Sinneswandel

Grüne in Niedersachsen fordern Burkaverbot

Die Ganzkörperverschleierung durch Burkas soll für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Niedersachsen verboten werden - das fordert die Grünen-Fraktion entgegen bisherigen Bekundungen.

Donnerstag, 12.05.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 18.05.2011, 1:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In einem jetzt bekannt gewordenen Parteibeschluss vom 29. März 2011 fordern die Grünen im niedersächsischen Landtag ein Verbot von Burkas im Öffentlichen Dienst. Das Tragen des Ganzkörperschleiers stelle „wahrscheinlich eine Überforderung der Toleranz der Gesellschaft dar“ und wirke „somit integrationspolitisch kontraproduktiv“, heißt es darin. Die staatliche Pflicht zur Neutralität und das Recht auf negative Religionsfreiheit seien für das geforderte Burkaverbot die maßgeblichen Gründe. Auf ein allgemeines Verbot im öffentlichen Raum nach französischem Vorbild wollen die Grünen ihre Forderung nicht ausdehnen – allerdings aus verfassungsrechtlichen Gründen.

Hannover gegen Berlin
Das überrascht aus mehreren Gründen: Zum einen hatte sich die Grünen-Landtagsfraktion 2004 gegen das „Kopftuchverbot“ für Lehrkräfte ausgesprochen, weil es integrationspolitisch als falsches Signal gewertet wurde. Jetzt wird argumentiert, dass ein Ganzkörperschleier eine deutlich stärkere Wirkung als ein Kopftuch habe. Auch seien die islamischen Verbände bisher in der Mehrheit gegen das Tragen des Ganzkörperschleiers im öffentlichen Dienst.

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Zum anderen setzen sich die Grünen in Hannover damit deutlich von der Bundestagsfraktion ab. Nachdem sich Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann sich im Frühjahr für ein Burkaverbot ausgesprochen hatte, bezeichnete Konstantin von Notz, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, das als „populistisches“ Punktesammeln. Schünemann warf er vor, „anti-islamische Ressentiments zunutze zu machen“.

Plötzlicher Sinneswandel
Am meisten dürfte allerdings der plötzliche Sinneswandel der niedersächsischen Grünen-Fraktion überraschen. Noch im Februar 2011 kritisierte Grünen-Fraktionsvorsitzender Stefan Wenzel Schünemanns Forderung als überflüssig und voreilig.

Auch sah Filiz Polat, Grünen-Landtagsabgeordnete im niedersächsischen Landtag, in Schünemanns Forderung eine Instrumentalisierung eines nicht existierendes Problems. In einer Pressemitteilung vom 4 Februar 2011 bedauert sie, dass mit der Debatte um ein Burkaverbot ein muslimisches Frauenbild gezeichnet wird, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Argumente zählen allem Anschein nach nich mehr. Denn das knapp zwei Monate darauf beschlossene Papier wurde von Polat mitverfasst.

Und das, obwohl sich an der Sachlage nichts geändert hat. Bis heute ist in Niedersachsen keine einzige Beamtin bekannt, die eine Burka trägt. Auch die Fraktion selbst stellt fest, dass es sich bei der Debatte um das Tragen des Ganzkörperschleiers „um absolute Einzelfälle handelt“. Die Debatte müsse daher „rational und sachlich“ geführt werden. „Es verbietet sich für eine verantwortungsvolle Politik, die Burkadebatte zu instrumentalisieren, um Ängste und Vorurteile gegen MuslimInnen und dem Islam zu schüren“, ist in dem Beschluss zu lesen.

Download: Beschluss der Grünen im niedersächsischen Landtag zum Tragen des Ganzkörperschleiers muslimischer Frauen im Öffentlichen Dienst kann hier (PDF) heruntergeladen werden.

Ein populistischer Zug
Doch genau das müssen sich die Grünen nun anhören: „Die Grünen sind auf einen populistischen Zug aufgesprungen und haben sich so von einer sachlichen Integrationsdebatte verabschiedet“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann.

Als Frauenrechtlerin sehe sie die Verschleierung zwar auch sehr kritisch, ein allgemeines Verbot ohne Anlass sei jedoch lediglich die unrühmliche Fortsetzung einer Scheindiskussion. Zimmermann weiter: „Innenminister Schünemann hat mit diesem Thema eine Phantomdebatte eröffnet. Dass die Grünen sich dem Innenminister jetzt anschließen, ist ein Armutszeugnis für ihre Integrationspolitik.“ Es bleibe zu hoffen, dass die Grünen am Ende vernünftig werden und ihre Position überdenken.

Grünen als Hilfskraft
Denn das könnte entscheidend werden, wenn das CDU-geführte Innenministerium, das Burkaverbot im Herbst in das Beamtenrecht aufnehmen will. Rückendeckung erhielt Schünemann vom Koalitionspartner FDP – bisher jedenfalls – nicht. Der innenpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan-Christoph Oetjen, warnte im Frühjahr ebenfalls vor „einer reinen Symbolpolitik“: „Der Großteil der muslimischen Frauen lehnt eine Komplettverschleierung ohnehin ab. Die Diskussion geht an der Lebenswirklichkeit in deutschen Ämtern vorbei.“ Sollte die FDP standhaft bleiben und ein Burkaverbot nicht mittragen, könnten nun die Grünen einspringen. (bk)
Politik

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  1. Mika sagt:

