Koalitionsgipfel
Migranten sind die großen Verlierer
Betreuungsgeld für die Jüngsten und Rentenreform für die Ältesten. Das sind die Wahlgeschenke der schwarz-gelben Koalition. Nur bei Migranten dürfte kaum etwas ankommen - weder bei Jung noch bei Alt.
Dienstag, 06.11.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 12.11.2012, 7:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Acht Stunden verhandelten Union und FDP in der Nacht zum Montag über mehrere Streitthemen – Praxisgebühr, Altersarmut und Betreuungsgeld. Herausgekommen sind Kompromisse, die vor allem den Koalitionspartnern helfen.
Die Abschaffung der Praxisgebühr zum 1. Januar soll die FDP fit machen für die bevorstehenden Wahlen, die steuerfinanzierte „Lebensleistungsrente“ bewahrt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen und damit der CDU das Gesicht und das Betreuungsgeld ist das große Prestigeprojekt der CSU. Damit haben alle was vom Abend. Allen voran die schwarz-gelbe Koalition. Sie musste zeigen, dass sie überhaupt noch imstande ist, zu regieren. 2013 stehen Bundestagswahlen an.
Keine Probleme angepackt
Entsprechend zufrieden zeigten die Generalsekretäre der Koalitionsparteien. Hermann Gröhe (CDU) bescheinigte der Runde „gute Entscheidungen, Patrick Döring (FDP) fand es erfreulich, dass die Koalition etwas „gemeinsam verabreden konnte“ und Alexander Dobrindt (CSU) jubelte gar: „Wir haben etwas für die Zukunftsfähigkeit des Landes getan.“
Ganz anders sieht das die Opposition. Laut SPD-Chef Sigmar Gabriel wurde keines der für Deutschland anstehenden Probleme auf dem Gipfel angepackt. Es würde nichts gegen die „wachsende Erwerbsarmut“ getan, welche „die Kernursache für die Altersarmut ist“ – kein Wort über Mindestlöhne, kein Wort über gleichen Lohn für gleiche Arbeit, kein Wort über die dringend notwendige Neuregelung der Leih- und Zeitarbeit. Genauso fänden Investitionen in Bildung nicht statt. Mit dem Betreuungsgeld würde es im Gegenteil für Kinder in Zukunft schwieriger, eine frühe Förderung zu erhalten.
Einfache Rechnung
Das Betreuungsgeld soll an Eltern bezahlt werden, die sich um ihr Kind in den ersten beiden Lebensjahren zu Hause kümmern und keinen Kita-Platz oder keine staatlich geförderte Tagesmutter nutzen. Im ersten Jahr sind 100 Euro monatlich vorgesehen, ab August 2014 dann 150 Euro. Verzichten Eltern aber auf eine Barauszahlung und legen das Geld stattdessen zur privaten Altersvorsorge oder für die Ausbildung der Kinder an, bekommen sie einen zusätzlichen Bonus von 15 Euro pro Monat.
So großzügig und bürgerfreundlich das auf den ersten Blick auch erscheinen mag, zeigt schon eine einfache Rechnung, wer vom Betreuungsgeld wirklich profitiert: Ein Platz in einer Krippe kostet den Staat bis zu 1.000 Euro monatlich. Und allen voran das CSU-regierte Bundesland Bayern ist von einer flächendeckenden Versorgung noch meilenweit entfernt. Laut Statistischem Landesamt liegt der Versorgungsgrad für Krippenplätze für ein- und zweijährige Kinder bei gerade einmal 23 Prozent.
Kurioser zusammenfall
In diesem Zusammenhang findet Margarete Bause, Grüne Spitzenkandidatin in Bayern, vor allem den Zeitpunkt der Einführung des Betreuungsgeldes „kurios“. Es fällt mit dem Stichtag für den Rechtsanspruch auf eine staatlich geförderte Betreuung von ein- und zweijährigen Kindern“ zusammen – 1. August 2013!
