Ehegattennachzug

Rechtswidrige Integrationspolitik

Den Regelungen zum Spracherfordernis beim Ehegattennachzug droht das Aus. Wie jetzt bekannt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht nicht nur eine Härtefallregelung angeordnet. Die Urteilsbegründung geht viel weiter.

Montag, 12.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 16.11.2012, 7:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2012 zerfallen die Regelungen zum Spracherfordernis beim Ehegattennachzug immer mehr in ihre Einzelteile und Unionspolitiker geraten in Erklärungsnot.

Denn bisher wurde eine allgemeine Härtefallregelung von der CDU/CSU strikt abgelehnt. Damit würde „die ganze Vorschrift leerlaufen“, lautete die Begründung bisher. Seit dem Machtwort des Bundesverwaltungsgerichts ist aber klar: Eine Härtefallregelung wird kommen.

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Sicherung des Lebensunterhalts
Laut Urteil muss das Visum zum Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen schon dann erteilt werden, wenn Bemühungen zum Erwerb einfacher Sprachkenntnisse nicht möglich, nicht zumutbar oder nicht innerhalb eines Jahres erfolgreich sind. Das hatte das Gericht unmittelbar nach der Urteilsverkündung mitgeteilt.

Wie aus der jetzt vorliegenden ausführlichen Urteilsbegründung hervorgeht, haben die Bundesrichter noch eine weitere seit 2007 geltende Regelung aufgehoben: Die Verweigerung des Ehegattennachzugs zu Deutschen darf ab sofort nicht mehr im Ausnahmefall mit der Begründung untersagt werden, dass der Lebensunterhalt der Betroffenen nicht aus eigenen Mitteln gedeckt sei.

Doppelstaatler
Und: Von Deutschen darf grundsätzlich nicht verlangt werden, dass sie ihre Ehe im Ausland führen oder auf ein eheliches Zusammenleben verzichten. Auch eine doppelte Staatsangehörigkeit ändert hieran nichts, stellen die Bundesrichter klar.

„Damit beendet das Bundesverwaltungsgericht eine durch die Bundesregierungen seit 2007 betriebene skandalöse Ungleichbehandlung im Aufenthaltsrecht“, erklärt Sevim Dağdelen, migrationspolitische Sprecherin Linksfraktion im Bundestag. Damit habe das Bundesverwaltungsgericht die unerträgliche Diskriminierung eingebürgerter deutscher Staatsangehöriger beendet.

Linke fordern Rücknahme der Regelung
Dağdelen fordert die Bundesregierung auf, die Verschärfungen beim Ehegattennachzug „insgesamt zurückzunehmen – im Interesse Tausender Ehegatten, deren Zusammenleben massiv behindert wird.“ Die Linkspolitikerin stützt ihre Forderung auf Zahlen: Der Nachzug zu Deutschen machte im Jahr 2011 rund 54 Prozent des gesamten Ehegattennachzugs aus.

Im vorliegenden Fall hatte eine afghanische Analphabetin geklagt. Sie heiratete einen Landsmann, der 1999 nach Deutschland eingereist war und mittlerweile neben der afghanischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Im Mai 2008 beantragte die Afghanin die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann. Den Antrag lehnte die Botschaft ab. Begründung: Die Antragstellerin habe keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse nachgewiesen.

Zahlreiche Ausnahmen
Kaum nachvollziehbar aber wahr ist: Hätte die Klägerin nicht einen Deutschen, sondern einen EU-Bürger geheiratet, hätte sie ohne Weiteres nach Deutschland ziehen können. Die Deutsche Botschaft hätte von der Klägerin auch dann kein Nachweis von Sprachkenntnissen verlangen können, wenn der Ehemann Australier, Israeli, Japaner, Kanadier, Süd-Koreaner, Neuseeländer oder der US-Amerikaner gewesen wäre. Und: Hätte die Afghanin einen in Deutschland lebenden Selbstständigen, Forscher, Hochqualifizierten oder anerkannten Flüchtling geheiratet, hätte sie ebenfalls keinen Sprachnachweis erbringen müssen. Das schreiben bundesdeutsche Gesetze vor.

Es droht das endgültige Aus
Kurios ist auch: Bald könnten die Regelungen zum Ehegattennachzug möglicherweise auch auf türkische Staatsbürger keine Anwendung mehr finden. Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) prüft derzeit die Visumspflicht für türkische Staatsbürger. Mit der Entscheidung wird in wenigen Monaten gerechnet. Rechtsexperten gehen aufgrund der bisherigen Rechtsprechung des EuGH davon aus, dass die Visumpflicht komplett fallen wird. Das würde auch die deutsche Ehegattennachzugsregelung zum kippen bringen. (bk) Leitartikel Politik

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  1. Torgey sagt:

    Eine längst überfällig Neuregelung einer unsinnigen Praxis. Während man über vorbeugende Integrationsmaßnahmen ja zumindest geteilter Meinung sein kann (wobei eine positive Langzeitwirkung der nicht ganz billigen A1-Kurse auf die Integration bislang nicht nachzuweisen ist), kann ein deutsches Gesetz, das Deutsche gegenüber (EU-)Ausländern in einem so zentralen Bereich wie Familie schlechter stellt ja auch irgendwie nicht sein.

