Betreuungsgeld

Nicht alles Gold, was glänzt

Sozial fortschrittliche Länder haben bereits ein Betreuungsgeld, doch die Erfahrungen sind eher schlecht - eine Zusammenfassung der Situation in europäischen Ländern und Thüringen. Dort gibt es Betreuungsgeld schon seit 2006.

Dienstag, 26.06.2012, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.06.2012, 0:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Bundesrepublik folgt dem Beispiel Finnlands, Norwegens und Schwedens, wenn sie hierzulande ab 2013 das Betreuungsgeld einführt – eine monatliche Zuwendung für Eltern, die ihr Kleinkind zuhause betreuen. Wer für den Nachwuchs im zweiten Lebensjahr keinen Platz in einer Kindertagesstätte (Kita) beansprucht, erhält ab 2013 monatlich 100 Euro als so genannte Herdprämie, ab 2014 gilt die Regelung für Kinder bis zu drei Jahren und die Leistung erhöht sich auf 150 Euro. In Finnland gibt es das Betreuungsgeld schon seit 1985, Norwegen führte es 1998 ein, und Schweden zog vor vier Jahren nach.

Die skandinavischen Länder gelten hinsichtlich ihrer sozial-, bildungs-, arbeitsmarkt-, umwelt- und familienpolitischen Maßnahmen als Spitzenreiter und werden als die sozial gerechtesten Staaten innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingestuft. Damit bieten sie jedem Einzelnen die zurzeit bestmöglichen Optionen, gleichberechtigt an Bildung, Arbeitsmarkt und Wohlstand teilzuhaben. Doch auch wenn sie in der Gesamtbewertung glänzen, ist noch lange nicht jede politische Initiative im nordischen Raum nachahmenswert.

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Denn die Bewertung des Betreuungsgelds in Finnland, Norwegen und Schweden fällt insgesamt negativ aus. Obwohl zwischen den Ländern große Unterschiede hinsichtlich der Inanspruchnahme bestehen, gilt für alle, dass die Mehrheit der Empfänger Frauen sind. Das verstärkt nicht nur traditionelle Rollenmodelle, sondern führt dazu, dass Frauen ökonomisch von ihren Partnern abhängig werden. Vor allem, weil die Bezieherinnen von Betreuungsgeld größtenteils über ein geringes Einkommen und einen niedrigen Bildungsstand verfügen. Häufig haben sie zudem einen Migrationshintergrund. Deshalb steht die OECD dem Betreuungsgeld skeptisch gegenüber: Für zugewanderte Frauen biete das Betreuungsgeld Anreize, zu Hause zu bleiben und reduziere ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt um bis zu 15 Prozent. Seit Einführung des Betreuungsgelds nehmen in Norwegen Kinder aus Einwandererfamilien zudem seltener an frühkindlicher Bildung teil. Doch gerade der frühe Besuch von Bildungseinrichtungen, so die OECD, erhöhe die Bildungsleistungen speziell von Migrantenkindern. In Deutschland etwa entwickeln sich Kinder mit Migrationshintergrund und niedrigem sozio-ökonomischem Status hinsichtlich ihrer Sprachfähigkeit häufig nicht altersgemäß. Ein Grund dafür ist, dass sie seltener frühkindliche Bildungsangebote wahrnehmen. Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsniveau und geringem Einkommen besuchen die Kita im Schnitt später. Dadurch sind sie oft sehr kurz – nicht einmal zwei Jahre – in öffentlichen Einrichtungen. Das geplante Betreuungsgeld droht nun, diese sozialen Ungleichheiten noch zu verstärken.

Betreuungsgeld in Thüringen
Nicht nur Kinder im Betreuungsgeldalter selbst sind von schlechterem Bildungszugang betroffen, sondern auch ihre älteren Geschwister. Das ergab jüngst eine Untersuchung in Thüringen, wo es bereits seit 2006 eine Form des Betreuungsgeldes gibt, die dem gesamtdeutschen Konzept sehr ähnlich ist: Der Leistungsbetrag liegt bei 150 Euro, wird jedoch nur für zweijährige Kinder ausgezahlt. Wenn Drei- bis Fünfjährige einen Bruder oder eine Schwester im Betreuungsgeldalter haben, geht ihre Teilnahme an öffentlichen Bildungsangeboten um 30 Prozent zurück. Mütter, die ohnehin zuhause bleiben, um sich um ihr Kleinkind zu kümmern, entscheiden sich also oft, ihre älteren Kinder gleich mit zu betreuen. Die großen Brüder und Schwestern können dann ebenfalls nicht von den Betreuungs- und Bildungsangeboten in der Kita profitieren, obwohl sie bereits heute einen Rechtsanspruch auf einen Platz haben.

