Integrationspolitik
Doppelte Staatsbürgerschaft
Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg ein eigenes Integrationsministerium ins Leben gerufen, was die christdemokratische Opposition als Mittelverschwendung kritisierte. Offenbar zu Unrecht, denn alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ministerin sich als Impulsgeberin und Gestalterin definiert.
Von Philipp Freiherr von Brandenstein Freitag, 29.07.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.10.2015, 6:55 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Dem vermeintlich so behäbigen und strukturkonservativen Bundesland Baden-Württemberg wird derzeit politischer Modellcharakter zugesprochen. Ob die politischen Entscheidungsträger der ersten grün-roten Regierung diesen durchaus selbst vertretenen Anspruch erfüllen können, kann freilich noch nicht abschließend bewertet werden.
Bereits heute kann aber konstatiert werden, dass vom deutschen Südwesten eine bemerkenswerte reformatorische Dynamik ausgeht, deren Stoßrichtung auf eine tolerante, pluralistische und multikulturelle Gesellschaft gerichtet ist. Baden-Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) hat daran nicht geringen Anteil. Als Beleg hierfür kann angeführt werden, dass Frau Öney und ihre im Aufbau befindliche Behörde im Zentrum oppositioneller Kritik und Häme stehen.
Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg ein eigenes Integrationsministerium ins Leben gerufen, was die christdemokratische Opposition als Mittelverschwendung kritisierte. Offenbar zu Unrecht, denn alle Anzeichen deuten darauf hin, dass die Ministerin sich nicht auf eine repräsentativ-symbolische Rolle beschränkt, sondern als Impulsgeberin und Gestalterin definiert. In diesem Sinne erklärt sie, nicht nur verbesserte Strukturen in Baden-Württemberg zu schaffen, sondern die auch die Integrationspolitik des Bundes voranzubringen.
Ganz in diesem Sinne hatte sich Frau Öney am Montag dieser Woche nicht nur dafür ausgesprochen, den sogenannten Einbürgerungstest abschaffen, sondern zugleich einen Vorstoß unternommen, Migranten die doppelte Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Öney kündigte an, eine dementsprechende Bundesratsinitiative ins Kabinett einzubringen.
Das oft bemühte Argument, die Inhaber mehrerer Staats- bürgerschaften hätten geteilte Loyalitäten ist Ausdruck eines veralteten konfliktiven Denkens und zudem etwas doppelbödig.
Die Idee ist nicht ganz neu. Der Vorstoß von Ministerin Öney erscheint aber umso wichtiger, als dass die momentan geltende Optionsregel, nach der sich in Deutschland geborene Erwachsene mit ausländischen Eltern derzeit bis zum Alter von 23 Jahren für einen Pass (und damit auch für eine Identität) entscheiden müssten, nicht den Anforderungen oder gar den Realitäten einer modernen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung entspricht. Denn das Konzept einer im ureigensten Sinne des Wortes „exklusiven“ nationalen Identität ist hoffnungslos überholt.
Natürlich fühlen sich in Deutschland geborene und aufgewachsene Menschen als Teil der deutschen Gesellschaft. Doch auch die Traditionen und die Sprache der Eltern und das Narrativ der Familie werden als identitätsstiftend empfunden. Die Identitäten junger Migranten sind somit erweiterte Identitäten, die ein moderner Staat respektieren sollte. Junge Menschen zu einer Entscheidung zwischen den integralen Bestandteilen ihrer Identität, und damit manchmal buchstäblich zwischen Vater und Mutter, zu zwingen, heißt ihnen diesen Respekt zu versagen und sie in ihrer von der bürokratischen Norm abweichenden Individualität zurückzuweisen.
Das oft bemühte Argument, die Inhaber mehrerer Staatsbürgerschaften hätten geteilte Loyalitäten ist Ausdruck eines veralteten konfliktiven Denkens und zudem etwas doppelbödig. Allein die Vorstellung „geteilter“ oder „konkurrierender“ Loyalitäten und etwaiger daraus resultierender Loyalitätskonflikte entspringt einem zweifelhaften Denken in Konflikthypothesen und Freund-Feind-Schemata. Unterstellt man Trägern erweiterter Identitäten aufgrund ihrer multikulturellen Prägung weniger treue und zuverlässige Staatsbürger zu sein? Will man einen vermeintlichen kulturellen oder gar genetischen Mangel durch bürokratische Vereinheitlichung heilen? Das erscheint nicht nur naiv, sondern geradezu absurd.
Warum sollten Loyalitäten automatisch und zwingend miteinander im Konflikt stehen? Können diese von ihren Trägern nicht vielmehr als Verpflichtung empfunden werden, selbst für die Verständigung der Staaten einzutreten, deren Staatsbürger man ist. Empfiehlt es sich vor diesem Hintergrund nicht, statt von „geteilten“ Loyalitäten von „erweiterten“ Loyalitäten zu sprechen, die genuiner Ausdruck jener erweiterten Identitäten sind, die untrennbar mit jeder Migrationsgeschichte verbunden sind?