    @Keton
    „‘Negative Religionsfreiheit’ meint das grundgesetzliche Recht von Religion und damit auch religiösen Ge- und Verboten verschont zu bleiben. Womit der Islam ein Problem hat.“

    Ach, deswegen werde ich ständig hier mit Kreuzen in Krankenhäusern und Schulen konfrontiert? Da es ja ihren Ursprung im Islam hat….*Ironie off*

  2. Realist sagt:

    @Mika
    „Ach, deswegen werde ich ständig hier mit Kreuzen in Krankenhäusern und Schulen konfrontiert? Da es ja ihren Ursprung im Islam hat….*Ironie off*“

    Vergessen sie bitte nicht, dass religiöse Symbole immer auch in die Traditionen einer Nation übergehen. Wenn sie nicht akzeptieren wollen, dass in Deutschland und Europa das Christentum (leider) vorherrscht, dann sollten sie erst gar nicht in Deutschland bleiben, bzw. sie hätten sich im voraus informieren sollen, wohin sie auswandern.
    Jeder versuch christliche Symbole aus der Öffentlichkeit zu verbannen kommt dem negieren unsere Kultur gleich! Ich bin überzeugter Atheist, aber nicht mal ich würde verlangen, dass religiöse Symbole überall verschwinden müssten.
    Als Muslim in Deutschland muss man einfach damit klar kommen, dass der Islam nach den Christen, Atheisten und Juden nur die vierte Geige spielt. Alleine die Christen und Atheisten kommen locker über 60% der Bevölkerung, also warum sollte man ähnlich viel rücksicht auf winzige 3-5% nehmen? Nur weil Sie mal etwas von Religionsfreiheit gelesen haben und es falsch verstanden haben? Die Muslime müssen lernen, wie man sich als Minderheit in einem christlichen Land verhält, wenn man ernst genommen werden will. Und solange wie die Christen muslimische Minderheiten fairer behandelt als die Muslime christliche Minderheiten, sollten man immer daran denken, dass wenn man mit dem Finger auf andere zeigt, immer drei Finger auf einen zurück zeigen.

  3. Pingback: Grüne: Ja zum Burka-Verbot im Öffentlichen Dienst « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  4. Leon sagt:

    Kreuze sind religiöse Symbole, keine religiösen Ge- oder Verbote und tangieren schon deshalb nicht die negative Religionsfreiheit.
    Zudem befinden sich die meisten Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft, also im Besitz der Kirchen und die haben selbstverständlich das Recht auf ihrem Grund und Boden ihr Symbol zu zeigen, so wie es jede Mercedesniederlassung mit dem bekannten Stern hält.

  5. schneider sagt:

    Hallo Mika,

    in der europäischen Kultur ist natürlich das Christentum, nachdem das Heidentum in seinen zahlreichen Ausprägungen leider ausgelöscht wurde, immer vorherrschend gewesen. Die christliche (aber auch heidnische) Symbolik ist verständlicherweise in die Alltagskultur übergegangen. Wenn Sie nach Bayern kommen, werden Sie sehr viele Kreuze und Kapellen an den Wegen sehen. Für die Mehrheit der Leute sind diese Orte aber eher kulturell von Interesse, man betrachtet sie aber sieht sie nicht als heiligen Ort oder Bollwerk des Christentums, nur ältere Menschen vielleicht. Ich denke, hieran wird sich doch kein Moslem stören, es sei denn, er ist ein verbitterter Fundametalist?

    Oder finden Sie, dass nun mit gleicher Berechtigung neben jedem Feldkreuz ein Feldhalbmond stehen sollte und neben jedem Kapellchen ein Moscheechen?

    Ich für meinen Teil störe mich in islamischen Ländern zu 0% an islamischer Symbolik, warum denn auch? Es sind islamische Länder, warum sollen sie denn ihre Symbolik verstecken? Und dass die Leute dort auch nicht unbedingt erpicht darauf sind, überall Symbole anderer Religionen aufzustellen, ist doch verständlich. Es hat auch etwas mit der eigenen Kultur zu tun.

    einen wunderschönen Sonntag
    schneider

  6. keton sagt:

    @ Mika
    Der Unterschied liegt darin daß mit einem Kreuzsymbol die Übergriffigkeit aufhört und auf der anderen Seite mit dem Kopftuch erst anfängt. Das Kopftuch als solches ist genauso nebensächlich wie irgendwelche Kreuze.

  7. Mika sagt:

    Mein lieber Keton,
    Ich wollte Ihnen lediglich mit dieser Ironie aufzeigen, dass Sie mit zweierlei Maß messen. Der Islam hat genauso eine Berechtigung wie das Christentum oder Judentum! Und das sage ich Ihnen als Agnostikerin! ! !

  8. Pingback: Leos Wochenrückblick – Burka, Dänen, österreichische Muslime, Rechtspopulisten, Kopftücher | Migration und Integration in Deutschland | MiGAZIN

  9. schneider sagt:

    @Mika

    „Und das sage ich Ihnen als Agnostikerin! ! !“

    Tatsächlich? Dann haben wir ja doch was gemeinsam!

    viele Grüße
    Schneider

  10. keton sagt:

    Es geht hier einzig und allein um das Ausmaß an Übergriffigkeit und wie weit sie gerade noch gehen darf. Wo diese Übergriffigkeit herkommt, ist mir egal.
    Wüßte nicht wie Sie darauf kommen daß ich wollte unterschiedliche Maßstäbe anlegen. Aber ich laß‘ es mir grene erklären.