Spracherziehung 2/5

Leben im „Sprachgetto“

Die richtige Spracherziehung - Soll man Kindern zuerst die Muttersprache oder die Landessprache beibringen oder doch gleich mehrsprachig erziehen? Ein fünfteiliges MiGAZIN-Special mit Ergebnissen der Bilingualismusforschung und Tipps für die Praxis.

Von Dienstag, 08.03.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.03.2011, 3:10 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Ist die Umgebung aber vor allem „fremdsprachig“, dann muss man gezielt – in unserem Fall hier – deutsche Kontakte suchen. An dieser Stelle darf man sich ruhig die Frage stellen, ob man das möchte und was man eventuell befürchtet, wenn die Kinder „in die Welt hinaus ziehen“. Haben Kinder nicht das Gefühl, dass es in Ordnung ist, wenn sie sich in der „anderen“ Gesellschaft bewegen, dann nehmen sie automatisch deren Sprache weniger gut an. So hat sich in Deutschland zum Beispiel gezeigt, dass Familien griechischer und türkischer Herkunft „ihr“ griechisches oder türkisches Netzwerk sehr schätzen und pflegen.

Die erlangten Sprachleistungen sind aber in beiden Migrantengruppen eklatant unterschiedlich. Dies wird einerseits etwas mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bildungsschicht vor der Migration zu tun haben – sie wirkt noch bis zu drei Generationen nach. Ebenso eine subjektiv empfundene kulturelle Nähe oder Ferne könnte sich hier als Motor oder Bremse erweisen, am Leben der Mehrheitsgesellschaft teilzunehmen. Aber auch allein die geringere Anzahl von Griechen im Vergleich zu Türken in Deutschland kann dazu führen, dass man mehr mit der Mehrheitsgesellschaft in Kontakt kommt. Es wurde in früheren Jahren auch wenig darauf geachtet, ob man Migrantenfamilien, die einen Sozialwohnungsantrag stellten, nicht immer in die gleiche Wohngegend vermittelte. Auch dies erschwert den Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Zudem muss die alteingesessene Bevölkerung selbstkritisch zugeben, dass sie lange wenig bis nicht integrierend dachte. Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung bestimm(t)en die Haltung Zugewanderten gegenüber. Viele verpasste Chancen, die sich nur durch vorwurfsloses Anpacken bewältigen lassen.

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Es reicht aus, wenn die Kinder mit dem Spracherwerb der jeweiligen Landessprache mit dem Eintritt in den Kindergarten beginnen – obwohl auch hier, je früher desto besser gilt. Bei guten Sprachkenntnissen in der ersten Sprache erlernen die neu ein getretenen Kindergarten-Kinder die zweite in ca. ½ Jahr – bis zu dem Sprachniveau der Altersklasse. Übrigens hat sich gezeigt, dass es durchaus von Vorteil ist, wenn Kinder eines bestimmten Herkunftslandes in einer Gruppe zusammen gefasst sind. Das mag erstaunen und gilt auch nur, wenn es relativ wenige Kinder sind: Ist aber wichtig, um auch hier die optimale Sprachförderung zu erzielen, denn so entwickelt sich das Spracherleben in der Erstsprache optimal weiter – eine wichtige Voraussetzung, um auch in der zweiten oder jeder weiteren eine Reichhaltigkeit anzustreben. Denn hinter ein bereits erworbenes Aus-drucksniveau geht niemand mehr gerne zurück. In solchen Kindergartengruppen ist es dann nur wichtig, dass die Pädagogen darauf achten, dass sich die einzelnen Gruppen nicht isolieren und sich immer wieder neue Spielgruppen mischen. Auch sollte es Situationen geben, in denen ausschließlich die Landessprache gesprochen wird – etwa beim Essen, beim Betrachten bestimmter Bücher usw. Dagegen hat sich gezeigt, dass eine Ganztagsbetreuung nicht zwingend der Sprachförderung dient. Das kommt sehr auf das Konzept der jeweiligen Einrichtung an. Manchmal ist es also sinnvoller, wenn man nachmittags auf spezielle Angebote in diesem Bereich eingeht.

Stellt man es als Erzieher(in) im Kindergarten geschickt an – u.a. etwa durch die Bereitstellung zweisprachiger Kinderbücher -, dann können auch die einsprachig aufwachsenden Kinder davon profitieren und einen kleinen Einblick in eine andere Ausdruckswelt erlangen. Die Erkenntnis, dass die Sprache kein Lernstoff, sondern vor allem ein nützliches Kommunikationsmittel ist, wird viele dann motivierend durch den Schulalltag begleiten, in dem das manchmal in Vergessenheit zu geraten scheint. Wichtig ist noch, dass Bedenken, die die Erwachsenen vielleicht haben, nicht vor den Kindern erörtert werden. Kleine Kinder können das nicht einordnen und sie sollten nicht das Gefühl bekommen, dass es ein Problem geben könnte – das sie sowieso nicht lösen können.

