Sexismus-Debatte

Das war abzusehen!

Die Sexismus-Debatte leidet an Kurzsichtigkeit. Es geht nicht darum, den Sexismus zu verurteilen, sondern darum, seine Ursachen zu ergründen. Ein Debattenbeitrag von muslimischer Seite.

Von Tariq Hübsch Freitag, 08.02.2013, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.02.2013, 21:35 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Es heißt, die Sexismus-Debatte werde Deutschland verändern. Dabei ist auch vom Krieg die Rede. Von einem Kampf der Geschlechter. Und so wie ein Krieg neue Grenzen zieht, so wird der Machtkampf zwischen Mann und Frau das Verhältnis zwischen den Geschlechtern neu ordnen. Der Mann verlöre dabei an Land, heißt es. Seine Niederlage habe sich ja abgezeichnet. Er sei der Verlierer des neuen auf fortwährender Anpassung beruhenden Gesellschaftsmodells. Zu langsam für die halsbrecherischen Wendungen des globalen Turbokapitalismus. Zu unflexibel für die Anforderungen an das moderne heimatlose und traditionsentbundene Subjekt, das der Arbeitsmarkt fordert.

Frauen konnten, ausgelöst durch die feministischen Emanzipationsbewegungen des 20. Jhd., jahrzehntelang neue Rollen ausprobieren, sich an neue Lebensentwürfe herantasten, sich verbiegen und verformen, weswegen sie sich an die neue Herausforderung, Karriere und Kind unter einen Hut zu bringen, geschmeidig anschmiegen konnten. Der Mann hingegen, stur, träge und hart, wie sein Wesen nun mal ist, wird von der neuen Zeit wie ein hohles Stück Holz entzwei gerissen und treibt nun umher im weiten Ozean der postmodernen Orientierungslosigkeit.

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Natürlich ist diese dramatisch vorgetragene Zeitdiagnose quatsch. Frauen werden aus der Sexismus-Debatte nicht als Sieger hervorgehen und die Männer werden auch nicht vollends vor die Hunde gehen, weil sie es schon längst sind. Die Rhetorik vom Kampf der Geschlechter ist altfeministisches Gerede. Es ist nicht zeitgemäß, weil es mit der einfachen Unterscheidung zwischen handelnden Opfern und Tätern operiert, ohne zu berücksichtigen, welchen Einfluss andere Faktoren haben. Denn wenn berücksichtigt wird, welchen Einfluss Normen, Ideale und Menschenbilder haben, die im Laufe der letzten Jahrhunderte sich herausbildeten und unserer Gesellschaft jene Kontur gegeben haben, die sie momentan besitzt, dann erschließen sich einem die extremen Widersprüche, die unterhalb der Sexismus-Debatte zutage treten und dem hohlen Täter-Opfer-Denken des Feminismus den Wind aus den Segeln nehmen.

Das Feuer wird gelegt
Die Grenzen, so heißt es neuerdings in einem Update des Altfeminismus, verliefen nun nicht mehr zwischen den Geschlechtern. Es gebe Menschen, die einen anderen auf sein Geschlecht reduzieren, und Menschen, die sich dem Geschlecht einer anderen Person gegenüber neutral verhalten. Jetzt gebe es auch männliche Opfer und weibliche Täter. Geschenkt. Das alte Muster von respektlosen, ungehobelten Menschen auf der einen Seite und Opfern auf der anderen bleibt bestehen. Und nimmt man die neuesten Umfragen zu Hilfe, so bleibt das verdammenswerte Subjekt das gleiche. Der chauvinistische Mann, der mit Hilfe seiner Position, seiner Macht alles an sich zu reißen versucht, das nicht bei drei auf den Bäumen ist. Der unkontrollierbare Vertreter des männlichen Geschlechts, der nicht in der Lage ist, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen, sondern sie per se auf ihr Geschlecht, das natürlich dem des Mannes nicht ebenbürtig ist, reduziert.

