Abstimmung im Bundestag

Opposition scheitert mit Reform des Staatsangehörigkeitsrechts

Die doppelte Staatsbürgerschaft wird es vorerst nicht geben. Mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP wurden gestern im Bundestag Vorlagen der SPD, Grüne und die Linkspartei abgelehnt. Die Oppositionsparteien forderten vor allem die Abschaffung der Optionspflicht.

Freitag, 11.11.2011, 7:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.11.2011, 5:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Es bleibt dabei. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird es mit der Regierungskoalition CDU/CSU und FDP nicht geben. In namentlicher Abstimmung votierten 308 Parlamentarier am Donnerstag (10. November 2011) gegen einen entsprechenden Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. 278 Abgeordnete stimmen dafür. Ebenso wurden Gesetzentwürfe der Grünen und der Linkspartei mit der Stimmenmehrheit von Scharz-Gelb abgelehnt.

Alle drei Vorlagen zielten unter anderem auf eine Abkehr vom Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit, auf eine Verkürzung der Fristen für die Einbürgerung sowie auf einen Verzicht auf das sogenannte Optionsmodell ab. Nach der Optionspflicht müssen sich in Deutschland geborene Kinder von Ausländern mit Erreichen der Volljährigkeit bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der ihrer Eltern entscheiden.

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SPD für gleiche Rechte
Während der Bundestagsdebatte wandte sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier dagegen, jungen Menschen eine Entscheidung abzuzwingen, „die sie ganz offenbar nicht in der Lage sind zu treffen“. Die Optionsregelung funktioniere nicht und könne deshalb nicht weitergeführt werden. Steinmeier mahnte, man sei es nicht nur den Zuwanderern und ihren Kindern, sondern auch sich selbst schuldig, Versäumtes bei der Integration nachzuholen.

Wer es zulasse, dass in Deutschland „zu viele Menschen zu wenig Chancen und nicht gleiche Rechte haben“, setze den inneren Zusammenhalt der Gesellschaft aufs Spiel. Wenn man über Staatsangehörigkeit als ein Element der Integration rede, gehe es nicht nur um die Zuwanderer und ihre Nachkommen, sondern auch um die Zukunft des Landes. Wer Integration ernst nehme, müsse auch bereit sein, über Staatsangehörigkeit zu sprechen.

Die vollständige Debatte im Bundestag als Video:
Ole Schröder (CDU)
Aydan Özoğuz (SPD)
Hartfried Wolff (FDP)
Gesine Lötzsch (Linke)
Renate Künast (Grüne)
Stephan Mayer (CSU)
Frank-W. Steinmeier (SPD)
Serkan Tören (FDP)
Sevim Dağdelen (Linke)
Hans-C. Ströbele (Grüne)
Stephan Mayer (CSU)
Sevim Dağdelen (Linke)
Memet Kılıç (Grüne)
Ingo Wellenreuther (CDU)
Omid Nouripour (Grüne)
Ingo Wellenreuther (CDU)

EU-Länder als Vorbild
Für die Linksfraktion beklagte die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch, dass in Deutschland immer weniger Menschen eingebürgert würden. Dies sei etwa in Schweden, Portugal und Polen ganz anders. In europäischen Ländern mit einer hohen Einbürgerungsquote seien Einbürgerungen auch dann möglich, wenn die Betroffenen weniger als fünf Jahre im Land leben. Auch müsse kein eigenständiges Einkommen nachgewiesen werden. Zudem sei in diesen Ländern Mehrstaatigkeit generell erlaubt, und auf einen Einbürgerungstest werde verzichtet. Dies seien „sehr vernünftige Regelungen“.

Lötzsch mahnte, man müsse sich jetzt für die Menschen entscheiden, die seit Jahren in Deutschland leben. Wenn die Koalition die Oppositionsvorlagen ablehne, schaffe sie „neue Mauern zwischen den Menschen“, verhindere die „demokratische Teilhabe von Millionen Menschen“ und befördere „Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in unserem Land“.