Bietet sich die Möglichkeit zu einem Kindergartenbesuch nicht – egal ob aus finanziellen Erwägungen oder aus strukturellen Gründen etwa eines fehlenden Angebots -, dann muss nach Alternativen Ausschau gehalten werden: Spielgruppen, Schwimm- und Malkurse, Tages- oder Stundenmütter – alles ist erlaubt. Wichtig ist es, Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft zu knüpfen und diese auch über das Kursangebot hinaus zu pflegen. Inzwischen gibt es auch spezielle Angebote wie Vorschulen u.ä. Allerdings ist es zu spät, wenn man ½ oder ein Jahr vor dem Eintritt in die Schule mit der zweiten Sprache erst beginnt. Erkundigen Sie sich bei Ihrer Kommune, was es für Möglichkeiten gibt – und wenn Sie nichts Passendes finden, nehmen Sie die Organisation selbst in die Hand. Wohlgemerkt, unsere Kinder sind nur dann erfolgreich, wenn sie die Umgebungssprache gut beherrschen. Und die sollten sie spätestens beim Eintritt in die Schule gut können. Lassen Sie sich auch nicht täuschen, wenn Ihre Kinder etwa für Sie übersetzen. Das sagt noch nichts über die wirkliche Sprachkompetenz des Kindes aus, die sich nicht an ihren Fähigkeiten im Vergleich zu den Eltern, sondern an denen der Umgebung orientiert. Solche Situationen sollten Sie aber nutzen, um Ihr Kind zu motivieren, fleißig weiter zu lernen – und es wäre schön, wenn das auch die Ansprechpartner in Schule und Kindergarten täten. Durch das Anerkennen dieser Leistung würde viel für das Selbstwertgefühl von Kindern und Eltern getan, das deren Zugehörigkeitsgefühl befördern würde.

Es ist oft gut gemeint, aber meistens geht der Schuss nach hinten los, will man selber den Kindern eine Sprache vermitteln, die man nicht gut beherrscht. Die Gefahr, eigene Sprachmängel weiter zu geben ist dabei nur eine bereits belegte Tatsache, eine viel schlimmere ist eine mögliche emotionale Verarmung der Kinder. Denn es ist für die (Sprach-)Entwicklung äußerst wichtig, dass die Kinder lernen, Gefühle verbal auszudrücken. Dies kann jeder Erwachsene nur in der ihm vertrautesten Sprache und dies dürfen wir den Kindern nicht vorenthalten. Im Gegenteil. Die Vermittlung einer reichhaltigen Erfahrungswelt im persönlichen Kontakt in einer Sprache ist sogar von Vorteil, weil Kinder, die sich gut ausdrücken können immer einen Lernvorteil vor anderen Kindern haben. Insgesamt geht die Sprachförderung der Kinder bedenklich zurück. Dies bemerken Kindergartenpädagogen bei der Aufnahme der Kinder – und zwar aller Kinder. Das liegt unter anderem an einem verfrühten und zu starken Medienkonsum und dem Fehlen direkter Erfahrungen. Sprachelernen hat etwas mit Sprechen zu tun. Zuhören reicht da bei weitem nicht aus. Egal ob ein Kind ein- oder mehrsprachig aufwächst, der Umgang und das Sprechen in der Familie legen den Grundstock für die Kompetenzen, die das Kind einmal erlangen wird.

