Daniela Kolbes Zwischenruf

Quoten – kein Heilsbringer, aber überfällig!

Integrationspolitik ist kein Rand- oder „Gedöns“thema, sondern eine dringende Zukunftsaufgabe, die es politisch zu gestalten gilt. Und zwar nicht nur im ökonomischen Sinne, wenn in bekannter Humankapitalmanier nach den ausländischen Fachkräften gerufen wird, sondern vor allem im gesellschaftlichen.

Von Daniela Kolbe Donnerstag, 12.05.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 16.05.2011, 0:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nicht erst seit der Causa Sarrazin ist für mich klar, dass wir im Erneuerungsprozess der SPD soziale Gerechtigkeit auch innerhalb unserer Reihen durchbuchstabieren müssen. Hierzu zählt für mich die historisch relativ neue Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund ernster zu nehmen. Klar ist auch, dass es noch zu wenig Mandatsträgerinnen und Mandatsträger mit Migrationshintergrund in der Politik gibt. Dazu ist die Quote für die Bundesgremien der SPD ein erster guter Schritt, der überfällig war. Aber sie allein schafft noch keine diskriminierungsfreie Gesellschaft. Wir brauchen weitere Elemente einer aktiven Gleichstellungspolitik.

Die USA machen es uns vor: Sie verfolgen seit den 1960er Jahren aktive Gleichstellungspolitik. Das US-amerikanische Antidiskriminierungskonzept der Affirmative Action, dass man mit dem Begriff der „positiven Maßnahmen“ übersetzen kann, beruht auf der Annahme, dass es Ungleichheiten gibt, die durch den guten Willen Einzelner nicht aufgelöst werden können, sondern besonderer Formen politischen Handelns bedürfen. Es geht folglich um verbindliche Maßnahmen gegen strukturelle Diskriminierung, die durchaus unterschiedliche Behandlung von Gruppen vorsieht, um bestehende Benachteiligungen auszugleichen. Es geht also in erster Linie nicht darum bestimmte Gruppen zu fördern, sondern strukturelle Benachteiligung abzubauen. Das amerikanische Konzept der positiven Maßnahmen ist eine Gesamtstrategie, die auf eine aktive Gleichstellungspolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen abzielt: in Wirtschaft, im Bildungswesen, im öffentlichen Dienst und in den Medien. Bei gleichen Qualifikationen werden Menschen, die in der Regel benachteiligt werden, bevorzugt. Konkret beginnen positive Maßnahmen, wenn diskriminierte Gruppen zur Bewerbung aufgerufen werden. So wird es in Deutschland bereits bei Ausschreibungen für den öffentlichen Dienst für Frauen oder Menschen mit Behinderung praktiziert. Ergebnisorientierte positive Maßnahmen sind verbindliche Zielvereinbarungen für die Besetzung von Stellen in Unternehmen oder auch im öffentlichen Dienst. Für die Besetzung von Parteigremien ist daher die Einführung von Quoten ein sinnvoller Schritt, der in ein Gesamtkonzept eingebettet werden muss.

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Die Diskussion für oder gegen positive Maßnahmen kreist im Wesentlichen um das Thema der Leistungsgerechtigkeit. Gegner argumentieren, dass die Politik der positiven Diskriminierung das Leistungsprinzip und die Leistungsgerechtigkeit in der gesellschaftlichen Verteilung von Teilhabe aushebelt. Das ist paradox, denn das Instrument der positiven Maßnahmen stellt ja gerade das Funktionieren des Leistungsprinzips infrage! Nachgewiesenermaßen fließen nicht-leistungsbezogene Merkmale wie ein Migrationshintergrund und das Geschlecht bei der Bewertung von Leistungen ein und werden u.a. in Auswahlverfahren auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt herangezogen. Zahlreiche empirische Studien haben eindrucksvoll die strukturelle Diskriminierung im deutschen Bildungs- und Ausbildungswesen sowie auf dem Arbeitsmarkt aufgezeigt, die sich eben nur teilweise mit nicht-adäquater Qualifikation erklären lässt.

