Ethikrat

Beschneidung ja, aber…

Der Ethikrat hat sich für die religiös motivierte Beschneidung von Jungen ausgesprochen und diese an Bedingungen geknüpft. Unterdessen wächst der internationale Druck auf Deutschland, eine Lösung zu finden.

Freitag, 24.08.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.08.2012, 20:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Deutsche Ethikrat hat sich am gestrigen Donnerstag im Rahmen einer öffentlichen Plenarsitzung für die religiös motivierte Beschneidung von Jungen ausgesprochen. Allerdings soll sie an Bedingungen geknüpft werden.

So sollen der Beschneidung eine umfassende Aufklärung und die Einwilligung der Sorgeberechtigten vorangehen. Zudem sollen eine qualifizierte Schmerzbehandlung und eine fachgerechte Durchführung des Eingriffs gewährleistet werden. Schließlich fordert der Ethikrat die „Anerkennung eines entwicklungsabhängigen Vetorechts des betroffenen Jungen“. Darüber hinaus soll die „Entwicklung und Evaluation von fachlichen Standards für die Durchführung der Beschneidung unter Mitwirkung der Betroffenen und der beteiligten Gruppen“ etabliert werden.

___STEADY_PAYWALL___

Einmütige Entscheidung
Grundlage der Diskussion des Ethikrates waren unter anderem Vorträge der Mitglieder Leo Latasch (jüdisch) und Ilhan Ilkılıç (muslimisch). Beide sprachen sich für eine Versachlichung der Debatte und für die Beschneidung aus. Deutliche Bedenken äußerte der Hamburger Strafrechtler Reinhard Merkel. „Der Gesetzgeber ist in einer Art rechtspolitischem Notstand“, sagte er. Nur eine Art „Sonderrecht“ könne die Beschneidung gegen alle strafrechtlichen Einwände für rechtmäßig erklären. Allerdings gebe es wegen des deutschen Massenmordes an den Juden eine „Pflicht zur besonderen Sensibilität“. Im Ergebnis erging die Empfehlung des Ethikrats „einmütig“.

Unterdessen bat der israelische Präsident Schimon Peres Bundespräsident Joachim Gauck, sich für das Recht auf Beschneidungen aus religiösen Gründen einzusetzen. In einem Brief an Gauck betonte Peres, dass die Reaktion der deutschen Regierung und des Parlaments ein gutes Zeichen dafür seien, dass eine gesetzgeberische Lösung für das Recht auf Beschneidung gefunden werde: „Ich bin deshalb zuversichtlich, Herr Bundespräsident, dass Deutschland gemäß seiner Grundwerte daran festhalten wird, dass Juden ihre religiösen Traditionen in Freiheit bewahren können“, so Peres.

Zentralrat gegen Einmischung Israels
Auch der israelische Innenminister Eli Jischai schaltete sich ein und forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich für das Recht auf Beschneidungen einzusetzen. Juden in Deutschland dürften nicht gezwungen werden, sich zwischen der Einhaltung weltlicher und religiöser Gesetze entscheiden zu müssen, schrieb Jischai Zeitungsberichten zufolge.

Diese Forderung wurde vom Zentralrat der Juden in Deutschland allerdings zurückgewiesen: „Weder die Kanzlerin noch die Bundesregierung brauchen Belehrungen aus Israel“, sagte Stephan Kramer, Generalsekretär der Berliner Zeitung. Der Bundestag habe bereits „eindeutig Position bezogen“. Im Juli hatte der Bundestag die Regierung aufgefordert, bis Herbst einen Vorschlag für die gesetzliche Regelung vorzulegen.

Kompromiss möglich
Anlass der Beschneidungsdebatte war ein Urteil des Landgerichts Köln. Der Richter hatte im Mai 2012 die Beschneidung eines vierjährigen Jungen als rechtswidrige Körperverletzung gewertet. Es folgte eine hitzige Debatte und kürzlich auch die erste Strafanzeige wegen Körperverletzung gegen einen jüdischen Rabbiner.

Entsprechend betonte die Vorsitzende des Ethikrates, Christiane Woopen, dass der Ethikrat mit seiner öffentlichen Debatte zur Versachlichung des Diskurses beitragen wolle. Aus Sicht des integrationspolitischen Sprechers der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, ist das auch gelungen. „Die Empfehlungen des Ethikrats bei Beschneidungen sind wegweisend. Sie zeigen auf, dass ein von vielen verschiedenen Stimmen getragener Kompromiss möglich ist“. (eb) Gesellschaft Leitartikel

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Detlev Beutner sagt:

    Und mit welchem Argument würde der „Ethikrat“ (der seinen Namen mit dieser Empfehlung endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben hat) nun die Klitorisvorhautbeschneidung bei Mädchen dennoch verbieten? „Weil das nicht jüdisch ist“? Kultur- und Religionschauvinismus in Reinform?!

    Und die Moslems haben nun ganz offiziell „Glück gehabt“ (aus religiöser Sicht), denn Reinhard Merkel hätte, wäre es ausschließlich um einen nicht-jüdischen Ritus gegangen, keine historische Sonderverpflichtung erkennen können…

    Abstrus, aber vor allem eins: Keine ethischen Maßstäbe zu erkennen, wirklich keinerlei, stattdessen politischer Pragmatismus auf dem Rücken (oder auf der Vorhaut) von Kindern. Ganz großes Ethikkino… :-|

  2. Mercks sagt:

    „Allerdings gebe es wegen des deutschen Massenmordes an den Juden eine „Pflicht zur besonderen Sensibilität“. Im Ergebnis erging die Empfehlung des Ethikrats „einmütig“.

