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Adnan Tabatabai

„Mir liegen das Land und die Menschen am Herzen“

MiGAZIN hat sich mit Adnan Tabatabai, Student der School of Oriental and African Studies (SOAS), unterhalten, um Antworten zum Thema Migration und Integration als Lern- und Austauschfeld zwischen Deutschland und Großbritannien zu erhalten.

Von Nasirah Raoufi Freitag, 29.07.2011, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.08.2011, 10:34 Uhr Lesedauer: 10 Minuten  |  

„Multikulti ist absolut gescheitert!“, verlautete Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober und kehrte ebenso wie CSU-Chef Seehofer dem „Multikulti-Ansatz“ den Rücken zu. Mit dieser Absage löste die Regierungskoalition in der Gesellschaft eine Welle der Empörung aus – nicht nur in Deutschland. Die These wurde vor dem Hintergrund der Zuwanderungsdebatte auch in anderen EU-Staaten diskutiert. Während einige Staaten heftige Kritik an den Diagnosen der Union üben, stellen wiederum andere Staaten diesen Ansatz ebenfalls infrage. So auch der britische Premier David Cameron. Auf der Münchener Sicherheitskonferenz bezeichnet er „Multikulti“ als eine Ursache für die Schwierigkeiten seines Landes mit radikalen Islamisten. Multikulturalismus ein Feind der nationalen Sicherheit?

MiGAZIN hat sich mit Adnan Tabatabai, Student der School of Oriental and African Studies (SOAS), unterhalten, um Antworten zum Thema Migration und Integration als Lern- und Austauschfeld zwischen Deutschland und Großbritannien zu erhalten. Zusammen mit Kommilitonen und jungen Migrationsforschern hat er Anfang Juli eine Veranstaltung organisiert, zu der namhafte Sozialwissenschaftler und Experten als Referenten eingeladen wurden. Für ein Umdenken in der Integrationspolitik – im offenen Gedankenaustausch unter der Anleitung junger Akademiker mit und ohne Migrationshintergrund.

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MiGAZIN: Herr Tabatabai, was hat Sie und Ihre Kommilitonen dazu veranlasst, das London Integration Forum zu gründen?

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Adnan Tabatabai: Wir sind allesamt deutsche Studierende an drei verschiedenen Hochschulen in London. Kennengelernt haben wir uns im Rahmen einer Protestaktion, welche wir Anfang des Jahres hier in London lanciert hatten. Hierbei richtete sich unsere Kritik in Form eines offenen Briefes an die ‚unausgewogene Besetzung’ einer Podiumsdiskussion zur Integrationsdebatte in Deutschland. Die German Society der London School of Economics (LSE) hatte Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder, Hellmuth Karasek und Ali Kızılkaya als Gäste geladen. Da wir uns sehr für gesellschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland im Allgemeinen und Integration im Speziellen interessieren, ist es uns wichtig, dass eine substanzreiche, sachliche und konstruktive Debatte darüber geführt wird, die weniger sensationalistisch und kulturkämpferisch geprägt ist, als was uns vor allem die beiden Erstgenannten in ihrer überproportionierten Medienpräsenz zu bieten haben.

Und da wir eine erstaunliche Dynamik in unsere Protestaktion bringen und eine unsere Erwartungen übertreffende Gegenöffentlichkeit zu dieser Veranstaltung generieren konnten, beschlossen wir, aus dieser Initiative etwas Weiterführendes erwachsen zu lassen. So haben wir die Planung einer eigenen Veranstaltung zum Thema Integration in Angriff genommen. Für uns erschien es sinnvoll, hierbei einen Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien anzustreben; schließlich kann ein derartiger Austausch Perspektiven erweitern. Dank der freundlichen Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und dem Annual Fund der LSE war es uns möglich, die finanziellen Mittel zur Durchführung unserer ersten Veranstaltung aufzubringen.

MiG: Am 1. Juli war es dann soweit – Integration Forum in London. Unter den Gästen war unter anderem auch Dr. Naika Foroutan. Welche Fragen sind hauptsächlich diskutiert worden?

