Ein Fremdwoerterbuch
Als schaute ich meiner Familie in einem interaktiven Film zu
Mit meinen beiden kleinen Fingern versuche ich hastig, mein Handy zu bedienen. Der Rest meiner Hand ist schmutzig und fettig. Ich stehe in der Küche und verzweifle gerade mal wieder an einem türkischen Teiggericht.
Von Kübra Gümüşay Dienstag, 22.01.2013, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 24.01.2013, 7:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Über Skype rufe ich meine Oma in Deutschland an. „Oma, ich kriege die Börek nicht hin!“ Eigentlich kann ich ja backen, aber die Hefe! Die Hefe will nicht, wie ich will. In England gibt es eben nicht so tolle Feuchthefe wie in Deutschland, rede ich mir ein. Und frage verzweifelt: „Ich kann das doch, ne, Oma?“
Sie beruhigt mich und diktiert mir schnell ein Börek-Rezept ohne Hefe. „Was ist los?“, fragt mein Opa besorgt im Hintergrund. Das Übliche, will ich antworten. Ich rufe in der nächsten Stunde noch vier Mal an, dann sind die Börek endlich fertig.
Und?“, fragt mich meine Tante wenige Minuten später über WhatsApp, dieses kostenlose Kurznachrichten/Chatding, über das neuerdings jeder mit einem Smartphone kommuniziert. „Haben die Börek geklappt?“ „Woher weißt du das?“, frage ich. Meine Oma hat mit meiner Mutter telefoniert und die hat gerade eben mit meiner Tante gesprochen. „Geht so“, schreibe ich meiner Tante und schicke ihr Bilder von den versalzenen Börek.
„Ruf uns mal über Skype an“, schreibt mir mein Vater am Abend über WhatsApp und schickt mir gleichzeitig Bilder. Die Familie hat sich heute bei meiner Oma versammelt. Ich schalte die Kamera ein. Alle grinsen und ich, auf dem Handy-Bildschirm, wandere von Hand zu Hand. „Zeig mal die Börek“, werde ich aufgefordert und schwenke mit der Kamera über die vielen Reste. „MashAllah, sehr gut“, sagt mein Onkel lachend. Er kann es noch immer nicht glauben, dass ausgerechnet ich freiwillig einen Fuß in die Küche setze.
Weit weg und doch nah dran
Handys und Laptops sind mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Familientreffen. Denn es fehlt immer wer. Mal bin ich es, mal meine Schwester in Heidelberg, mein Bruder in Karlsruhe oder der große Rest unserer Familie in der Türkei. Geburten, Krankenhausbesuche, Geburtstage, Hochzeiten, Ausflüge – alles wird festgehalten und verschickt.
Dabei war es vor ein paar Jahren für mich noch undenkbar, dass meine Mutter je ein Handy besitzen würde. Wenn sie mal mit dem Handy meines Vaters telefonieren musste, dann nur mit Kopfhörern oder per Lautsprecher – sie wollte ihren Kopf nicht direkt den Strahlen aussetzen. Heute tippt sie vorsichtig auf ihrem Handy und chattet mit meinen Tanten. Sie haben eine eigene WhatsApp-Gruppe gegründet: „die Schwägerinnenschwestern“.
Es ist schön, weit weg und doch nah dran und dabei zu sein, die Familie mitzuerleben. Als schaute ich der eigenen Familie in einem interaktiven Film zu. Mit zeitweise direkter Teilnahme am Leben. Meistens aber als Zuschauer. Hauptfigur ist derzeit vor allem mein zweijähriger Cousin. Seine Bilder – ob nun grinsend hinter Spielzeug oder nackig im Bad – werden erbarmungslos herumgeschickt. Er ist in unserer Familie quasi das, was das Katzenbild im Internet ist.
Ab und an sehen wir uns auch in echt. Meine Tante und ich umarmten uns innig. Dann trat sie einen Schritt zurück und schaute mich an. „Warum antwortest du deiner Tante so selten auf WhatsApp?“, fragte sie mich. „Och Tantchen“, sagte ich sie wieder fest umarmend. „Lass mich mal in die Küche, Börek backen.“ Aktuell Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Rechte Stimmung bedient Asylbewerber arbeiten für 80 Cent die Stunde
- Netzwerke Führen aus der zweiten Reihe hat bei der AfD Tradition
- Hamburg Bruch von Kirchenasyl empört Bischöfe und Politik
- Rassismus-Verdacht bleibt Staatsanwalt: Alle acht Polizeischüsse waren…
- Folgen der EU-Abschottung Wohl Dutzende Tote nach Bootsunglück vor Kanaren
- Sprache nicht so wichtig Scholz: 266.000 Ukrainer haben bereits Job