Studie

Betroffene wollen Doppelpass

67 Prozent der Ausländer wollen bei Einbürgerung die Beibehaltung ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit. Viele Optionspflichtige hoffen auf eine Gesetzesänderung. Das sind Ergebnisse zweier Evaluationsberichte der Bundesregierung.

Montag, 25.06.2012, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

„Die Forschungsberichte belegen einen pragmatischen Umgang der jungen Menschen mit ihrer Optionspflicht. Aktueller gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist aus dieser ersten Zwischenbilanz nicht ersichtlich.“ Mit diesen Worten verteidigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht am Freitag in Berlin. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte zwei Studien vorgelegt, in denen die Optionsregelung aus der Sicht der Betroffenen und das Einbürgerungsverhalten von Ausländern untersucht wurden.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) ergänzt: „Es ist höchst erfreulich, dass sich 98 Prozent der Optionspflichtigen, von denen bisher Rückmeldungen vorliegen, dafür entschieden haben, Deutsche zu bleiben.“ Auch für den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Günter Krings (CDU), ist die Sache klar: „Wenn sich die große Mehrheit der jungen Menschen bereits weit vor ihrem 23. Geburtstag entscheidet und nahezu alle die deutsche Staatsangehörigkeit wählen, beweist das, wie gut die jetzige Regelung wirkt.“

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Info: Ab dem Jahr 2000 ermöglichte die Einführung des Geburtsortprinzips (ius soli) in Deutschland geborenen ausländischen Kindern unter bestimmten Voraussetzungen den Erwerb der dt. Staatsan- gehörigkeit bereits mit der Geburt. Gemäß einer Über- gangsregelung konnte dies im Jahr 2000 auch rückwirkend für Kinder im Alter von bis zu zehn Jahren beantragt werden. Alle ius soli-Deutschen unterliegen jedoch der sogenannten Optionsregelung, die eine Entscheidung entweder für die dt. oder für die ausl. Staats- angehörigkeit zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr vorschreibt. Zwischen 2000 und 2010 haben rund 444.000 Kinder die dt. Staatsbürger- schaft auf Option erhalten.

Lediglich das Verfahren müsse vereinfacht werden, räumt Böhmer ein. „Der Deutsche Städtetag rechnet insbesondere ab 2018 mit einer hohen Belastung, wenn die Optionszahlen von zur Zeit jährlich etwa 4.000 auf rund 40.000 ansteigen werden.“ Und es mache keinen Sinn, dass junge EU-Bürger der Optionsregelung unterliegen, „da bei ihnen Mehrstaatigkeit generell hingenommen wird.“ Deshalb spreche ich mich dafür aus, dass in Deutschland lebende Jugendliche, die sowohl die deutsche Staatsangehörigkeit als auch die eines anderen EU-Landes besitzen, aus der Optionsregelung herausgenommen werden“. Soweit die Bundesregierung.

Kritik am Optionsmodell bestätigt
Ganz anders die baden-württembergische Ministerin für Integration, Bilkay Öney (SPD). Sie sieht die Kritik an der Optionspflicht für junge Doppelstaater bestätigt. Die Zahlengrundlage der Evaluation sei wenig aussagekräftig. Öney: „Bei den befragten Optionspflichtigen handelt es sich um Kinder, für die ihre Eltern im Jahr 2000 auf Grund einer Übergangsregelung ausdrücklich einen Einbürgerungsanspruch geltend gemacht haben. Es ist kein Wunder, dass bei diesen jungen Menschen und ihren Familien die endgültige Option für den deutschen und gegen den ausländischen Pass nur selten zu Verunsicherung und Gewissenszweifeln führt.“ Bei Kindern ausländischer Eltern, die ab dem Geburtsdatum 1. Januar 2000 von Gesetzes wegen, also ohne Antrag, zunächst die deutsche neben ihrer ausländischen Staatsangehörigkeit besitzen, sei diese Konfliktsituation deutlich anders zu bewerten. Dies werde sich spätestens ab dem Jahr 2018 zeigen, wenn die ersten dieser Kinder volljährig würden.

Aufschlussreich seien da ganz andere Zahlen. Einer der Hauptgründe, die befragte Ausländer gegen einen Einbürgerungsantrag angeführt haben, ist laut Evaluationsbericht der Wunsch nach Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit (67 Prozent). Öney: „Offenbar gibt es viele ausländische Bürger, die sich nur deshalb nicht einbürgern lassen wollen, weil sie zugleich ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben müssen.“ Bezeichnend sei auch die Aussage der Studie, wonach viele Optionspflichtige sich nur zögerlich bei den Staatsangehörigkeitsbehörden gemeldet haben, weil sie den Wunsch hatten, beide Staatsangehörigkeiten behalten zu können und auf eine Gesetzesänderung hierzu hoffen.

