Stille, unsichtbare Helden

Mitglieder unserer Gesellschaft

Maymuna ist meine stille, unsichtbare Heldin. Jede Nacht um 22 Uhr kommt sie an die Universität und arbeitet bis spät in den Morgen als Reinigungskraft. Um 8 Uhr dann macht sie sich auf den Rückweg. Sie muss dreimal den Bus wechseln um nach Hause zu kommen.

Von Dienstag, 14.08.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 17.08.2012, 3:14 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Maymuna kommt ursprünglich aus Ghana und ist vor 10 Jahren in die Staaten eingewandert. Ihre Familie musste zurückbleiben. Kennengelernt haben wir uns als Maymuna eines Tages an meine Tür klopfte. Sie hatte mein Namensschild gesehen und war stolz, dass eine muslimische Frau an der Universität lebte und unterrichtete. Dass sie schon über 50 Jahre ist, sieht man ihr überhaupt nicht an. Was ihr Geheimnis sei, scherzte ich. Ist es eine besondere Creme die sie so strahlend, dynamisch und jung aussehen lässt? Maymuna lachte dann beschämt und blickte zu Boden. Vom ersten Moment an hatte ich Maymuna ins Herz geschlossen. Wir trafen uns dann fast jeden Tag und erzählten einander von unseren Familien und unserem Leben fernab von den Menschen nach denen wir uns oft sehnten. Maymuna schaute derweil oft auf ihre Uhr und vergewisserte sich, dass sie ihre Pausenzeit nicht überschritt. „Ein gläubiger Mensch muss sein Geld aufrichtig verdienen“, erinnerte sie mich. „Falls ich länger bleibe als erlaubt, steht mir mein Lohn nicht zu und es hat dann ohnehin keinen Segen und Nutzen mehr.“

Maymuna humpelte stark, und als ich sie darauf ansprach, erzählte sie mir, dass ein Betrunkener sie eines Tages im Treppenhaus ihres Hochhauses die Stufen herunter gestoßen hatte. Sie lebte in einer sozial schwachen Gegend und solche Dinge müsse man in Kauf nehmen, sagte sie. Die Welt sei vergänglich und schlechte Menschen müssten am Ende doch Rechenschaft über ihr Handeln abgeben.

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Vor einigen Tagen erzählte mir Maymuna, dass sie jedes Jahr bis zum Ende des Ramadans Nahrung sammelt und es nach Ghana verschiffen lässt: Reis, Öl, Mehl und Nudeln. Ihre Familie ist ihr so dankbar und man kann Maymuna’s Freude darüber an ihrem Gesicht ablesen. Das Fest am Ende des Ramadans in Ghana, obwohl sie selbst nicht daran teilnehmen kann, ist dann auch ein Fest der Erinnerung an Maymuna’s Güte, Warmherzigkeit, Aufrichtigkeit und Opferbereitschaft.

Den größten Teil ihres Lohns schickt sie jeden Monat ihrer Familie. Ihre drei Brüder konnten durch sie schon ihre Pilgerfahrt nach Mekka unternehmen sagt sie voller Stolz und sie betet, dass auch sie eines Tages die Kaaba umrunden darf. Jeden Abend treffen wir uns mit ihr im Gebetsraum der Universität, beten Seite an Seite und danken dem Schöpfer, der uns zusammengebracht hat.

Ich verbringe gerne meine Zeit mit Maymuna. Sie ist gütig, warmherzig, aufrichtig und ihre Selbstlosigkeit ermutigt mich, ein besserer Mensch zu werden. Aber mehr noch: Sie erinnert mich an meine Wurzeln und an die Menschen, die mich mit diesen Werten aufgezogen und sie in ihrem Leben verwirklicht hatten. Mit Maymuna zu sein hieß, meiner Familie nahe zu sein, meinen Eltern und meinen fünf Geschwistern. Vieles, was Maymuna mit mir teilte, spiegelte die Erlebnisse und Lebensrealitäten meiner Familie wieder.

Ich erinnerte mich daran wie meine Mama und ich jeden Morgen um 5 Uhr aufstanden und zur Arbeit gingen. Penibel, wie sie war, musste alles extrem blitzeblank sein, und wenn ich mich beschwerte, dass sie zu gründlich sei, so bekam ich oft dieselben Antworten wie die von Maymuna zu hören. Gott liebt das Schöne und alles was wir tun sollte so schön wie möglich sein, ermahnte mich meine Mama dann. Armut und Bildungslosigkeit hatte sie dazu gebracht unfreiwillig auszuwandern. Doch sie war stets großzügig im Geben und wann immer wir Obdachlosen begegneten teilte sie das Wenige was sie hatte. Mama nahm nicht nur die Herausforderung auf, sich von Grund auf ein neues Leben in einem neuen Land aufzubauen, sondern versorgte ihre sechs Kinder und ihre Familien, die im Dorf zurückgeblieben waren. Ein einfacher Mensch war sie, mit einer einfachen Bildung. Die Schule war ihr verwehrt. Doch ihre soziale Intelligenz überstieg die der meisten. Nach der Arbeit trafen sich die Frauen dann zum Gespräch und hörten einander zu. Oft wirkten solche Runden wie Gruppentherapien, man tauschte sich aus und schöpfte Kraft voneinander. In meiner 30-jährigen akademischen Laufbahn war es nicht die formelle Bildung, die so prägend in meinem Leben war, sondern die informelle, die ich von diesen starken Frauen erhielt und als großen Segen empfand.