Dieser Anspruch weitet sich in Deutschland ab 2013 auf alle Ein- bis Dreijährigen aus. Bei einem derzeit deutschlandweiten Mangel von 160.000 Krippenplätzen, 14.000 Erziehern und 16.000 Tagesmüttern dürfte es jedoch schwierig werden, den Rechtsanspruch auch tatsächlich zu gewährleisten. Die zur Verfügung stehenden Betreuungsplätze werden somit auch weiterhin darüber mitbestimmen, ob Eltern ihre Kinder zuhause erziehen. Auch in Norwegen gab es Mitte der 1990er Jahre, als das Betreuungsgeld eingeführt wurde, zu wenige öffentliche Betreuungseinrichtungen. 75 Prozent aller Eltern bezogen damals Betreuungsgeld. Heute gibt es dort genügend Plätze und die Gebühren für die Kitas sind gesunken. Die Folge: Nur noch ein Viertel der Eltern bezieht Betreuungsgeld. Auch in Schweden, wo es schon zu Beginn der Reform genügend Betreuungsplätze gab, entscheiden sich nur knapp fünf Prozent der Eltern, denen das Geld zur Verfügung stünde, für die Betreuung zuhause. In Finnland hingegen wird das Betreuungsgeld vor allem eingesetzt, um den Bedarf an staatlichen Einrichtungen zu verringern. Zudem sind die Voraussetzungen für Frauen, in Teilzeit zu arbeiten, dort sehr schlecht. Deshalb nehmen mehr als die Hälfte der Eltern von Kindern unter drei Jahren das Betreuungsgeld in Anspruch.

Solange in Deutschland Betreuungsplätze fehlen, dürfte auch die Zahl derjenigen, die eine „Herdprämie“ beziehen wollen, hoch liegen. Nach den Erfahrungen der nordischen Länder werden dies häufig Familien sein, die von frühkindlichen Bildungsangeboten besonders profitieren würden. Norwegen und Schweden konnten diesen Missstand zumindest teilweise auflösen, indem sie ausreichend Plätze zur Verfügung stellten. Zumindest in dieser Hinsicht können die nordischen Staaten doch als Vorbilder gelten – unabhängig davon, ob die „Herdprämie“ nun kommt oder nicht.

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  1. Sinan A. sagt:

    In der NDR Sendung „Extra 3“ sang eine Damenriege der Ministerin Schröder nach der Melodie von Johanna von Koczians „Das bißchen Haushalt“ was vor.

    http://youtu.be/T71FPSwl7Hg?t=2m4s

    Schaut es euch an, haltet kurz inne und überlegt – jetzt mal unabhängig von der Person Schröder – ob das die Leute sind, denen Chancengleichheit und die Perspektiven von Migranten am Herzen liegen. Leichte Skepsis ist da angesagt.

    Und schaut mal nach den Instituten, die sich so vehement gegen das Betreuungsgeld stark machen. Sind das nicht genau die gleichen, die sonst immer ein düsteres und abwertendes Bild von Zuwanderern zeichnen? Ja, das sind sie.

  2. Albrecht Hauptmann sagt:

    Sinan, kommen Sie doch endlich mal aus der „Ich bin ein armer Migrant“-Ecke raus. JEDER kann es hier in diesem Land zu was bringen, siehe Öger, siehe D. Asyl, siehe Bushido. Liegt Ihnen soviel am Herzen, dass die Deutschen (deren Kultur und Verhalten Sie doch sowieso nicht sonderlich schätzen) Sie dauernd umarmen und loben? Mein Gott, es gibt viele Minderheiten, die von der vermeintlichen Mehrheit nicht anerkannt werden. Scheißen Sie auf die Mehrheit, sorry. Werden Sie endlich Erwachsen!

  3. Gabriele Boos-Niazy sagt:

    Ich muss sagen, dass mich die Einseitigkeit des Artikels schon ziemlich enttäuscht – da bin ich von Euch Besseres gewohnt.
    Keine Erwähnung findet z.B., dass das Betreuungsgeld nicht nur dann gezahlt wird, wenn die Betreuung zuhause stattfindet. Man kann das Geld auch als Zuschuss für eine Tagesmutter, ein Au-pair oder die Oma einsetzen. Ebenso fehlt der Hinweis darauf, dass in den genannten Staaten das Betreuungsgeld deutlich höher liegt als in Deutschland, der Anreiz dort also allein deswegen schon höher ist (Finnland: 320.- Euro, Norwegen: 430.- Euro).
    http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-herdpraemie-betreuungsgeld-in-skandinavien-ist-ein-reinfall-1.1336940
    Mit keinem Wort wird erwähnt, dass die Qualität fast der Hälfte der KITAS sehr zu wünschen übrig lässt, der Betreuungsschlüssel etwa doppelt so hoch liegt, wie in den Musterländern und hierzulande keine Qualitätskontrollen durchgeführt werden.
    http://www.zeit.de/gesellschaft/familie/2012-05/krippen-ausbau-qualitaet/komplettansicht?print=true
    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/kita-ausbau-hilfskraefte-und-schlecker-frauen-als-erzieherinnen-a-838091.html
    http://www.zeit.de/politik/deutschland/2012-05/kita-ausbau-kommentar
    http://www.dradio.de/dlf/sendungen/studiozeit-ks/1740742/