Scharfe Kritik erntet das Betreuungsgeld aber auch von anderer Seite. Norbert Hocke von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sprach beim Betreuungsgeld von „unverantwortlichen Wahlkampfgeschenken“. Statt des Betreuungsgeldes bräuchten Erzieher das, was sie seit Jahren forderten: „Bessere Arbeitsbedingungen, eine solide wissenschaftliche Ausbildung sowie eine deutliche Anhebung der Bezahlung.“
Betreuungsgeld integrationspolitisch falsch
Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht die Bundesregierung mit ihrem „Bildungs-Riester“ sogar auf „gefährliche bildungspolitische Abwege“. Erstmalig würden Bildungschancen von privater Vorsorge abhängig gemacht. „Das ist der Einstieg in die neoliberale Privatisierung von Bildungsleistungen“, warnte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. „Mit einer zeitlich befristeten Prämie sollen junge Familien und Geringverdiener in zweifelhafte Riester-Verträge gelockt werden. Im Grunde genommen handelt es sich hier um ein unlauteres Lockangebot zugunsten der Versicherungswirtschaft“, kritisiert Schneider. Es falle dabei auf, dass hier neue Anreizsysteme für die Riester-Rente just zu einem Zeitpunkt beschlossen werden, wo die Konzerne über mangelnde Zahl an Neuverträgen klagen.
Nicht nachvollziehen kann die Neuregelung auch die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), Christine Langenfeld: „Das Betreuungsgeld ist integrationspolitisch ein schwerer Fehler. Damit werden falsche Anreize gesetzt. Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien mit und ohne Migrationshintergrund sind besonders auf die Förderung in Kitas angewiesen, wenn es in den Familien nicht die nötige Unterstützung gibt. Wenn diese Kinder wegen kurzfristiger finanzieller Vorteile ausschließlich zuhause betreut werden, ist das ein Rückschritt.“
Rentenreform hilft Migranten kaum
Einen Rückschritt ist der Koalitionsgipfel auch für ältere Migranten, die in besonderem Maße von Altersarmut betroffen sind. Während gut 31 Prozent der deutschen Staatsbürger im Niedriglohnsektor (atypisch) waren, betrug diese Quote unter Ausländern über 52 Prozent. Das sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus Juli 2012. Ein Jahr zuvor teilte das Bundesamt zudem mit, dass die Zahl der atypisch beschäftigten vor allem unter Ausländern stetig steigt.
Und gerade die dürften sich auf die neueste Rentenreform der Koalition kaum freuen. Die kommt nämlich nur denjenigen zugute, die 40 Jahre eingezahlt haben und darüber hinaus noch über einen Riester-Vertrag verfügen. „Eine solche private Vorsorge könnten sich aber gerade Geringverdiener nicht leisten“, moniert Sigmar Gabriel. Die wenigen wiederum, die von der Neuregelung profitieren, erhalten dann lediglich um die 15 Euro monatlich mehr als in der Sozialhilfe. Gabriel: „Das ist wohl der Gipfelpunkt des Zynismus!“ (es) Leitartikel Politik
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Auch in diesem Artikel wird zum Teil wieder die pure Unwahrheit verbreitet. Die Wahrheit ist doch: Keine einzige Familie, sei sie migrantisch oder nicht, wird durch die Einführung des Betreuungsgeldes daran gehindert, ihre Kinder in eine Kita zu geben. Kein Mensch ist gesetzlich verpflichtet, das Betreuungsgeld in Anspruch zu nehmen. Wer es beantragt, der tut es absolut freiwillig, und kein Migrant kann hinterher behaupten, er wäre dazu gezwungen worden. Wenn also ein Migrant seine Kinder nicht in die Kita gibt, dann hat er das ausschliesslich alleine zu verantworten, und er kann nicht dem Staat die Schuld daran geben durch die Einführung des Betreuungsgeldes.
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@Harald
Sie haben den Sinn des Betreuungsgeldes nicht erfasst. Damit soll vermieden werden, dass Eltern auf Ihren Rechtsanspruch bestehen eine Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. Natürlich kann ich auf das Betreuungsgeld verzichten. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass nach wie vor nicht genug Plätze vorhanden sind. Das ist der Grund, warum man daran gehindert wird sein Kind in eine KITA zu geben, mal vom Sinn bei unter Dreijährigen abgesehen.
@Harald
Interessant, dass Sie tatsächlich von der flächendeckenden Existenz von Kitas ausgehen und glauben, eine wie auch immer geartete Wahlfreiheit sei bereits gegeben. Das ist ein Irrtum! Wird auch im Artikel erwähnt.
Krippen in Westdeutschland gibt es bislang nur für einen Bruchteil der Kleinkinder und bei Ganztagskindergartenplätzen sieht es bundesweit auch noch übel aus.
Hören Sie bitte auf, die Mütter zu verschaukeln. Entscheidungsfreiheit ist noch lange nicht in Sicht. Alles andere ist pures Gewäsch.