellen Belastung erklärt würden, sei gefährlich.

„Im Rückblick auf die vergangenen Jahre – es gab die NSU-Mordserie, es gab mehr als 100 Morde mit rechtsextremem Hintergrund – kann ich das nicht unbefangen hinnehmen“, so Rose weiter. Bereits vor 20 Jahren hätten Politik- und Medienkampagnen gegen „Armutsmigranten“ zum Pogrom von Rostock (1992) und zum Brandanschlag von Solingen (1993) geführt. Deshalb bittet der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma Bundespräsident Joachim Gauck, an die Parteien und ihre Führung ein politisches Signal zu senden, die Zuwanderung nach Deutschland nicht als populistisches Wahlkampfthema auf Kosten der Minderheit von Sinti und Roma zu führen.

Mit dem Thema wollen sich die Innenminister erst Ende des Jahres wieder befassen. Bis dahin will die EU-Kommission neue Berichte vorlegen. Man sollte schauen, wie die Berichte ausfallen, „und dann werden wir erneut darüber diskutieren“, sagte Friedrich. (es) Leitartikel Politik

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  1. Sinem sagt:

    Können sie diesen I…. nicht in Rente schicken. Seine braune Gesinnung hat ihn ja voll im Griff.Was ein Glück, dass bald die Wahlen anstehen. Das Problem wird aber sein, dass die Konservsativen immer wieder diese Parteien wähle. Was sagte Einstein schon damals: Der konservativen Intellektuellen unterscheiden sich nicht von dem Pöbel;) wie recht er doch hatte.

  2. BattalGazi sagt:

    Nicht auf Kosten der Roma… Aber auf Kosten anderer Minderheiten geht klar oder was? Und schön dass denen auch die rechtsorientierten Straftaten aufgefallen sind. Nur schade dass die jetzt erst Stellung dazu nehmen.