    Allein der Vorschlag, die Schleckerfrauen könnten ja für die fehlenden ErzieherInnen einspringen, zeigt die Verzweiflung und Unfähigkeit, aber auch die „Wertschätzung“ der Kinder durch die politisch Verantwortlichen.
    Ein Krippenplatz für unter 3jährige kostet zwischen 1.400 und 1.500 Euro pro Kind und Monat. Was anderes könnte dadurch, dass der Staat dieses Geld aufwenden will, signalisiert werden, außer, dass Eltern unfähig sind ihre Kinder zu erziehen und alle anderen das besser können?
    Doch, da fällt mir glatt ein anderer Grund ein: Die Arbeitsmarktpolitik und der drohende Mangel an Arbeitskräften.
    http://www.dradio.de/aktuell/1775898/
    Diese 1500 Euro sind Teil der Finanzierung des Arbeitsplatzes einer gering bezahlten Frau, die mit einem Teil davon wiederum Beiträge zur Sozialversicherung leistet. Dadurch erhält die (meistens ja wohl erziehungsschwache Unterschicht)mutter die Gelegenheit ihren Traumberuf als Kassiererin oder Putzfrau auszuüben und kann dadurch ebenfalls Beiträge zur Rentenversicherung leisten. Besser kann es doch nicht sein: zwei Frauen in Arbeit und als wertvolle, weil steuerngenerierende Mitglieder der Gesellschaft, zudem später mit reichlicher Rente vor Altersarmut geschützt ;) statt einer arbeitslosen Schleckermitarbeiterin, Entschuldigung, ich meinte natürlich Erzieherin und einer zu Hause sich auf dem Sofa fläzenden Mutter, die ihr Kind vor dem Nachmittagsprogramm der Privaten parkt und mit Chips füttert – alle anderen, sprich, gebildeteren Mütter haben ja ein genuines Interesse daran, ihre Kinder so früh wie möglich aushäusig zu erziehen.
    Allerdings muss man sagen, dass die Politik heutzutage ehrlicher ist. Früher hat man mittels Etiketten wie „Rabenmütter“ oder positiver mit dem Schlagwort „Neue Mütterlichkeit“ versucht die Frauen aus dem Arbeitsmarkt zu drängen, wenn die Arbeitslosigkeit hoch war und wenn man sie brauchte, dann wurden alle Frauen, die „nur“ Familienarbeit leisteten zum „Heimchen am Herd“, dem Inbegriff der unemanzipierten Frau.

    Mir kommt ja ab und zu eine Frage in den Sinn, die bisher keiner öffentlich gestellt hat – vermutlich darf man sie nicht stellen, ohne sich mangelnder Motivation zur Integration verdächtig zu machen: Wenn ein Kind schon im Kleinkindalter ganztags betreut wird, wie soll da eigentlich die so hoch gelobte zweisprachige Erziehung gelingen? Von der Vermittlung bestimmter – natürlich verfassungsgemäßer – Werte, die sich vielleicht aber nicht ganz z.B. mit dem Konsumwahn, den Umgangsformen und den favorisierten Freizeitbeschäftigungen der Mehrheitsgesellschaft decken, mal ganz abgesehen – einer „alternativen“ Erziehung sozusagen. Und jetzt soll bitte keiner sagen, dass die Erzieherinnen auf die Vermittlung dieser Vorstellungen keinen Einfluss haben. Wer das meint, unterhält sich nicht genug mit seinen Kindern.

    Und zu guter Letzt: das Wort „Herdprämie“ wurde nicht zu Unrecht 2007 als Unwort des Jahres gewählt, weil es alle Eltern beleidigt und diffamiert, die aus den unterschiedlichsten Gründen eine Betreuung innerhalb der Familie oder in einer nicht-staatlichen Einrichtung einem Krippenplatz vorziehen. Und die Kinder werden als diejenigen stigmatisiert, denen man Bildung vorenthalten hat, sozusagen als“Dumpfbacken natur“.

  4. s.maier75 sagt:

    Die Lebensmodelle von Familien sind unterschiedlich. Diesem Umstand muss Familienpolitik gerecht werden und angemessene Rahmenbedingungen für ganz unterschiedliche Lebensumstände schaffen (Dr. Klaus Zeh) http://www.atkearney361grad.de/2012/06/22/erziehungskompetenz-erkennt-man-nicht-am-portemonnaie/