Migrantenkinder auf dem Abstellgleis

Bildungsbeteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund

Bildung ist die Zukunft. Wenn aber etwa ein Viertel der potenziellen Leistungsträger einer Gesellschaft aufgrund falscher Weichenstellung entgleist, wird es im internationalen Vergleich keine Zukunft haben.

Von Dienstag, 08.03.2011, 8:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.03.2011, 3:10 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die dringlichste Aufgabe der deutschen Bildungspolitik sollte daher die Schaffung der Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Schichten sein, zu denen insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund gehören.

Von den rund 2,1 Millionen Schülern in Nordrhein-Westfalen haben ca. 25,2 Prozent eine Zuwanderungsgeschichte. Rund die Hälfte (ca. 47,7 Prozent) der Schüler nichtdeutscher Nationalität haben Ihren Ursprung aus der Türkei. Die nächst größeren Gruppen sind Italiener (5,4 %), Griechen (3,2%), Albaner (3,0%), Russen (2,5%) und Spanier (0,9%), um nur einige zu nennen. Der Bildungserfolg von Kindern mit Migrationshintergrund liegt aber Weit hinter denen der einheimischen Kinder zurück.

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Um es in Zahlen auszudrücken: Von den 25,2% der Schülerschaft in NRW, die einen Migrationshintergrund haben besuchen nur 13% das Gymnasium. Berücksichtigt man nur diejenigen, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben, dann beträgt deren Anteil an der Schülerschaft 11,3% und davon besuchen 4,6% das Gymnasium. Definiert man den Besuch eines Gymnasiums als Maß für den Schulerfolg, so ergibt sich folgende Reihenfolge: Deutsche Vergleichsgruppe (28,0%), Griechen (14,5%), Spanier (12,7%), Portugiesen (11,3%), Polen (10,3%), Italiener (7,7%), deutsche Spätaussiedler (6,9%), Türken (6,9%), Serben (4,5%), Albaner (4,1%).1 Es ist unverkennbar, dass hier ein Bildungsnotstand herrscht. Um diesen Bildungsnotstand zu beheben, werden seitens der Politik verschiedene Strategien vorgeschlagen, wobei die Behebung von Sprachproblemen an erster Stelle rangiert, was richtig und wichtig für den Schulerfolg in Deutschland ist.

Keine Sonderklassen
Um das Sprachdefizit zu verbessern, sollen zusätzlich zu der Sprachförderung im Vorschulalter, nach Ministeriumsvorgaben des Landes NRW (Erlass von 2009), für Kinder mit Migrationshintergrund sogenannte Sonder- bzw. Vorbereitungsklassen gebildet werden können. Der Schwerpunkt dieser Klassen soll mit bis zu 12 Wochenstunden auf das Erlernen der deutschen Sprache liegen. Eine Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsstunden ist für diese Klassen aber nicht vorgesehen, sodass sich Lerndefizite in den übrigen Lernbereichen von fast zwei Jahren ergeben, welche die Kinder nie aufholen können.

Die Deutschförderung halten wir für richtig und wichtig, nicht aber die Bildung von sogenannten Sonderklassen. Wünschenswert ist hier ein Ansatz, in welcher die Wochenstundenzahl für Kinder mit Förderbedarf um die notwendige Anzahl an Förderstunden erhöht wird. Es wären dann sicherlich zusätzliche Lehrerstellen notwendig. Langfristig ist dieser Förderansatz für die Schüler als auch für die Gesellschaft profitabler als der rein defizitorientierter Ansatz. Die hierfür eingesetzten Lehrkräfte sollten auf jeden Fall interkulturelle Lehrkompetenz und die Befähigung zur Erteilung von Deutsch als Zweitsprache haben.

Weder das Eine noch das Andere
Das größte Problem der Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind sprachliche Defizite, sowohl in der Primärsprache als auch in der Landessprache Deutsch. Sie beherrschen weder das Eine noch das Andere. Die Größe des aktiven Wortschatzes dieser Kinder liegt schätzungsweise zum Teil unter 300 Wörtern (einem 3-4 Jährigen entsprechend); notwendig sind aber mindestens 2000-3000 Wörter für Kinder im Schulalter. Daher sollte die Förderung der Landessprache (Deutsch) in erheblichem Maße ausgeweitet werden.