Generationenkonflikte, Fremdheitsgefühle, Sprachbarrieren, gesellschaftliche Diskriminierungen, Fragen über ihre muslimische Identität in einem neuen Kontext und Schuldgefühle darüber, dass sie ihre Familien hatten zurücklassen müssen und nicht immer bei ihnen waren – all das war für Maymuna, Mama und ihresgleichen alles andere als fremd.

Es ist daher traurig, dass abseits all der Wichtigkeit der integrationspolitischen Debatten diese Menschen nicht mit derselben Güte und Warmherzigkeit behandelt werden, die sie zeit ihres Lebens anderen zugutekommen ließen. In einer fast schon herablassenden Art urteilt man über sie und ihr Leben – ein Leben, dass viele nie gelebt haben. Wie viele von uns haben als Auswanderer ein komplett neues Leben beginnen müssen, selbstverständlich unter all denselben harten Bedingungen?

Man könnte sich daher fragen, ob viele der unsichtbaren, stillen Helden die jeden Tag unseren Bürotisch wischen, unsere Banken, Schulen und Kaufhäuser sauber halten, vielleicht nicht doch integrierter in ihrem Menschsein sind als viele von uns. Gewiss, die Sprache und die formelle Bildung mögen nicht vorhanden sein. Doch das allein macht einen nicht zu einem vollen Mitglied dieser Gemeinschaft.

Wenn wir uns ein wenig Zeit nehmen würden, stille Helden wie Maymuna kennenzulernen und sie aus der Unsichtbarkeit ins sichtbare Licht zu bringen, vielleicht gelingt es uns dann einander näher zu kommen und uns stärker als verschiedene Mitglieder dieser Gemeinschaft zu würdigen.

Am vergangenen Muttertag sehnte ich mich nach meiner Mama, wie sie mir oft über den Kopf streichelte während ich in ihrem Schoß lag und mir von vergangenen Zeiten im Dorf erzählte. Ich entschloss mich Maymuna einen Blumenstrauß und Pralinen zu kaufen und als sie mich aus Dankbarkeit in ihre Arme schloss, verging die Sehnsucht. Sie sind alle unsere Mütter, sie sind alle unsere stillen Helden. Sie verdienen alle unsere Liebe und unseren Respekt. Aktuell Meinung

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  1. El-Sid sagt:

    Eine anrührende Geschichte, die Sie da erzählen, Frau Sayılgan. Erinnert ein wenig an Boothby, den Gärtner der Sternenflottenakademie in »Star Trek«, ein einfacher, aber kluger und warmherziger Mann, den Captain Picard in der Folge »Final Mission« als einen der weisesten Männer, denen er jemals begegnet ist, bezeichnet hat. Captain Picard konnte von Mr. Boothbys Erfahrung und Klugheit allerdings nur profitieren, weil beide dieselbe Sprachen gesprochen haben. Fehlt diese Gemeinsamkeit, dürfte die Kommunikation in der realen Welt schwierig bis nahezu unmöglich sein, es sei denn, Sie verraten mir den Trick, wie man jemandem seine Wertschätzung ausdrückt, der einen nicht versteht. Einen solchen Trick muss es aber anscheinend geben, denn eine gemeinsame Sprache »allein macht einen nicht zu einem vollen Mitglied dieser Gemeinschaft.«

    Überhaupt scheinen Sie den Umstand zu beklagen, dass neben Bildung und Sprache Sekundärkompetenzen von Migranten in der Wahrnehmung der einheimischen Bevölkerung zu kurz kommen. Soziale Intelligenz, Mitgefühl und Großzügigkeit im Geben werden im rauen Alltag der Realität oftmals ignoriert und »in einer fast schon herablassenden Art« wird über diese Menschen geurteilt. Es geht Ihnen also um den Respekt, den man es diesen Menschen gegenüber mangeln lässt. Neben meiner Ausgangsfrage, wie man seinem Gegenüber ohne gemeinsame Kommunikationsbasis Respekt zollen will, drängt sich in diesem Zusammenhang noch ein zweiter Gesichtspunkt auf: Respekt kann nämlich auch die Aufnahmegesellschaft verlangen und diesen Respekt muss man sich verdienen. Am einfachsten und schnellsten geht das über das Erlernen der Sprache, weil Migranten damit zugleich zeigen, dass sie die Absicht haben, in einer für sie zunächst fremden Gesellschaft dauerhaft Fuß fassen zu wollen. Andere sog. »Soft Skills« können hier flankierend zwar greifen, ersetzen können sie die Sprache als Grundvoraussetzung für Integration aber nicht.