In Wahrheit verläuft der Krieg jedoch nicht zwischen Täter und Opfer, sondern innerhalb der Täter und Opfer. Und in dieser Perspektive ist es gerade der Mann, der einen tiefen Konflikt auszuhalten hat, der genährt wird von äußeren Umständen. Der Mann wird mit einer hypersexualisierten Gesellschaft konfrontiert, die in der Geschichte der menschlichen Zivilisation seinesgleichen sucht. Tagtäglich wird er bombardiert mit aufreizenden Bildern und Videos. In Werbung, Fernsehen und Internet ist die in lasziven Posen ausgestellte Frau, ein auf ihre Sexualität reduziertes Objekt, allgegenwärtig. Der Mann wird quasi dazu konditioniert, die Frau herabgesetzt auf ihr Geschlecht, ihre Sexualität wahrzunehmen. Die Frau dient dabei als Köder. Und es funktioniert und wird auch immer funktionieren, weil Mutter Natur dabei Schmiere steht. Der Mensch ist bis zu einem gewissen Grade seinen Instinkten unterworfen. Die tierische Natur des Mannes sorgt dafür, dass die Hormone verrücktspielen beim Anblick einer freizügig bekleideten Frau, die durch ihre Posen zu verstehen gibt, dass sie paarungswillig ist. Dies sind Reflexe, die den Mann ins Schwitzen bringen. Sie sollen dazu führen, so der hinterhältige wie altbackene Plan unkreativer Werbemenschen, dass die Region im Gehirn, die für vernünftige Entscheidungen zuständig ist, durch die subversiven Nebelbomben von Sexualhormonen angegriffen wird. Kurzum, der Mann lebt in einer ihn sexuell überreizenden Gesellschaft. Die User-Statistiken des Internets scheinen dies zu bestätigen. 60% aller Webseitenbesuche sind sexueller Natur und 40% aller Webseiten im Netz haben sexuellen Inhalt. Da scheint sich der Mann ein Ventil zu verschaffen.

Wie Öl ins Feuer gießen
Jetzt wäre es natürlich alles andere als originell, ja geradezu peinlich, wenn die Überreizung des Mannes als Ursache für den alltäglichen Sexismus herhalten muss. Er habe sich zu kontrollieren, solle sich nicht wie ein Tier gebärden. Recht haben sie, doch wie soll das konkret aussehen, bzw., wie realistisch ist das? Denn flankiert wird die Überstimulation des Mannes durch eine neue Form der Frauenemanzipation, die sich in so widersinnigen Erscheinungsformen wie den slut-walks manifestiert. Halbnackte Frauen stolzieren verkleidet durch die Straßen, um durch die zur Schau gestellte Frivolität ihr Recht auf die Unversehrtheit ihres Körpers einzufordern. Eine Frau, die freizügig auftritt, so der Tenor, wolle damit nicht bezwecken, dass der Mann sie als Freiwild zu betrachten hat. Da fragt man sich, weshalb sie sich dann so kleidet, wenn sie doch gar kein Interesse an den Anbandelungsversuchen von Männern, wie plump sie auch immer sein mögen, hat?

Frauen kleiden sich aufreizend und betonen ihre Geschlechtsmerkmale, weil sie sich dadurch gesellschaftliche Anerkennung erhoffen. Sie werden wahrgenommen, existieren im öffentlichen Raum, richten sich an Schönheitsidealen und unterwerfen sich demnach ästhetischen Normen, die ja gerade das Weibliche in den Vordergrund rücken. Der Fokus der äußeren Erscheinungsform liegt oftmals nicht auf das Wahrgenommenwerden als neutrales Subjekt, damit die geistigen Qualitäten in den Vordergrund rücken, sondern auf den Körper, die Hülle, das Sexuelle. Kurzum, sie spielen mit ihrem Geschlecht, regredieren sich dabei selbst auf ihren Sexus und wehren sich dann in slut-walks gegen den Sexismus, den sie doch selbst tagtäglich ausspielen, indem sie mit ihren weiblichen Reizen spielen, um sich Vorteile zu verschaffen. Sie fordern also für sich das Recht ein, sexistisch zu sein, während sie gleichzeitig gegen ihn zu Felde ziehen?

Es geht nicht darum, Männer in ihrem Machotum, in ihren Übergriffen zu verteidigen, sondern darum, die Ursache dieses männlichen Beutedenkens, das weiter verbreitet ist als Alice Schwarzer zu träumen wagt, zu erklären. Klar ist, dass der Mann sich zu zügeln hat. Er soll Frauen respektieren. Eine Selbstverständlichkeit, die jedoch auf breiter Basis zu bröckeln scheint, und kein gutes Licht auf die moralische Verfassung des männlichen Geschlechts wirft. Und dabei ist die Hypersexualisierung unserer Gesellschaft nicht Ursache, sondern die konsequente Folge eines Menschenbilds, das zwar auf die Vernunft im Menschen angewiesen ist, jedoch alles daran setzt, ebenjene auszuschalten.