Download: Die Studien „Die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht aus der Sicht von Betroffenen“ sowie „Einbürgerungsverhalten von Ausländerinnen und Ausländern in Deutschland sowie Erkenntnisse zu Optionspflichtigen“ sind als PDF-Dateien frei abrufbar. Eine Kurzfassung der beiden Studien gibt es hier. Die Broschüre kann ebenfalls heruntergeladen werden.

Böhmer: Entscheiden Sie sich für Deutschland
Diese Erkenntnisse lassen Friedrich, Krings und Böhmer außen vor. Ihnen ist die gezielte und bessere Information der Jugendlichen wichtiger: „Viele Jugendliche fühlen sich schlecht informiert oder verstehen die komplizierten rechtlichen Regelungen nicht“, so Böhmer. Aus diesem Grund starte sie eine Informationsoffensive, die die Jugendlichen und ihre Eltern über das Optionsverfahren informieren soll. Ob mit einer Broschüre die weitverbreiteten Informationslücken geschlossen werden kann, darf bezweifelt werden. Böhmer jedenfalls fordert die betroffenen Jugendlichen und ihre Eltern auf, „die im Internet vorliegende Broschüre zu lesen und sich beraten zu lassen“.

Böhmer weiter: „Entscheiden Sie sich dafür, die deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten“. Sie biete viele Chancen und Möglichkeiten. „Mit ihr haben Sie das Recht, an Volksentscheidungen und an allen Wahlen teilzunehmen und auch gewählt zu werden. Sie bestimmen mit in Deutschland! Die optionspflichtigen Jugendlichen sind Teil unseres Landes. Sie sind hier geboren und zur Schule gegangen. Ihre Familien und ihre Freunde leben oft hier. Sie gehören zu unserem Land.“ (bk) Gesellschaft Leitartikel Studien

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  1. Krupunder sagt:

    Ich finde es richtig. Ganz oder gar nicht.

  2. Klaus J. Bade sagt:

    Ministerin Bilkay Öney hat Recht. Die Studie ist gut, wird vom BMI aber falsch interpretiert: Bei der qualitativen Studie zur Optionsregelung wurden in 27 Leitfrageninterviews und einer vertiefenden Gruppendiskussion Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 20 Jahren befragt, die sich nach §40b StAG haben einbürgern lassen unter Verzicht auf die zweite, ererbte Staatsangehörigkeit.

    Wortlaut von §40b StAG: „Ein Ausländer, der am 1. Januar 2000 rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist auf Antrag einzubürgern, wenn bei seiner Geburt die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 vorgelegen haben und weiter vorliegen. Der Antrag kann bis zum 31. Dezember 2000 gestellt werden.“

    Es sind hier also nur die Sonderfälle der seinerzeit auf Antrag der Eltern noch berücksichtigten Kinder befragt worden. Für die Beantwortung der Frage nach der allgemeinen Akzeptanz des Optionsmodells ist das eine unzureichende Grundlage. Zu den Forschungsergebnissen gehört auch die Information, dass die jungen Leute sagen, sie hätten sich ohne Einfluß der Eltern aus eigenem Antrieb für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Das ist ebenfalls problematisch, weil die Eltern ihnen ja seinerzeit das Tor dazu geöffnet hatten, als sie selber noch unmündige Kinder waren. Das war der entscheidende Elterneinfluß! Und Eltern, die (vernünftigerweise) so handelten, prägen natürlich auch das Einbürgerungsverhalten ihrer Kinder in dieser Hinsicht, ob das nun jeden Morgen beim Frühstück angesprochen oder unausgesprochen vorgelebt wird. Das BMI zieht hier also wieder einmal aus einer wissenschaftlichen Studie die falschen Folgerungen.
    Prof. Dr. Klaus J. Bade

  3. Non-EU-Alien sagt:

    Zitat: <>

    Das macht ja Sinn…lol… Gleiche Voraussetzungen sind nicht gegeben, wegen Herkunft (§3 GG)… Was ist mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz? Ich denke, dass die Bundesregierung am liebsten das Spielchen auch mit EU-Bürgern durchziehen würde, dass aber wegen diverser Richtlinien aus Brüssel nicht geht!