Eine pluralistische Gesellschaft und ein moderner Staat wären gut beraten, diese erweiterten Identitäten zu akzeptieren und in der Akzeptanz erweiterter Loyalitäten (auch in Form doppelter Staatsangehörigkeiten) zum Ausdruck kommen zu lassen, denn dies hieße, die Menschen dieses Landes in ihrer Diversität zu akzeptieren und anzunehmen. Das ist gute Integrationspolitik.
Die Bundesregierung sollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Doppelstaatsbürger- schaften mit westlich-christlichen Ländern hinzunehmen, während junge Deutsche mit türkischen und arabisch- en Wurzeln zur Aufgabe eines wesentlichen Teiles ihrer Identität gedrängt werden. Denn warum sollte, was für Otto und Harald gilt, nicht auch für Mehmet und Lamya gelten?
Für die Abschaffung des Optionsmodells und die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft spricht zudem, dass die geltende Regelung zu juristischer Ungleichbehandlung geführt und sich als nicht durchführbar erwiesen hat. Denn in Deutschland gibt es faktisch bereits Hunderttausende Doppelstaatsbürger, die nolens volens in einer juristischen Grauzone leben. Schlägt man die augenblicklich lancierten Sonderhefte zum Start der Fußball-Bundesliga auf, so finden sich bei jedem Verein der beiden Profiligen Spieler, die nach eigenen Angaben mehrere Staatsbürgerschaften besitzen. Allein beim FC Köln sind es in dieser Spielzeit sieben Doppelpass-Inhaber (und zwar ohne Lukas Podolski, der nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt).
Trotz reflexartiger ideologischer Proteste gegen die „Mehrstaatlichkeit“ ist das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft auch in den bürgerlichen Lebenswelten seit Langem fest verankert. Niedersachsen Ministerpräsident David McAllister (CDU) hat zwei Pässe. Der jüngst verstorbene CSU-Politiker Otto v. Habsburg besaß die Staatsbürgerschaften von Österreich, Deutschland, Ungarn und nach eigenen Angaben auch von Kroatien. Über etwaige Loyalitätskonflikte ist nichts bekannt. Vielmehr nutzen diese Persönlichkeiten ihre erweiterten Identitäten aktiv und bewusst, um kulturelle und politische Brücken zwischen ihren Ländern zu bauen.
Auch die Bundesregierung selbst hatte das Konzept Doppelpass (zumindest implizit) jüngst goutiert, indem sie mit Harald Leiprecht (FDP) einen Doppelstaatsbürger zum neuen Koordinator für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ernannt hat. Der FDP-Abgeordnete ist in den USA geboren. Er besitzt den deutschen und den US-Pass.
Die Bundesregierung sollte sich nicht dem Vorwurf aussetzen, Doppelstaatsbürgerschaften mit westlich-christlichen Ländern hinzunehmen und wie im Falle Leiprecht sogar bewusst zu nutzen, während junge Deutsche mit türkischen und arabischen Wurzeln zur Aufgabe eines wesentlichen Teiles ihrer Identität gedrängt werden. Denn warum sollte, was für Otto und Harald gilt, nicht auch für Mehmet und Lamya gelten?
Es ist daher an der Zeit, die gesellschaftlichen Realitäten anzuerkennen und die doppelte Staatsbürgerschaft uneingeschränkt zuzulassen. Aktuell Meinung
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Ich stimme diesem Artikel vollkommen zu!
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Sehr geehrter Herr von Brandenstein,
Sie haben Recht, die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Recht, von dem wir Muslime, insbesondere Türken und Araber, keinen Gebrauch machen können. Statt doppelter Staatsbürgerschaft bemühen sich Politiker vielmehr darum uns nur die deutsche Staatsbürgerschaft „anzudrehen“, in der Hoffnung, dass wir uns dann als Deutsche fühlen und uns nicht quer stellen. Wir durchschauen dieses banale Spiel, wir haben-im Gegensatz zu Ihnen- auch Frau Öney durchschaut. Aber schön, wenn wenigstens die Einheimischen und Sie glauben, dass Frau Öney eine gute Wahl war. An etwas muss man ja glauben.
MfG
Ich stimme den Gedanken des Artikels auch zu.
Nur stört es mich, dass der rechtliche Status immer wieder mit identitären Fragen verknüpft oder gar gleichgesetzt wird. Das ist doch die „Taktik“ der Gegner der Mehrstaatlichkeit: Es wird ein Kampf der Identitäten vorgeschoben, um eine restriktive Einbürgerungspolitik zu legitimieren und eine exklusive Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit zu fordern. Das führt zu einer Emotionalisierung der Debatte, die den sachlichen Blick auf das Thema versperrt. In aller erster Linie geht es bei der Staatsangehörigkeit um Rechte und nicht um die Identität.
Ich finde doppelte Staatsangehörigkeit hat manche Vorteile. Die Argumente der Gegner sind viel zu viel theoretisch und lebensfern..