Wie die neueste PISA Studie jedoch klar zeigt, tut sich das Bildungswesen in Deutschland auch im internationalen Vergleich schwer, Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache schulisch optimal zu fördern. So liegt Deutschland bei den Angeboten an Förderunterricht in der Landessprache Deutsch (Platz 20 von 20), bei Vorbereitungskursen in der Landessprache Deutsch (Platz 17 von 20) sehr weit hinter dem OECD-Durchschnitt.2 So bleibt festzuhalten, dass Deutschland seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Aber auch bei der Förderung der Herkunftssprachen liegt Deutschland weit hinter dem OECD-Durchschnitt. Für eine gesunde und vernünftige Entwicklung der Sprache dieser Kinder ist aber nach wissenschaftlichen Aussagen die ganzheitliche Förderung in beiden Sprachen notwendig. Sicherlich können nicht alle 150 Nationalitätensprachen mit gleicher Effizienz gefördert werden. Jedoch ist eine Wichtung nach dem Anteil der jeweiligen Gruppen möglich und auch dringend nötig.

Recht auf individuelle Förderung
Nach Paragraf 1 des Schulgesetzes Nordrhein-Westfalen hat jeder junge Mensch ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Letzteres bedeutet bei Migrantenkindern auch die Akzeptanz der Kultur und Sprache, welche die Kinder mitbringen und Teile ihrer Identität sind. Dies ist für die Persönlichkeitsentwicklung von besonderer Bedeutung. Deshalb sollte die Förderung der jeweiligen Muttersprachen (Herkunftssprachen) ein zusätzliches Förderinstrumentarium der Schulpolitik nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene sein.

Bildungsförderung von Kindern mit Migrationshintergrund bedeutet auch die stärkere Förderung der Elternarbeit sowie deren Einbindung in die Schulpolitik. Hierfür müsste aber die Bereitschaft der Schulen vorausgesetzt werden, sich intensiver mit interkultureller Elternarbeit zu beschäftigen.

Nur so lässt sich eine gesunde und ausgleichende Bildungspolitik gestalten, welche die Aufgaben der Zukunft, die auf die nächsten Generationen zukommen meistern. Erfolg haben in der Zukunft nur die Gesellschaften, deren Mitglieder, mehrsprachig, interkulturell und vielseitig ausgebildet worden sind. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, die nächsten Generationen auf die Vielfältigkeit vorzubereiten. Das ist nicht nur in unserem Interesse.

Quellen
1) Das Schulwesen in NRW aus quantitativer Sicht (2009-2010)
2) Klieme et al. PISA 2009. Bilanz nach einem Jahrzehnt (2010) Aktuell Meinung

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  1. böse sagt:

    Hört doch bitte auf von Migranten hier überall zu schreiben!

    Das hier auf NRW eingegangen wird ist klar den dort ist die Grüne Löhrmann zuständig die das Schulniveau absenkt so das die großen Firmen in Zukunft nur noch Leute mit Abitur+Studium(+evtl. Berufserfahrung) aufnehmen werden.

    Unter Migranten fallen auch die Vietmanesen, Japanern & Co.! Diese sind in der 2-3 Generation so weit das man sie Problemlos in jede höhere Schule schicken könnte.

    Japaner z.B. lernen auch zuerst ihre Sprache (Japanisch) können aber trotzdem dann noch perfekt deutsch und können friedlich nebeneinander hier leben.

    Sieht man jedoch z.B. Duisburg-Marxloh sieht das schon anders aus dort haben Einwohner sogar Angst vor die Haustür zu gehen und dieses Viertel ist ganz schön berüchtigt.

    Man sollte also z.B: Fragen wenn Erdogan fordert das sein Klientel in der 3-4 oder 5 Generation der hier lebenden Türken, die dazu keine Ambitionen haben in die Türkei wieder auszuwandern die Sprachförderungskosten für ihre Kinder selbst zahlen zu müssen.

    Es immer auf die Allgemeinheit umzuschlagen ist ungerecht!!!