Ein willfähriges Opfer der Gesellschaft
In einem voraufgeklärten Zeitalter erhielten moralische Normen ihre Gültigkeit durch ihre Beglaubigung in göttlich inspirierten Texten. Legitimität durch nicht zu hinterfragende Dogmen, die befolgt werden mussten, um nicht von Gott bestraft zu werden. Die Einbettung in einem kosmologischen Sinnzusammenhang war notwendig, um moralischem Handeln Sinn zu verleihen. Die Befreiung von diesem einfach gestrickten Schema, Aufklärung genannt, verlangte danach, dem moralischen Handeln einen neuen Sinn zu geben. Warum soll ich moralisch handeln, wenn kein Gott zürnt, wenn ich sündige? Der Mensch sollte nun nicht mehr einfacher Soldat, Befehlsempfänger sein, der tut, was man ihm befiehlt, sondern ein mündiger Bürger, der entweder kraft seiner Vernunft (Kant) oder seiner inneren Stimme (Rousseau) das rechte, moralische Handeln in die Tat umsetzt. Der Mensch selbst ersetzte Gott. Er hievte sich auf einen Thron, nur um in den Jahrhunderten danach alles daran zu setzen, sich selbst von diesem zu stürzen.

Man fand heraus, dass der Mensch nicht das Ebenbild Gottes sei, sondern vom Affen abstamme (Darwin), dass er eigentlich nur das Produkt der wirtschaftlichen, sozialen Umstände ist (Marx), und dass er eigentlich mehr oder weniger stark von seinem psychischen Apparat, den er selbst nie gänzlich kontrollieren kann, beherrscht wird (Freud). Es fand eine große Entmystifizierung des Menschen statt, jede Metaphysik wurde ihm abgesprochen, bis zu der konsequenten Schlussfolgerung, dass der Mensch eigentlich so etwas wie Identität nicht besitzt (Postmoderne). Aktuell Meinung

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  1. Gero sagt:

    @Cengiz: gehen Sie zurück zu Ihrem PI und Konsorten-Blog,
    ____________

    Wüsste nicht, was ich dort verloren hätte.

    Sie, mein lieber Cengiz, haben „keinen Bock über die Nöte von Frauen IN der arabischen Welt zu sprechen“.. Quod erat demonstrandum.

    By the way: Über die Nöte der Frauen in der westlichen Welt wird – im Gegensatz zur islamischen Welt – weiß Gott viel geredet. Es ist an der Zeit, dass sich muslimische Männer mit den Zuständen diesbezüglich in der islamischen Welt berschäftigen…

    Gott zum Gruße und gehaben Sie sich wohl, Cengiz…

  2. rahab sagt:

    da das mit dem bedecken der weiblichkeiten ja so richtig auch nicht geklappt hat, schlage ich vor: wir machen das mit geschlechtertrennung und bedeckung die nächsten tausend jahre einfach andersrum.
    männers geben sich zuhause – nach erledigung aller anfallenden hausarbeiten – erhabenen gedanken hin und erscheinen in der öffentlichkeit nur noch sittsam bedeckt und mit gesenktem blick.
    und ich kann endlich in ruhe im park und auf der straße und in der uni und im supermarkt meinen erhabenen gedanken nachhängen! und gelegentlich einen von den sittsam bedeckten zum himmlischen vergnügen von lust&begehren einladen!
    nebeneffekte: damit hätten sich die frivolen slut-walks erledigt. und da männer aus der öffentlichkeit weitgehend verschwunden wären, wäre auch die hypersexualisierte werbung überflüssig.

  3. Justus sagt:

    @Cengiz

    Sie haben doch einfach keine Argumente, das ist alles. Alles, was Gero schrieb, ist richtig. Fakt ist: im Islam haben Frauen rein praktisch weniger Rechte als Männer. Sicher, die Theorie (Koran, Hadithe) sagt was anderes, aber rein im normalen Alltagsleben ist es so. Da beisst die Maus keinen Faden ab. Also Cengiz, seinen Sie ein Mann! Treten Sie ein für die Rechte der unterdrückten islamischen Frau! Nur Mut!

  4. Somaya sagt:

    Herr Hübsch,

    Geschlechtertrennung führt gerade zu einer sexuellen Überreizung. Ist psychologisch leicht erklärbar und in muslimischen Gesellschaften die Norm, nicht die Ausnahme.

    Moralgesetze schaffen keine Moral, im Gegenteil, sie entmoralisieren eine Gesellschaft.