Medien als Lernhilfen
Medien können aber auch eine positive Rolle beim Spracherwerb und überhaupt beim Lernen spielen, wenn man sie denn richtig einsetzt. Darum liegt die Betonung hier auf dem Wort „Hilfe“. Medien können eine Erziehung unterstützen, die einen Plan hat und Medienprodukte darin einordnen kann. Dabei müssen es nicht ausschließlich Schulbücher sein, die als positive Medien gelten. Auch Kassetten, bestimmte Fernsehsendungen, Internetangebote, Kinderbücher, Comics und Zeitschriften sind hier durchaus nutzbringend einzusetzen – je nach Alter und Erfahrungshorizont der Kinder. Berücksichtigt man dabei nicht bestimmte Regeln, ist der Einsatz von Medien jedoch gefährlich und äußerst kontraproduktiv. Man hat festgestellt, dass gerade die Mediennutzung die soziale Schere weiter auseinander klaffen lässt. Das heißt, Familien, die Bildung groß schreiben und damit auch konkrete Vorstellungen verbinden, sorgen eher dafür, dass Kinder Medien sinnvoll einsetzen – so wie sie es selber als Vorbilder tun: Das beginnt mit dem Einführen eines nachvollziehbaren und konsequenten Modus für die Mediennutzung über ein Überblicken der Nutzungszeiten bis hin zur Auswahl bestimmter Bücher und Sendungen, die sich sinnvoll in den Lebenskontext des Kindes einfügen. Beginnt man früh mit der (unbemerkten) Medienerziehung – also spätestens mit der Wahl des ersten Bilderbuchs – kann man hier ohne Druck wichtige Weichen stellen. Beginnt man erst, wenn ein bestimmter Medien-Erfahrungshorizont schon vorhanden ist, dann sind andere Maßnahmen erforderlich, auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen kann. Aber eines ist sicher: Verbote erhöhen nur das Interesse und darum ist das kein gangbarer Weg, um bestimmte Inhalte zu fördern. Die Erwachsenenwelt ist es, die besonders die elektronischen Medien in den Mittelpunkt gestellt hat – wir könnten auch andere Prioritäten setzen.

Ideal ist, wenn Kinder durch Medien Erfahrungen ergänzen können, die sie tatsächlich machen. Man lernt immer am besten, wenn man von dem ausgeht, was man schon kann und dieses dann durch die nächsten Erlebens-Schritte ergänzt. Umgekehrt können auch Singspiele, Kochanleitungen oder ähnliches auf Kassetten, im Fernsehen oder einer Zeitschrift einmal eine Anregung sein, das im Freundeskreis nachzumachen. Die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich. Schaffen Sie es, für das Kind interessante Kontexte zu schaffen, in denen das Sprechen einen Vorteil bietet, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Kind mit Freuden mitmacht. Um den Schrifterwerb zu unterstützen können Sie später einen Brieffreund oder eMail-Partner suchen uvm. Nichts kommt von allein – auch und schon gar nicht das Erlernen mehrerer Sprachen. Wenn wir die Kinder dabei aufmerksam begleiten, bieten wir Ihnen gute Chancen für Ihre persönliche und auch berufliche Zukunft.

Falscher Ehrgeiz ist hier fehl am Platze – und das regelt sich von selbst: erfahren Kinder keine Freude beim Lernen, dann betreiben sie es ungern und mit wesentlich weniger Erfolg. Die positive Einstellung der Eltern zum Lernen an sich und zu den Inhalten allein schon kann hier einiges bewirken. Kinder lernen im Hier und Jetzt. Man kann kein Kind mit den tollen Lebenschancen als Erwachsener motivieren. Es muss Freude erleben bei dem, was es jetzt tut – zum Beispiel mit Papa ein Bilderbuch ansehen, oder mit Opa und Oma einen Ausflug machen. Es sei noch erwähnt, dass Bilderbücher mit zu den besten Angeboten für die Sprachentwicklung der Kinder gehören (z.B. Wimmelbücher), wenn man sie gemeinsam betrachtet.

Hinweis: Der nächste Teil dieser Artikelreihe erscheint morgen auf MiGAZIN. Zurück zum ersten Teil.

Während beim Erledigen der alltäglichen Routinen wie Anziehen, Essen und Waschen die Sprache ganz einfach ist, bieten Spiele und Gespräche schon anspruchsvollere Situationen, um Sprache zu trainieren. Am reichhaltigsten ist aber in der Tat das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern, wobei man Geschichten lesen oder erfinden kann – ausschmücken, verändern, diskutieren. Viel Sprechen eben in einer natürlichen Situation. Hier ist die Ausdauer der Eltern gefordert. Kinder haben diese eigentlich – unterstützen Sie sie dabei, bei einer Sache zu bleiben. Ein Buch pro Abend reicht für 2 bis 5 Jährige – die Zeit ist hingegen unbegrenzt. Und wiederholen Sie möglichst oft dieselben Eindrücke – je jünger die Kinder, umso öfter. Hier gilt: weniger ist mehr! Durch Wiederholen lernt man und man lernt auch, jedes Mal etwas Neues im Alten zu entdecken. Außerdem wird nur so dem Heranwachsenden ermöglicht, sich mit einer Materie intensiv auseinander zu setzen und die Eindrücke wirklich zu verarbeiten – da steckt wirklich viel Arbeit drin.

Weiter zum dritten Teil dieser Artikelreihe Aktuell Gesellschaft

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