4. Integrationsgipfel

Symbolisches Kaffeekränzchen mit Fotoshooting

Der vierte Integrationsgipfel steht im Schatten der Debatten um vermeintliche Integrationsverweigerer und kurz zuvor verabschiedeten Gesetzesverschärfungen. Populismus, Symbolpolitik und Täuschungsmanöver sind nur einige der Vorwürfe.

Mittwoch, 03.11.2010, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.11.2010, 23:19 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Heute lädt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum vierten Integrationsgipfel ins Bundeskanzleramt. Über 120 Teilnehmer aus Bund, Ländern und Kommunen, Verbänden und private Akteure werden den Nationalen Aktionsplan auf den Weg bringen und den Nationalen Integrationsplan konkretisieren und weiterentwickeln.

So vielversprechend sich die Etikettierung auch anhört, unumstritten ist der Gipfel nicht. So kritisiert die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Aydan Özoguz, dass der Aktionsplan „erst in 12 Monaten fertig sein“ soll und „dann auch nur ein Sammelsurium aus den Forderungen des längst existierenden Nationalen Integrationsplans“ enthalten wird. „Warum gibt es nicht längst einen konkreten Aktionsplan der Bundesregierung?“, möchte die SPD-Politikerin wissen.

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Auch sonst steht der vierte Integrationsgipfel im Schatten einer umstrittenen Integrationspolitik der Bundesregierung. Erst vergangene Woche hatte die Bundesregierung ein in vielen Punkten widersprüchliches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht.

Vermeintliche Integrationsverweigerer
Nach den öffentlichen und oftmals populistisch geführten Debatten um vermeintliche Integrationsverweigerer wurde beschlossen, diese künftig strenger zu sanktionieren. Als Verweigerer gilt, wer seiner Verpflichtung zur Teilnahme an einem Integrationskurs nicht nachkommt. Wie hoch der Anteil der vermeintlichen Integrationsverweigerer ist, kann die Bundesregierung nicht sagen. Eine parlamentarischen Anfrage der Linken musste den notwendigen Impuls geben, damit das Innenministerium tätig wird. Wenige Tage Später leitete sie eine eigene Länderbefragung ein, die Auskunft über Schwänzer und Abbrecher geben soll. Die Ergebnisse liegen noch nicht vor. Das Pferd von hinten aufzäumen, nennt das Volk derartiges Vorgehen. Maßnahmen wurden eingeleitet, bevor gesicherte Erkenntnisse vorliegen.

Auf der anderen Seite müssen mehrere zehntausend Ausländer, die gerne einen Integrationskurs besuchen würden, aufgrund fehlender Finanzmittel mehrere Monate auf einen Integrationskursplatz warten. Obwohl diese Erkenntnis bekannt ist, wurden die Mittel für die Integrationskurse nicht angehoben. Özoguz dazu: „Der Integrationsgipfel kann nicht davon ablenken, dass die konkrete Integrationspolitik der Bundesregierung den warmen Worten nicht standhält – abzulesen am Entwurf des Bundeshaushaltes 2011: Dort sind für die Integrationskurse die gleichen Mittel eingestellt, die schon in diesem Jahr bei weitem nicht gereicht haben (218 Millionen Euro).“

Opferschutz bei Zwangsverheiratungen?
Auch beim Thema Zwangsverheiratungen bekleckerte sich die Bundesregierung nicht mit Ruhm. Um Frauen vor Zwangsverheiratungen zu schützen, wurde ein neuer Straftatbestand mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geschaffen. Nach gegenwärtigem Recht war die Zwangsverheiratung als schwere Nötigung ebenfalls mit bis zu fünf Jahren bereits unter Strafe gestellt. Auch hier musste sich die Bundesregierung den Vorwurf gefallen lassen, populistisch zu sein und Symbolpolitik zu betreiben.

Dort, wo Opfern von Zwangsverheiratungen geholfen werden könnte, wurden die Gesetze allerdings zulasten der Betroffenen geändert. „Die Bundesregierung redet vom Schutz der Frauenrechte, erhöht aber gleichzeitig die Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre, wodurch Frauen ein Jahr länger in einem ehelichen Gewaltverhältnis ausharren müssen“, so die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen.

Hintergrund: Scheinehen
Mit der Verlängerung der Ehebestandszeit geht die Bundesregierung gegen Scheinehen vor, die in der Regel geschlossen werden, um einem Ausländer zu einem Aufenthaltstitel zu verhelfen. Nach Ablauf der Ehebestandszeit kann der Ausländer einen vom Bestand der Ehe unabhängigen Aufenthaltstitel erlangen. Die Verlängerung der Ehebestandszeit ist im Ergebnis eine weitere Maßnahme, um ungewollte und unkontrollierte Zuwanderung zu erschweren, die der Bundesregierung offensichtlich wichtiger ist, als der Opferschutz von Zwangsverheiratungen. So wird eine zwangsverheiratete Frau genötigt, künftig drei statt zwei Jahre die unter Zwang zustande gekommene Ehe aufrechtzuerhalten, wenn sie nicht abgeschoben werden möchte.