    Ich dachte wir hätten den Juden das in Form von atomarbestückbaren U-Booten wieder gut gemacht und einem Denkmal an den Holocaust an jeder Straßen ecke. was braucht man noch? Sollen die Deutschen die 60 Jahre später auf die Welt gekommen sind immer noch für die Fehler ihrer Großväter gerade stehen? Tun die Juden das denn auch gegenüber ihren eigenen Verbrechen?

    Es wäre natürlich schön für die jüdische Gemeinde und Israel, wenn man die Deutschen mit der Erwähnung vom Holocaust Mund- und Denktod machen könnte, aber ich glaube das wird nicht mehr lange klappen. Die Zeiten gehen so langsam aber sicher vorbei. Schließlich haben die Menschen in Deutschland Hirn im Schädel.

  3. AI sagt:

    Wenn ich daran denke, was „qualifizierte Schmerzbehandlung“ „in“ „Deutschland“ bedeutet. Ich weiss nicht. Und „Sie“ haben nicht „den“ Juden, sondern „dem“ Staat Israel die U-Boote geliefert. Wem denn nicht? Nein nicht für die Verbrechen der Großväter, sondern an Ihren Formulierungen, die Sie hier in einem Forum für Migranten machen, sollten Sie ethische Maßstäbe ansetzen. Wie „Sie“ sich als Gast benehmen haben „Sie“ den Lesern hier bewiesen. Die meisten Großväter die ich kenne (das waren diejenigen die sich nicht bereichert haben) meinten nur eins: Die Nazis haben uns alle belogen, und als es heiss wurde standen wir allein da. Halten Sie lieber das in Ehren, als einen fragilen Staat (und seine Bewohner) zu kritisieren, dessen Existenz direkt was mit Ihren Großvätern (oder ihren Befehlshabern) zu tun hat. Nationalismus und Chauvinismus in Kinoformat. Wenn ich daran denke was mit Kindern in diesem Land alles so passiert, frage ich mich in welchem Deutschland Sie leben.

  4. Mercks sagt:

    @Al
    „Ich weiss nicht. Und “Sie” haben nicht “den” Juden, sondern “dem” Staat Israel die U-Boote geliefert.“

    Also jetzt mal ganz im ernst, aber der Unterschied zwischen Israel und „den Juden“ ist doch ein marginaler. Israel ist nun mal ein jüdischer Gottesstaat, das weiß jedes Kind.
    Wenn man sich mal ankuckt, wieviel die Israelis für diese U-Boote bezahlt haben (siehe: der Spiegel, Druckausgabe), dann steckt in diesem U-Boot eine vernünftige Portion Holocaust-entschuldigung. Israel war das auch ganz bewusst und die haben die Hände dafür großzügig aufgehalten. Wer aber solch ein Geschenk annimmt muss wissen, warum man dieses Geschenk kriegt.

    Worum es mir geht: Israel und ihre Politiker (das gleiche gilt auch für die Türkei) sollen sich aus Angelegenheiten in der BRD heraushalten. Deutschland ist ein souveräner Staat, dessen Bürger sich der Verantwortung gegenüber ihrer Geschichte bewusst und in welcher Form diese Verantwortung ihren Ausdruck erlangt, bestimmen nicht die Isrealis oder die Juden sondern die deutschen Bürger.
    Wenn während der Debatte auch nur mal kurz das Gefühl aufgekommen wäre, dass das Endresultat dieser Debatte nicht schon von vornherein festgestanden hätte, dann hätte man als Beschneidungskritiker wenigstens das Gefühl gehabt es wäre mit rechten Dingen zugegangen. Dies war aber nicht der Fall: Der Beschneidungsaufschub wurde von Herrn Graumann als Holocaust 2.0 verkauft und Innenminister, Außenminister und Staatspräsident aus Israel (frei von Scham und diplomatischer Zurückhaltung) setzen auch noch die deutsche Regierung unter Druck.
    Tut mir leid, aber sonst waren die Juden und die Israelis mir herzlichst egal, aber nach dieser Aktion, kann man wohl nicht mehr auf viel Gegenliebe meinserseits hoffen.

    Die Probleme Israels mit dem Iran gehen mich nichts an. Die sollen kucken, dass sie klar kommen da hinten. Wie sagt man immer gerne: Der Westen soll sich nicht überall einmischen! Und genau das machen wir auch! Israel hat Atomwaffen, das muss reichen.

  5. AI sagt:

    Das ist doch anachronistisch zu denken dass Nationen für sich stehen. Das beziehe ich übrigens dann auch nicht mehr auf historische Ereignisse, wie den Holocaust. Wir reden heute alle miteinander, nicht nur Politiker, da brauchen Sie doch nicht als Deutscher reden, sondern als Mensch. Als Deutscher beschämt es einfach auf der einen Seite solche Staaten für Ihre Unterdrückungspolitik zu kritisieren, auf der anderen Seite 3. grösster Waffenlieferant zu sein. In Israel und der Türkei werden Sie genug Menschen finden die ähnlich denken wie Sie, also brauchen wir nicht auf nationale Interessen zu setzen, sondern auf die der Bevölkerung. Und es gehört hier einfach zum guten Ton nicht zu pauschalisieren. von wegen alle Deutschen sind Nazis, alle Muslime sind, etc. ist doch lächerlich. Natürlich geht Sie (als Deutscher) der Konflikt zwischen Iran und Israel an, beide haben Technik aus unserem Land. Die Einigkeit von „wir“ die Sie hier beschwören existiert einfach nicht.