  2. Cengiz K sagt:

    ja, sehr tapfere Frau diese Maymuna..

  3. Cengiz K sagt:

    …Erinnert ein wenig an Boothby, den Gärtner der Sternenflottenakademie in »Star Trek«, ein einfacher, aber kluger und warmherziger Mann, den Captain Picard in der Folge »Final Mission« als einen der weisesten Männer, denen er jemals begegnet ist, bezeichnet hat. Captain Picard konnte von Mr. Boothbys Erfahrung und Klugheit allerdings nur profitieren, weil beide dieselbe Sprachen gesprochen haben….

    Sie definieren Ihr Niveau El-Sid.. Für jeden mündigen und braven Bürger muss es in der beschworenen „Fremde“ wahrscheinlich auch den Stiefellecker geben.. Es freut mich für Sie, dass Sie Ihre Rolle in der BRD-Gesellschaft gefunden zu haben scheinen.. Es könnte Ihnen nicht schaden mal „out-of-the-box“ zu denken, aber vielleicht braucht’s bei Ihnen noch ein wenig an Lebenserfahrung..

  4. Jeanne sagt:

    @ El Sid, es ist möglich, eine gemeinsame Kommunikationsbasis herzustellen. Wissen sie, dass wir nicht nur Worte benutzen, um zu sprechen? Ich gebe ihnen den Tip, den ich von Marshall Rosenberg habe, sich in Begegungen mit anderen Menschen zwei Fragen zu stellen: was macht uns lebendig? Und was können wir tun, um das Leben schöner zu machen?
    Außerdem ist es interessant, wie sie über die“ Aufnahmegesellschaft“ sprechen. Es scheint mir, dass sie als ein Vertreter/Repräsentant dieser Respekt fordern. Ja, jeder Mensch verdient Respekt.
    Verdient aber eine Struktur/ein System („die Aufnahmegesellschaft“) die nicht selten diskriminiert und bestraft Achtung? Ich vermute, dass auch Ihnen das schwerfallen würde.

  5. Neşe Tüfekçiler sagt:

    @El Sid
    Wenn Sie schon im Kopf die Hürde haben, dass sich jemand, den Sie nicht kennen Respekt verdienen MUSS, dann stehen Sie nicht auf Augenhöhe sondern profilieren sich als eine Art ‚Herrenmensch‘! Solange Sie diese Hochmutsphase nicht ablegen, werden Sie trotz selber Sprache niemals jemanden wirklich kennen lernen, da Sie sich selbst isolieren.

    Der Beitrag von Frau Sayılgan zeigt ganz klar das Gefühl der Verbundenheit zwischen Migranten/Migrantenkindern auf, die sich auf ähnliche oder gleiche Lebenserfahrungen der Migrationsgeschichte beruft, ohne die selbe Herkunft oder Sprache zu haben. Sehr schön geschrieben, vielen Dank dafür :D

  6. Beobachter sagt:

    Vielleicht meint El Sid eine andere Art von Respekt, nämlichen jenen Respekt den gewisse Mitglieder von Gangs einfordern weil es Ihnen Ihrem Ehrgefühl nach zusteht.

  7. Esker sagt:

    @elsid: Als Mutter mehrerer kleiner Kinder und eines behinderten sprachunfähigen Kindes entsetzt mich Ihre Aussage, dass die Vermittlung von Wertschätzung nur über Sprache möglich sei. Das heißt Millionen auch deutscher Menschen, kleine Kinder, Behinderte, Schlaganfallpatienten, nicht mehr richtig sprechende Senioren, Unfallopfer, Stumme u.a. sind vom Thema Wertschätzung ausgeschlossen. Dabei verstehen es doch gerade diese Personen oft am allerbesten, Liebe, Wärme und Anerkennung zu vermitteln. Es Ist einfach absurd! Da sieht man, was dabei herauskommt, wenn man, wie Sie anscheinend den Intellekt, der eigentlich nur ein Werkzeug des Menschen sein sollte, zum obersten
    Herrscher erklärt!

  8. Lothar Schmidt sagt:

    @Esker

    Ich bin entsetzt, dass Sie alle „Behinderten“ in einen Topf werfen!

  9. Esker sagt:

    @Lothar Schmidt.. Nein, das tue ich nicht . Thema dieses Artikels war die Bedeutung der Sprache. Dann ist doch logisch und selbstverständlich , dass ich in meinem Kommentar von behinderten Menschen spreche, die gerade hierin, nämlich in ihrer Sprachfähigkeit beeinträchtigt sind.