Bereits im Jahre 2007 hatte die Bundesregierung den unkontrollierten Zuzug von Ausländern mit der Einführung von Spracherfordernissen beim Familiennachzug erschwert und dies ebenfalls als Schutzmaßnahme gegen Zwangsverheiratungen etikettiert. Seit dem sind die Zahlen der Familiennachzüge massiv zurückgegangen.

Alles in allem verdichtet sich der Eindruck, als ginge es der Bundesregierung einzig darum, die unkontrollierte Zuwanderung zu erschweren und nicht primär um Schutz von Frauen oder um vernünftige Integrationspolitik. Auch erweckt sie nicht den Eindruck, als verfüge man über den notwendigen Sachverstand. Noch am vergangenen Samstag offenbarte die Bundeskanzlerin in ihrem Video-Podcast anlässlich des Integrationsgipfels, dass sie keine Unterscheidung zwischen Scheinehen und Zwangsverheiratungen vornimmt: „Wir haben in dieser Woche gerade einige Gesetze verabschiedet – zum Beispiel gegen die Scheinehe. Und wir wollen damit deutlich machen, dass wir solche Zwangsverheiratungen zum Beispiel nicht billigen.“ Dabei sind die Merkmale eindeutig: Bei Scheinehen gehen beide Partner – zwar mit unredlichen Absichten – mit Wissen und Wollen in die Ehe, während eine Zwangsverheiratung unfreiwillig erfolgt – zwei vollkommen unterschiedliche Sachverhalte und Motive.

Fotoshooting als Täuschungsmanöver
Bei den bisherigen Integrationsgipfeln sei viel geredet und im Ergebnis praktisch nichts erreicht worden, kommentiert Dagdelen den bisherigen Verlauf der Integrationsgipfel. Und danach sehe es auch diesmal aus. „Es ist höchste Zeit für einen grundlegenden Kurswechsel in der Integrationspolitik. Wir brauchen einen Ausbau der Rechte von Migranten statt immer neuer Eingriffe in Grundrechte, mehr und bessere Angebote an Migranten statt verschärfter Sanktionen und gleiche soziale und politische Teilhabechancen statt Ausgrenzung und Diskriminierung einsetzen“, so die Linkspolitikerin.

Auch der vierte Integrationsgipfel sei nur eine Alibiveranstaltung mit Fototermin. Der Show-Effekt, auf den die Bundesregierung offenkundig hoffe, werde diesmal allerdings verpuffen. Dagdelen: „Wer landauf und landab gegen angebliche Integrationsverweigerer polemisiert und ständig härtere Sanktionen fordert, wie es Regierungspolitiker derzeit tun, kann sich auch dieses integrationspolitische Kaffeekränzchen im Kanzleramt sparen.“

Auch Memet Kilic, migrations- und integrationspolitischer Sprecher der Grünen kritisiert Gesetzesverschärfungen, die es „alle Jahre wieder“ gibt. Durch den Integrationsgipfel würden Hoffnungen bei den Immigranten geweckt, die Politik positiv mitgestalten zu können. „Notwendig sind positive Schritte wie ein kommunales Wahlrecht für alle Immigranten“, sagte Kilic und fügte hinzu: „Das wäre ein wichtiges Signal.“

Vier Jahre nach dem ersten Nationalen Integrationsgipfel seien wenig positive Folgen zu spüren. Vielmehr könne man von einem Täuschungsmanöver sprechen. Kilic: „Die Beschränkung auf Symbolpolitik haben die Immigranten satt. Damit es dem rechten Lager in der Union nicht unwohl wird, werden Immigranten häufig als Eindringlinge und Parasiten angesehen. Damit schadet die Union dem friedlichen Miteinander in Deutschland.“ Politik

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  1. Der Integrationsgipfel ist ein zentrales Instrument der deutschen Integrationspolitik! Die Aushöhlung dieses Instruments ist daher nicht nachvollziehbar und lässt zudem die Vermutung zu, dass die Bundesregierung – über die im Artikel genannten Gründe hinaus – befürchtet, dass sie mit einem solchen Instrument die Deutungshoheit in der Ausgestaltung der deutschen Integrationspolitik, nicht mit den betroffenen Gruppen teilen möchte.

    Getreu dem Motto „erst schießen, dann fragen“ operiert die Bundesregierung nach dem Leitsatz „erst Fakten schaffen, dann miteinander sprechen“.

    Die Haltung erinnert mich an die 1990er Jahre, in denen „deutsche Vertreter“ die Auffassung teilten, dass nur sie bestimmen können, wie Integration gestaltet werden kann.

    Ergo: War der Integrationsgipfel mal ein fortschrittliches Instrument, ist er mittlerweile rückwärts gewandt.

  2. Pingback: PM: Integrationsgipfel: Reine Symbolpolitik - Memet Kilic - ist im Bundestag

  3. Zausel sagt:

    Die meisten Deutschen würden sich wohl eher einen Rückführungsgipfel
    für ausl. Kriminelle, Dauerleistungsbezieher u. religöse Eiferer herbeisehnen.

  4. Pingback: Presseschau: Inland III – Memet Kilic - Memet Kilic - ist im Bundestag