  2. Karmel sagt:

    Zitat: „Um das Sprachdefizit zu verbessern, sollen zusätzlich zu der Sprachförderung im Vorschulalter, nach Ministeriumsvorgaben des Landes NRW (Erlass von 2009), für Kinder mit Migrationshintergrund sogenannte Sonder- bzw. Vorbereitungsklassen gebildet werden können. Der Schwerpunkt dieser Klassen soll mit bis zu 12 Wochenstunden auf das Erlernen der deutschen Sprache liegen.“

    Das Krasse an der ganzen Sache ist, dass man hier nicht über frisch Eingewanderte redet, sondern über Menschen, die hier in der dritten, teilweise vierten Generation leben. Und für die müssen wir Sonderklassen einrichten, damit sie die Landessprache lernen.

    Aber nein, Sonderklassen dürfen es natürlich nicht sein. Das könnte ja als „ausgrenzend“ oder „stigmatisierend“ verstanden werden. Teurer Einzelförderunterricht sollte es schon sein. Mindestens. Schließlich ist ja auch bestimmt die deutsche Gesellschaft an allem schuld. Ach ja, interkulturelle Lehrkompetenz ist natürlich auch ein Muss.

    Witzig.

    Ich habe übrigens in dem ganzen Artikel kein Wort darüber gelesen, wieso ein junger Türke der 3. oder 4. Generation kein deutsch lernt. Aber das interessiert ja nicht.

    Man muss sich nicht wundern, wenn sich die Mehrheitsgesellschaft immer mehr abwendet. Eine steigende Akzeptanz eines Sarazzin und anderer kommt nicht von ungefähr…

  3. Belladetta sagt:

    Sehr geehrter Herr Dr. Sak,
    wieso schaffen es asiatische Mitbürger wie z.B. die Chinesen, sich selbst zu organisieren und für ihre Kinder in zahlreichen deutschen Städten Samstagsunterricht in der Muttersprache anzubieten, und das schon seit bestimmt 15 Jahren, ohne nach dem deutschen Staat zu fragen? Nicht, dass die Kinder so wahnsinnig begeistert wären, aber da müssen sie durch. Bildung ist oberste Pflicht, lesen Sie die Beiträge von Martin Hyun!
    Sie dagegen rufen nach dem Staat und scheuen sich, die eigentlichen Probleme beim Namen zu nennen. Sie sprechen das eklatante Bildungsdefizit bei den nach Deutschland heiratenden Frauen nicht an. Warum macht jede Generation immer wieder dieselben Fehler und warum heiraten türkischstämmige Männer bis heute Frauen aus dem Heimatdorf ihrer Eltern, die entweder nie die Schule oder höchstens die Grundschule in der Türkei besucht haben? Asiaten, die eine arrangierte Ehe befürworten, achten sehr darauf, dass das Bildungsniveau des zukünftigen Partners/der Partnerin zumindest dem eigenen entspricht. Unbildung ist ein furchtbarer Makel und bedeutet Gesichtsverlust. Wie sollen ungebildete Frauen ihren Kindern in dieser hochkomplexen, modernen deutschen Gesellschaft Orientierung geben, wenn sie dazu nicht einmal in der Türkei in der Lage wären. Warum haben die ersten Generationen von Einwanderern, die doch die deutsche Gesellschaft und ihren Leistungsanspruch kennengelernt hatten, bei ihren Besuchen in der alten Heimat nicht darauf gedrängt, dass auch die jungen Mädchen in ihrer weitverzweigten Verwandtschaft eine gute Schulausbildung bekommen müssen. Sie mussten doch schon allein durch ihre Erfahrungen in Europa längst erkannt haben, dass man ohne solide Bildung seinen Kindern keine Orientierung und Hilfestellung geben kann. Warum ich das anspreche? Auch bei den deutschen Katholiken war es lange nicht üblich, den Töchtern eine gute Schulausbildung zukommen zu lassen. Bis heute sind, laut Statistik, die Protestanten Deutschlands besser ausgebildet als die Katholiken (habe ich 2009 online in Nepal in der ZEIT gelesen). Dass meine tiefkatholischen Eltern ihre vier Töchter aufs Gymnasium schickten und wir alle ein Universitätsstudium absolvierten, war in unseren Jahrgängen (1964-69) gar nicht selbstverständlich. Diesen für deutsche Katholiken untypischen Bildungsehrgeiz haben sie aber aus Korea mitgebracht und uns Kindern eingebleut, dass die Familien dort sogar hungern, um ihren Kindern eine sehr gute und teure Schulbildung zu ermöglichen.
    In türkischen Familien regieren bis heute bedauerlicherweise die ungebildeten Großmütter, die eine vor allem gefügige Schwiegertochter im Haus haben wollen und gebildete junge Frauen lassen sich bekanntlich schwer was sagen. Ich habe genug junge Türkinnen weinen sehen. Leider funktionieren patriarchalische Familien weltweit immer noch nach demselben Muster. Die Schwiegermütter wollen ihre erst spät und hart erworbene Machtposition in der Familie nicht räumen und geben das einst ihnen zugefügte Leid an die nächste Generation weiter. Und sie suchen die Schwiegertöchter aus, zu denen sie vor der Hochzeit auch noch so reizend sind…. Warum sollten die jungen Frauen ein besseres, freieres Leben führen dürfen als sie… Wer unfrei ist, kann die Freiheit des anderen nicht ertragen. Diese Strukturen müssen erst aufgebrochen werden und da kann der deutsche Staat nicht helfen.