Hier stellt sich zwangsläufig die Frage nach einer integrationspolitischen Bringschuld der deutschen Gesellschaft und des Staates. Der Status quo von Antidiskriminierungspolitik in Deutschland ist recht überschaubar. Aufgrund der Antirassismus-Richtlinie (2000/43) der EU im Jahr 2000 wurden mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und der Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) erstmals in Deutschland Instrumente in diesem Politikbereich eingeführt. Die Arbeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes entwickelt sich maßgeblich seit dem Führungswechsel 2010 mit Christine Lüders in die richtige Richtung. Mit Forschungsaufträgen, Projektinitiierungen und der Vernetzung von Akteuren leistet die ADS wichtige Pionierarbeit in der Antidiskriminierungspolitik. Beispielsweise werden im Rahmen des Pilot-Projektes der anonymisierten Bewerbungsverfahren 225 Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätze vergeben. Die leidige Definitionsfrage, wer denn eigentlich einer ethnischen Minderheit angehört und wie das festgestellt wird, taucht in der deutschen Diskussion immer wieder auf. Bemerkenswert, dass sie in den USA kein Thema ist, denn die Angehörigen von Minderheiten stufen sich dort selbst als solche ein, und wer das nicht möchte verzichtet eben auf die damit verknüpften Maßnahmen. Nebenbei bemerkt: Es ist kein Fall aus den USA bekannt, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Einordnung als ethnische Minderheit ging.

Der Beschluss des Parteivorstandes der SPD „Für Gleichberechtigung und eine Kultur der Anerkennung“ geht daher in die richtige Richtung: Bis zum diesjährigen Bundesparteitag im Dezember wird ein umfassendes Konzept mit Strategien und Instrumenten im Sinne einer stärkeren interkulturellen Öffnung der SPD vorgelegt werden. Daran wird in der Zukunftswerkstatt Integration sowie im Bundesarbeitskreis Integration übrigens seit 2009 intensiv gearbeitet. Der Arbeitsauftrag an den Bundesarbeitskreis umfasst u.a.:

  • Die Ausarbeitung eines Mainstreaming Ansatzes. Nach dem Vorbild des Gender Mainstreaming soll hier berücksichtigt werden, inwiefern politische Entscheidungen dem Ziel der verbesserten Teilhabe und Anerkennung von Migrantinnen und Migranten.
  • Vorschläge zu erarbeiten mit dem Ziel einer verbesserten Repräsentation von Migrantinnen und Migranten in Führungsgremien der SPD, aber auch für Mandate zu erreichen.

Integrationspolitik ist eine ursozialdemokratische Aufgabe, denn es geht um die gerechte Teilhabe an Macht, Ressourcen und Lebenschancen, ungeachtet der Herkunft. In diesem Sinne sind positive Maßnahmen – und damit auch die angekündigte Quote für die Bundesparteigremien der SPD – kein Heilsbringer, aber ein überfälliger Schritt einer progressiven sozialdemokratischen Integrationspolitik. Aktuell Meinung

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  1. Leon sagt:

    Einmal Klartext: Männer ohne Migrationshintergrund und ohne Behinderung brauchen sich für den öffentlichen Dienst, da chancenlos, gar nicht erst zu bewerben.
    Und in der Partei und bei den Mandaten entscheidet künftig das Privileg der besonderen Geburt und nicht das Verdienst – wie weiland im Feudalismus des glücklichen Mittelalters.
    Die SPD – wofür steht das „D“ – legt ihr Projekt 18, oder gar 8 auf.

  2. Karl Willemsen sagt:

    …die Angehörigen von Minderheiten stufen sich dort selbst als solche ein…

    ok, dann würde ich mit meiner österreichischen Großmutter ja als Migrant™ durch gehen – wenn ich wollte und SPD-Mitglied wäre… keine weiteren Fragen.

    Dann wünsche ich der SPD viel er Erfolg bei der Umsetzung ihrer „progressiven sozialdemokratischen Integrationspolitik“ und v.a.D. dass die Wähler diese auch zu würdigen wissen – sei es durch Zustimmung oder Ablehnung!

  3. Sugus sagt:

    Meine Mutter ist Heimatvertriebene aus Pommern. Ich habe also einen Migrationshintergrund. Kriege ICH einen Posten, wenn ich bei der Bewerbung darauf verweise?

  4. Sonata sagt:

    Mit Quoten kann man Demokratie und Gleichberechtigung wirkungsvoll aushebeln. Mir fehlt immer das Verständnis, wie Personen die sich diskriminiert fühlen, die Diskriminierung anderer Menschen fordern.
    Nix gelernt würde ich mal sagen.

  5. Jolante sagt:

    Ich möchte hier nur einmal eine positive Darstellung der deutschen „Mehrheitsgesellschaft“ lesen.