  2. Lynx sagt:

    Im folgenden Fall dürfte es mit dem Zuzug wohl keine Probleme geben: Ein Mann mit ausländischer Staatsangehörigkeit, Aufenthaltstitel und guten deutschen Sprachkenntnissen heiratet eine bundesdeutsche Staatsbürgerin, die im Ausland aufgewachsen ist und nur wenige Worte Deutsch kann. Als bundesdeutsche Staatsbürgerin hat sie automatisch das Recht, sich in der BRD niederzulassen und eine selbständige Arbeit aufzunehmen, auch wenn sie nicht Deutsch kann. Das zeigt, wie absurd die bisherige Gesetzesregelung eigentlich ist.

  3. hanan sagt:

    wenn diese reglung kippen würde gilt es dann nur für türkische stadtsbürger nur oder auch für andere länder die auch von diesen sprach test abhängig sind? Z.B. marokko -BITTE UM ANTWORT
    DANKE IM VORAUS

  4. yilmaz sagt:

    @hanan: Das gilt dann nur für Türken !!!

  5. Torgey sagt:

    @hanan: Es ist in diesem Text von verschiedenen Regelungen die Rede. Für alle Drittstaaten kommt anscheinend die Regelung, dass das Absolvieren eines Sprachtestes nicht erforderlich ist, wenn dieser finanziell oder aus anderen Gründen unzumutbar ist oder ein Jahr verstrichen ist.

    Nur für Türken würde die EUGH-Entscheidung (über die hier allerdings erst spekuliert werden kann) bezüglich ihrer Visumspflicht gelten.

  6. hanan sagt:

    danke für eure antwort ;)

  7. Udo sagt:

    Als deutscher Staatsbürger (ohne Migrationshintergrund) mit ausländischer Ehefrau, der sich im Jahr 2008 aufgrund dieser ungerechten Regelung direkt nach der Heirat für 8 Monate von meiner Frau trennen mußte, fühle ich erste Freude aufsteigen. Wenn man im rosaroten Liebesglück schwebt und dann von staatlicher Seite so einen Tiefschlag bekommt, das vergißt man nicht so schnell. Seitdem sind die Parteien CDU und SPD (!), die die Regelung damals geimeinsam beschlossen haben, für mich nicht mehr wählbar.

  8. Thomas Hohlfeld sagt:

    @ hanan, yilmaz & torgey:

    Die Frage ist schon nicht ganz eindeutig zu beantworten, die gegebenen Antworten sind aber auch ungenau.
    Das liegt daran, dass die Regelung extrem komplex ist: Es hängt von der Staatsangehörigkeit, dem Aufenthaltszweck, individuellen Umständen und davon ab, wer zu wem zieht…

    Das Bundesverwaltungsgericht hat vor kurzem entschieden, dass beim Nachzug ZU DEUTSCHEN – die Staatsangehörigkeit der Nachziehenden ist egal! (Türkei, Marokko, USA usw.) – eine Härtefallregelung gilt und geprüft werden muss, ob der Spracherwerb zumutbar ist. Wie diese Härtefallregelung in der Praxis umgesetzt wird, ist noch unklar – unzählige Rechtsstreitverfahren hierum sind aber abzusehen…

    Sevim Dagdelen bzw. die Fraktion DIE LINKE haben eine umfangreiche Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gestellt, die genau dies thematisiert. Der Vorbemerkung der Anfrage sind auch die unterschiedlichen Differenzierungen und Ausnahmetatbestände im Detail zu entnehmen. Eine Antwort liegt erst in ca. zwei Wochen vor, die Anfrage wird in Kürze aber auf den Seiten des Bundestags nachlesbar sein: BT-Drs. 17/11441!

    Jetzt kommt aber noch hinzu:
    Inzwischen hat das VG Berlin dem EuGH die deutsche Regelung endlich zur Prüfung vorgelegt. Dabei wird sowohl die Frage gestellt, ob das EWG-Türkei-Assoziationsrecht (es geht um eine türkische Staatsangehörige) und ob die EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie verletzt wird.
    Je nach dem, wie der EuGH (in vielleicht zwei Jahren) entscheiden wird, wird das Urteil nur türkischen Staatsangehörigen oder aber auch allen Drittstaatsangehörigen zu gute kommen – dass der EuGH urteilen wird, die deutsche Regelung sei mit EU-Recht vereinbar, schließe ich aus.

  9. Thomas Hohlfeld sagt:

    Die oben angekündigte Drucksache ist jetzt hier einsehbar:
    http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/114/1711441.pdf

  10. Peter sagt:

    Hi, anscheinend zaehlen die Rechte der Deutschen nicht,
    sind ja leider ohne Nationalitaet oder ist „Deutsch“ eine Nationalitaet.
    Man respektiert keine Deutsche mehr die nicht EU-Buerger heiraten.

    Den auslaendischen Ehepartner respektiert man auch nicht sonst waeren nicht 2 Stempel im Reisepass sondern das Visum.

    Seit 7 Jahren reise ich alleine nach Deutschland ohne meine Frau.

    EU-Familienzusammenführungs-Richtlinie wird hier auf das Schaerfste verletzt.
    Sind die Behoerden zu dumm Visum zu erteilen oder woran liegt es dass man 7 Jahre getrennt leben muss?

    Wenn der Deutsche zaehlen wurde dann waere das Problem geloesst wegen Integration. Einen Sprachtest im Ausland zu bestehen verfehlt die Integration da der Ehepartner automatisch mit dem Ehepartner integriert wird, dies nenne ich Integration und nicht einen Deutschunterricht im Ausland.