  4. EWB sagt:

    Hiermit möchte ich zuerst Herrn Dr. Ali Sak für seiner mutigen Darstellung gratulieren, und gerne zufügen, dass die deutsche Politik und Wirtschaft bei der Integration- und Migrationpolitik versagt hat!
    Was kann mann davon halten und warten, wenn die deutsche Politiker und Verantwortlichen mehr als 45 Jahren verweigern, dass das Deutschland ein Einwanderungsland ist! Sie haben erst 2005 zugegeben und erkennen, dass das Deutschland ein Einwanderungsland ist!
    Also, die Kommentatoren wie Caremel und Böse haben vollkommen Recht! Sie haben manche Warheit gut erkannt und berechtigteweise wiedergegeben. Aber leider, wie die meisten Einheimischen, versuchen wieder den Schuld auf die Migrantinnen und Migranten zu zuschieben, weil sie nicht in der Lage sind, sowie auch in der Geschichte des Deutschlands, zu erkennen, dass die deutsche Politik und Wirtschaft seit über 45 Jahren versagt haben! Aber Gott sei Dank, sie haben endlich akzeptiert und gemerkt, dass in Deutschland auch andere Persönlichkeiten von anderen Kulturen leben. Deshalb, die Integration ist keine Einbahnstraße, sondern, ein beidseitigen Prozess. Dadurch bitte ich alle Einheimischen und MigratInnen aufeinander zu zugehen, damit sie sich besser kennenlernen wollen. Nur mit Vorurteile ist das Leben sehr schwer. <>
    Herzliche Grüße
    EWB

  5. arabeska sagt:

    Bezüglich der besonderen Integrationsfähigkeit der Koreaner, Japaner, Vietnamesen usw. möchte ich zu bedenken geben, dass diese sich meistens ebenso oft in Parallelwelten bewegen wie z.B. Türken. Deren Kinder gehen in entsprechende landestypische Schulen und Kindergärten. Beispiel: Die Koreaner in meinem Stadtviertel treffen sich mehrmals in der Woche in einem evangelischen Gemeindezentrum und bleiben weitgehend unter sich. Und über die vorhandenen Deutschkenntnisse läßt sich auch streiten………

    Das erinnert an die deutschen Expatriates, die durch ihren Relocation-Agent logistisch vor Ort in der neuen Heimat von der deutschen Krabbelstube bis zum deutschen Kegelverein alles vorfinden was eine Integration offensichtlich nicht notwendig macht.

    Die Türken dagegen, die man in den sechziger Jahren zu Hunderttausenden ins Land geholt hat, damit sie die Drecksarbeit erledigen, in den Kohlenminen und U-Bahnschächten schuften, hatten seinerzeit keine Relocation agents und bilden leider inzwischen eine millionenstarke Unterschicht mit geringen sozialen Aufstiegschancen. Die Arbeitsplätze, die sie einst besetzten, existieren nicht mehr. Sie werden schlicht und einfach nicht mehr gebraucht und dementsprechend mit vielfältigen Problemen belastet, entsprechend schwer sind sie dann zu „integrieren“.

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