Tabatabai: Wir luden aus beiden Ländern Rednerinnen und Redner ein, die sich akademisch und gesellschaftsnah mit der Thematik befassen. Neben Dr. Naika Faroutan konnten wir auch Lamya Kaddor aus Deutschland sowie Prof. Julian Petley (Brunel University) und Dr. Myria Georgiou (London School of Economics) aus England gewinnen. Liz Fekete vom Institute for Race Relations hielt bei der Veranstaltung eine Grundsatzrede.

Die Frage von Identität und die Darstellung derselben in der Medienlandschaft sind dabei meines Erachtens in besonderem Maße diskutiert worden.

Dr. Myria Georgiou hat ihre Ausführung damit begonnen, auf eher abstrakter Ebene darzulegen, wie in einer Gesellschaft in Bezug auf Minoritäten das Bild des „Anderen“ gezeichnet wird, von dem man sich abgrenzen kann oder möchte. Oftmals werden diese „Anderen“ gar als Bedrohung dargelegt. Sie hat aufgezeigt, wie diese in den Medien gezeichneten Bilder auf die Gesellschaft wirken. Die Medienrealität spiegele keineswegs die gesellschaftliche Realität in puncto Pluralismus wider. Diese Diskrepanz habe das Potenzial, zu Spannungen zu führen.

MiG: Hierzulande fordert Maria Böhmer, deutsche Medien sollen von nun an vermehrt Migranten einstellen, um die Dominanz der Negativbilder bei der medialen Darstellung der Migranten zu mildern. Diese integrativen Defizite in der Produktion der deutschen Mainstreammedien werden längst auch von den Migranten deutlich erkannt: „Mehr Migranten in die Medien“ ist ihr wichtiges Anliegen.

Tabatabai: Nicht nur Deutschland wird die Unausgewogenheit in den Redaktionen beklagt. Professor Julian Petley offenbarte, dass die britischen Medien – vor allem die Printmedien – allein aufgrund ihrer Struktur kaum imstande seien, eine qualitativ und quantitativ ausgewogene Berichterstattung über gesellschaftliche Themen zu gewährleisten. Da fehle es an Personal, Kompetenz und Repräsentanz. Hierin liege einer der Hauptgründe für die Dysfunktionalität der Medien in Bezug auf Vielfalt und Ausgewogenheit.

Lamya Kaddor hat basierend auf ihren Erfahrungen als Lehrerin dargestellt, welchen Schwierigkeiten manche Kinder mit Migrationshintergrund bei ihrer Identitätsfindung ausgesetzt sind. So erleben etwa viele Deutsche türkischer Abstammung das Phänomen, dass sie weder in Deutschland als Deutsche noch in der Türkei als Türken wahrgenommen werden. Daher argumentiert Kaddor, berufen sich mehr und mehr dieser Kinder auf den Islam – eine Identität, von der sie oft kein klares Verständnis haben, welches ihnen dafür jedoch niemand abspricht.

In einer pluralistischen Gesellschaft, wie es die deutsche Gesellschaft ist, gehöre es nun mal dazu, dass es Konflikte zwischen den Segmenten der Gesellschaft gibt, ergänzte Naika Foroutan. Man müsse das aushandeln und den richtigen Weg finden. Hierzu bedürfe es eines öffentlichen Diskurses, der die Heterogenität der Gesellschaft berücksichtigt und eine neue Narrative definiert, die mehr Pluralismus umfasst. Das sei wichtig, um grundlegende Fragen der deutschen Identität zu klären.

Liz Fekete hat in ihrer Grundsatzrede dargelegt, wie sich in weiten Teilen Europas die Übergriffe auf Minoritäten zuspitzen. Sie wies darauf hin, dass es kein Zufall sei, dass verschiedene Spitzenpolitiker der EU zeitnah zueinander vom „gescheiterten Multikulturalismus“ sprächen. In einer Zeit, in der die Konsequenzen neoliberaler Wirtschaftspolitik spürbar werden in Form von übergreifenden Sparmaßnahmen und einem europaweit rationalisierten Arbeitsmarkt, sind Minderheiten die Ersten, die Anfeindungen ausgesetzt sind. Und diese Entwicklung scheint von der Politik auch noch geschürt zu werden.