    Ich lebe schon mehr als 30 Jahre in Deutschland, bin voll integriert, aber vollkommen willkommen fühlte ich mich sehr selten… Schade eigentlich, weil Deutschland meine Heimat ist, zwar nicht mein Vaterland, aber meine Heimat. Und ich habe keine andere Heimat!!!

  4. Cajun Coyote sagt:

    Optionspflichtige wollen sich ebensowenig entscheiden, wie Steuerpflichtige Steuern zahlen wollen. Okay, das ist verständlich. Es ist aber sehr die Frage, ob ein Staat solche Wünsche berücksichtigen sollte.

  5. Songül sagt:

    @Cajun Cojote

    Ihr Vergleich hinkt gewaltig.
    Welchen Nachteil hat die BRD, wenn ich meine türkische Staatsbürgerschaft beibehalte?
    Scheinbar einen ganz speziellen, der sich mir nicht erschließt und bei gleichzeitiger Mehrstaatigkeit von EU-Bürgern nicht zustande kommt.
    Große Kampagnen werden gestartet, wir werden heiß umworben – schließlich macht man sich Sorgen um die Renten des Landes…
    Ohne mich (und die 67%), solange ich auf die türkische Staatsbürgerschaft verzichten muss. Das ist eine Sache des Prinzips. Ja, ich versage mir damit das Recht an Wahlen und Volksentscheidungen teilzunehmen. Aber auch nur, weil ich davon überzeugt bin, dass in diesem Fall keine Stimme (als deutliches Signal) mehr bewirken kann, als eine von Millionen Wählerstimmen.
    Manchmal muss man eben Prioritäten setzen.

  6. Gero sagt:

    Ja, ich versage mir damit das Recht an Wahlen und Volksentscheidungen teilzunehmen. Aber auch nur, weil ich davon überzeugt bin, dass in diesem Fall keine Stimme (als deutliches Signal) mehr bewirken kann, als eine von Millionen Wählerstimmen.
    Manchmal muss man eben Prioritäten setzen.
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    Es muss schon sehr kurzsichtig sein, wenn man sich selbst der politischen Teilhabe als Bürger des Landes beraubt, in dem man geboren wurde… aber … „man muss ja Priroritäten setzen“.

    Das sagt schon alles.

  7. Albrecht Hauptmann sagt:

    Songül, warum wollen Sie eigentlich Ihren türkischen Pass behalten? Fühlen Sie sich als türkischer Staatsbürger?

  8. Zensus sagt:

    Das Problem der Doppelstaatlichkeit ist rein türkisch. Für EU-Bürger, Amerikaner, Japaner ist sie völlig irrelevant.
    Warum also sollte sich der deutsche Staat der Option der rechtsicheren Ausbürgerung illoyaler Gruppierungen, natürlich nur bei Bedarf, entledigen?

  9. Merkel sagt:

    @Zensus

    „Das Problem der Doppelstaatlichkeit ist rein türkisch. “

    Stimmt, anderen Staatsbürgern macht man nicht solche Probleme. Ich lebe in den USA und die meisten Deutschen, die hier leben, haben beide Staatsbürgerschaften. Wenn es einen selbst betrifft, ist es plötzlich ganz selbstverständlich, dass man volle Staatsbürgerrechte in dem Land haben möchte, in dem man lebt und gleichzeitig jederzeit zurückgehen können möchte.

  10. Songül sagt:

    @Gero

    Als kurzsichtig empfinde ich all diejenigen, die ohne einen Perspektivwechsel auch nur mal zu wagen, vorschnell Urteile fällen. Wo ich geboren bin, wie alt ich bin und welche Zukunftspläne ich habe wissen Sie nicht mal ansatzweise.
    Die Wichtigkeit des Partizipationsrecht hervorzuheben und ohne weitere Argumentation „Das sagt schon alles.“ als Kommentar zu verfassen reichen für meinen Geschmack nicht aus, um einen differenzierten und besonders weitsichtigen Endruck zu hinterlassen.

    @Alfred Hauptmann

    Es ist mein natürliches Recht, die türkische Staatsbürgerschaft zu besitzen. Warum sollte für mich nicht dasselbe gelten, was bei anderen überhaupt kein Problem darstellt? Würde ich mich dieser Praxis beugen, würde ich mich der Ungerechtigkeit beugen. Das ist meiner Persönlichkeit zuwider. Es stellt für mich also vor allem ein prinzipielles Problem dar. Ein weiterer Grund ist der, den Merkel aufgeführt hat. Auch ich spiele mit dem Gedanken, in das Land meiner Eltern zurückzukehren.