    Migranten sind auf dieser Seite entweder Menschen, die sich gegen den Widerstand „der Deutschen“ durchsetzen, oder sie sie werden von „den Deutschen“ untergebuttert.

    Dass „die Deutschen“ mittlerweile etwa 20 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund ohne sonderliche Reibungsverluste aufgenommen haben, das geht total unter. Man vergleiche mal mit anderen Zeiten, anderen Ländern.

    Ich lese hier nur Negatives über meine Identität als „Naturdeutsche“. Entweder ich mache gar nichts, mache zuwenig, bin ignorant, nicht aufgeschlossen. Und wenn mit manche Dinge nicht gefallen, dann bin ich rechtspopulistisch.

    Als „Biodeutsche“ hier zu lesen macht depressiv.

  6. Sabberlatz sagt:

    Ich möchte etwas zum Beitrag von Jolante schreiben:

    Mir geht es genauso. Und nur mal so: Ich definiere „Integration“ völlig anders, als die hier schreibenden Migranten. „Integration“ heißt für mich, dass sich Migranten irgendwann zur deutschen Mehrheitsgesellschaft rechnen und aufhören, ihre Partikularinteressen als Migranten bzw. Angehörige ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe zu verfolgen. Sie können hier leben, sie können am Wohlstand des Landes teilhaben (der einzige Grund, warum sie überhaupt hier sind), etc. Das scheint aber nicht zu reichen.

    Wie lange wollen sie das Schild „Mensch mit Migrationshintergrund“ vor sich hertragen? Bis in die 999. Generation? Die Türken sind bereits in der 4. Generation hier zum großen Teil immer noch Türken. Tolle „Integration“.

    Was sie zu Hause machen, welche Sprachen sie sprechen, was sie essen, etc. bleibt ihnen überlassen. Sie sollen aber bitte endlich aufhören, pausenlos und unablässig gegen die autochthonen Deutschen zu hetzen, ihnen beständig irgendwelche Verfehlungen vorzuwerfen, Forderungen zu artikulieren, Quoten zu verlangen und und und.

    Wenn ich „integriert“ bin, dann heißt das, ich verhalte mich wie jeder andere auch mit denselben Rechten und Pflichten. Allein der Ausdruck „Mensch mit Migrationshintergrund“ lässt mich würgen. Früher in der Schule hatten wir zwei Mitschüler in der Klasse: ein Mädel, das ursprünglich aus Schlesien stammte und einen Jungen, der ursprünglich aus der Türkei kam. Die beiden waren einfach Klassenkameraden so wie wir alle. Niemand wäre auf die bescheuerte Idee gekommen, sie als „Menschen mit Migrationshintergrund“ zu bezeichnen. Niemand hat bei ihnen irgendeine Sonderrolle wahrgenommen. Sie haben sich ganz normal verhalten und nicht beständig bekundet, wo sie ihre Wurzeln haben, etc.

    Es ist überhaupt nicht so, dass Deutsche Migranten nicht als Deutsche anerkennen. Migranten wollen überhaupt keine Deutschen sein – zumindest ein großer Teil von ihnen. Das habe ich bereits im sozialen Bereich bei Kindern erlebt, für die die Bezeichnung „Deutsche/r“ eine Beleidigung (!) darstellte.

    Wer immer und ewig auf einer Extrawurst besteht, Quoten fordert (ich bin weiblich und gegen jede Art von Quoten, auch gegen Frauenquoten) und die einheimische Bevölkerung als Projektionsfläche für sämtliche negativen Eigenschaften betrachtet – muss der sich wundern, wenn er dann bei der beständig diffamierten Gruppe Hass schürt? Hass, der nie entstanden wäre, wenn sich die Migranten einfach ganz normal verhalten würden?

    Die autochthonen Deutschen werden in den kommenden Jahrzehnten in vielen Großstädten dieses Landes in eine Minderheitsrolle geraten – bekommen wir dann auch eine Quote oder Sonderrechte? Wohl kaum. Eher einen Tritt in den Allerwertesten.

  7. Fikret sagt:

    @ Sabberlat:
    Sie schreiben>> >“Die autochthonen Deutschen werden in den kommenden Jahrzehnten in vielen Großstädten dieses Landes in eine Minderheitsrolle geraten“ – Aber, aber, mein lieber Mitmensch >>> Migranten sind nicht für die Fortpflanzung der reinrassigen deutschen Volkes zuständig. :-)