MiG: Fassen Sie doch bitte kurz zusammen, was Ihnen besonders gut gefallen hat.

Tabatabai: Mir persönlich hat besonders die sehr zivilisierte und konstruktive Form der Debatte gefallen. Auch die Fragen seitens des Publikums reihten sich hier ein. Es verlief sehr sachbezogen. Es ist deutlich geworden, dass es einen großen Unterschied macht, ob man selbst ernannte Meinungsmacher zu dieser Thematik hört oder wahre Kenner, die sich seit Jahren entweder in wissenschaftlichen Studien oder in praxisnaher Projektarbeit mit den Sachverhalten beschäftigen, um die es hier geht. Nur so werden wirklich konstruktive Beiträge geleistet. Die Probleme werden im Kern erkannt, statt in Scheindiskussionen zu verfallen, welche die eigentlichen Herausforderungen ausblenden. Mit einem solchen Ansatz kann man lösungsorientiert und fundiert tatsächliche Phänomene darlegen und diskutieren. Die Forderung nach einem öffentlichen Diskurs, der die Vielfalt der Gesellschaft wiedergibt, ist meines Erachtens hierbei zukunftsweisend. Insgesamt haben alle Gäste deutlich gemacht, dass die Realitäten in der Gesellschaft andere sind, als die, die wir medial oder aber durch die Politik konstruiert bekommen. Auf gesellschaftlicher Ebene ist das multikulturelle Zusammenleben mit all seinen Herausforderungen längst Alltag.

MiG: Zurück nach Deutschland. Wie haben Sie die Integrationsdebatte wahrgenommen?

Tabatabai: Für mich persönlich war das Jahr 2010 der absolute Tiefpunkt. Ich habe in den vergangenen 10-15 Jahren selten eine derartig antagonistische Debatte zu diesem so wichtigen Thema wahrgenommen. Wie oft musste ich mir anhören, ein „Gutmensch“ zu sein, der „politisch korrekt“ die Dinge „schönredet“ und diejenigen „zensieren“ will, die die „Wahrheit“ aussprechen, wodurch ich zu einem „Gegner der Redefreiheit“ werde. Dieses Gift und Etikettengewitter führe ich ganz deutlich auf eine Reihe von Publizisten zurück, die basierend auf biografischen, politischen und persönlichen Präferenzen von ihren ihnen ständig zur Verfügung stehenden Medienkanälen Gebrauch machen, um ihrer Verbitterung über den scheinbaren Verlust ihres Deutschlands Ausdruck zu verleihen.

Es ist aber auch ebenso deutlich geworden, dass es auf politischer Ebene mitnichten gelungen ist, in den vergangenen Jahrzehnten eine stimmige Integrationspolitik zu entwickeln, die dem, was die Menschen auf gesellschaftlicher Ebene im Zusammenleben leisten, gerecht wird. Daher kann ich den Anmerkungen unserer Rednerinnen und Redner, dass es einer neuen, gesellschaftsnahen Politik bedarf, die einen pluralistischen Diskurs fördert und selber umsetzt, nur zustimmen.

MiG: In den USA bevorzugt man heute das Bild von der „Salatschüssel“, in der die kulturellen Identitäten nicht verschmelzen, aber auch nicht voneinander separiert auf dem Teller liegen, sondern bunt durcheinander gewürfelt sind. Was können Gesellschaft und Politik hier tun, um Integration „erfolgreicher“ zu machen?