Das sind deutsche Interessen
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, 50 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen müsse man reflektieren, was in dieser Zeit eigentlich passiert sei und wie man mit den Menschen umgehe, die nach Deutschland gekommen seien. Dabei seien die Kriterien der Koalition „für die Frage des Umgangs miteinander definitiv unbrauchbar“.

In Deutschland würden „die Kinder der Einwanderer zu Auswanderern“, weil gut gebildete junge Türken ihre berufliche Karriere besser in Brüssel oder Istanbul weiterführen könnten. Dabei gehe es „auch knallhart um deutsche Interessen“, die von Schwarz-Gelb aber nicht vertreten würden. Die Koalition gebe jungen Leuten, die schon lange hier leben, „nichts als einen Optionszwang, statt zu sagen: Ja, wir wollen, dass Sie hier bleiben“.

Sinneswandel bei der SPD
Dagegen sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Ole Schröder (CDU), 1999 sei Rot-Grün noch bereit gewesen, mit der Optionspflicht an der Vermeidung von Mehrstaatigkeit festzuhalten. Nun seien die ersten betroffenen Kinder in das „optionspflichtige Alter“ gekommen, doch wollten SPD und Grüne die Optionsregelung abschaffen, „obwohl noch kein einziges Kind aus der Ius-soli-Regelung das Ende der Optionsfrist erreicht hat“.

Schröder verwies darauf, dass die Forschungsgruppe des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge derzeit eine umfassende Untersuchung zur Optionsregelung und zum Einbürgerungsverhalten vornehme. Deren Ergebnisse, die in der ersten Hälfte des nächsten Jahres vorlägen, müsse man abwarten, um eine sachliche Diskussion führen zu können.

Evaluierung abwarten
Mayer und der FDP-Parlamentarier Hartfrid Wolff plädierten ebenfalls dafür, die Ergebnisse der Evaluierung abzuwarten. Wolff nannte es „völlig absurd“, die Abschaffung des Optionsmodells zu fordern. Es mache „keinen Sinn, ein Gesetz zu ändern, für dessen Wirkung es praktisch noch keine verwertbare Daten gibt“, argumentierte der FDP-Innenexperte.

Es sei daher sinnvoll, erst einmal die Erfahrungsberichte über die tatsächliche Wirkung dieser Regelung abzuwarten und danach die rechtlichen Anpassungsmöglichkeiten zu prüfen. So sei es auch im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vorgesehen. Alles andere sei Aktionismus, der kein Problem löse, sondern eher Probleme schaffe. (sto/bk)
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  1. Integrator sagt:

    Da dieses Gesetz in dieser Form meine Kriterien nicht erfüllt, kann ich den beiden Regierugsparteien was Integration angeht, nicht die Vollintegration sondern nur eine privilligierte Integration anbieten.

  2. Non-EU-Alien sagt:

    Diese ganzen Alibianträge…

    Der Opposition war doch klar, dass Union und FDP dagegenstimmen werden und keine Mehrheit im Bundestag zustandekommen kann.

    Ich finde das nicht gut, denn in dieser Weise erzeugen SPD, Grüne und Linke Hoffnungen bei den betroffenen Menschen. Vielmehr sollte man sich bei solchen Aktionen die notwendige Zustimmung der Regierung vor Antragsstellung zusichern. Dazu gehört auch das eigene Abstimmverhalten (bspw. der Eurorettungsschirm wurde mit Stimmen der SPD beschlossen) der Regierung „in Rechnung“ zu stellen – so als eine Art Kompromiss, oder wie man im alten Rom zu sagen pflegte: „Quid pro quo!“. Ob dann ein anderer Ausdruck zur Gesichtswahrung bei der Union benutzt wird, wie jetzt mit Mindestlohn und Lohnuntergrenze geschieht, ist dabei unerheblich. Es geht ja nicht um Termini, sondern um die Sache. Sie können es ja meinetwegen auch als Staatsangehörigkeitsobergrenze bezeichnen ;)

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