Tabatabai: Ich kann hier natürlich nur von meiner Sicht sprechen. Politisch gesehen muss Deutschland hier von seiner föderalen Struktur Gebrauch machen und auf kommunaler Ebene integrationsfördernde Maßnahmen unterstützen. Das findet auch bereits vielfach statt. Manche Projekte laufen hierbei natürlich besser als andere – das ist ganz normal. Es muss meines Erachtens in erster Linie eine gewisse Deeskalation der Debatte lanciert werden, um die Konfliktlinien nicht weiter zu verschärfen. Hier sehe ich auch die Medien in der Pflicht. Da benötigen wir besonders in Deutschland mehr Repräsentanz von Minderheiten. Nur so können wir einen wirklich pluralistischen Diskurs entstehen lassen.

Es bedarf hierbei einer inkludierenden Ausrichtung der Debatte – weg von dem „die“ und „wir“ hin zu einem „gemeinsam“. Sicher heißt „gemeinsam“ nicht, dass man Extremisten und Radikale mit einbeziehen muss. Man nimmt diesen aber am effektivsten den Zulauf, wenn man eine größtmögliche Breite der Gesellschaft anspricht. Ich bin mir sicher, dass das Verhältnis von Bürokratie und Gesellschaft, sprich: von öffentlichen Einrichtungen und Bürgern besonders in Deutschland bestens dafür geeignet ist, eine funktionierende Zusammenarbeit von Gesellschaft und Behörden für Integrationsprojekte zu fördern. Bürgerpartizipation scheint mir hier ein besonders wichtiges Stichwort. Denn schließlich sind wir es, die ein Interesse an einem respektvoll, friedlichen Zusammenleben haben. Zu diesem Zweck scheint mir das Kommunalwahlrecht für alle Bürger – auch für die ohne deutschen Pass – eine gute Maßnahme zu sein.

MiG: Das London Integration Forum hofft nach dem erklärten angeblichen „Scheitern des Multikulturalismus“ auf eine Formulierung einer Zukunftsvision. Wie sollte diese Ihrer Meinung nach lauten?

Tabatabai: Wir sollten als Bürger nicht weiter zulassen, dass Spitzenpolitiker wie Kanzlerin Merkel oder Premierminister David Cameron sich herausnehmen, Multikulturalismus als gescheitert zu erklären. Wir müssen das politische Programm dahinter entblößen. Wir Bürger sind am ehesten in der Lage, darüber zu entscheiden, ob wir in unserer Lebenswelt ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen erleben oder nicht. Ich wundere mich sehr darüber, dass „Multikulti“ als etwas dargestellt wird, das Spannungen und Reibereien ausschließt. Das ist doch utopisch. In welcher Gesellschaft soll es diese Konflikte bitte nicht geben? Das gehört zu Pluralität dazu. Doch diese Pluralität, diese Vielfalt braucht in Deutschland womöglich noch eine Generation, um grundlegend akzeptiert zu werden. Doppelstaatsbürgerschaften etwa sind für einen Großteil der Gesellschaft weiterhin irritierend. Deutsche mit Migrationshintergrund werden weiter nicht als Deutsche betrachtet – auf dem Papier und vor dem Gesetz schon, aber oft genug nicht im Alltag. Zudem muss der Spruch von „Gäste in unserem Land“ aufhören. Ich höre so oft, dass über Migranten gesagt wird, sie müssten sich „als Gäste“ nun mal anpassen. Nun, es sind aber keine „Gäste“, sondern gleichberechtigte Bürger.

Das alles klingt jetzt fordernd und negativ. Doch ich lebe sehr gerne in Deutschland. Und da mir das Land und die Menschen am Herzen liegen, möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass wir in puncto Integrationsdebatte einen Schritt nach vorne machen. Es kann nach 2010 ja auch nur nach vorne gehen. Daher können wir uns durchaus vorstellen, mit dem Integrationsforum weitere Projekte umzusetzen. Wir sitzen derzeit an der Nachbereitung unseres London Integration Forum und hoffen, anschließend an neuen Projekten arbeiten zu können. Das ist uns die Thematik allemal wert.

MiG: Vielen Dank für das Gespräch! Aktuell Interview

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