Kılıçs kantige Ecke

Undank ist der Welten Lohn?

In letzter Zeit habe ich besorgniserregende Déjà-Vu Erlebnisse. Als ich vor zwanzig Jahren als Student nach Deutschland kam, gab es kurz nach der Wiedervereinigung ähnliche Debatten. Damals argumentierte mancher Repräsentant der Republik, ähnlich wie heute, mit den Sätzen „Wir hätten zu viele Ausländer, die uns ausnützten. Das Boot sei voll. Deutschland werde überfremdet.“

Von Dienstag, 02.11.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 03.01.2011, 23:46 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Diese rassistischen Debatten haben zu Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda geführt, wo Flüchtlingsheime in Brand gesteckt wurden. Und zu Mölln und Sollingen, wo Immigranten bei lebendigem Leib verbrannt wurden.

Die Welt hat damals alle Aufmerksamkeit auf Deutschland gerichtet und sich gefragt, was schon wieder mit den Deutschen los sei. Die Welt hat uns gesagt „Nein, ihr habt nicht zu viele Ausländer, sondern die Immigrantinnen und Immigranten, die seit Jahrzehnten bei euch leben, haben kaum eine Chance, eingebürgert zu werden!“

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Diese Zeichen haben der damalige Bundeskanzler, Dr. Helmut Kohl, und der damalige Innenminister, Dr. Wolfgang Schäuble, verstanden und im Jahr 1993 die Anspruchseinbürgerung eingeführt, für die nicht einmal Sprachkenntnisse notwendig waren. Mit Ausnahme der rot/grünen Ära wurden die Einbürgerungsvoraussetzungen ab diesem Zeitraum ständig erschwert, um Immigranten und deren Nachkommen unten zu halten.

So kommt es, dass von den bundesweit etwa 6,7 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit fast 5 Millionen seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben. Sie erfüllen also eine der wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzungen. Seit 2004 sind die Einbürgerungszahlen sogar um rund ein Fünftel zurückgegangen.

Im europäischen Vergleich hat Deutschland eine der niedrigsten Einbürgerungsquoten. Die Einbürgerungsrate ist – prozentual – in Schweden fast drei mal so hoch wie in Deutschland.

Es ist verantwortungslos, dass Herr Seehofer und Frau Merkel schon wieder das leidige Thema „Leitkultur“ wiederbelebt haben. Nur um den rechten Rand bei der Stange zu halten, das gesellschaftliche Klima zu vergiften, ist gefährlich. Diese unwürdigen Diskussionen schaden nicht nur der Gesellschaft und der Wirtschaft, sondern auch dem internationalen Image Deutschlands.

Nach den schrecklichen Brandanschlägen in Mölln und Solingen wurden die Immigrantinnen und Immigranten von der breiten Gesellschaft nicht allein gelassen. Es gab Lichterketten. Als ich von der Demonstration gegen Rechtsextremisten aus Solingen zurückkehrte, habe ich in einer Zeitung einen Artikel von Heribert Prantl gelesen. Einen Satz habe ich seit ca. 17 Jahren im Gedächtnis behalten „Wenn Immigranten nur der Staatsgewalt unterworfen sind, aber nicht daran teilhaben können, werden sie fremd gelten und fremd bleiben.“

Wir müssen die Phantomdebatten beenden und eine tatsächliche Integration- und Teilhabe forcieren. Dafür brauchen wir gute Rahmenbedingungen, wie ein einladendes Einbürgerungsrecht.

Der Rückgang der bereits niedrigen Zahl der Einbürgerungen zeigt, dass die Hürden für die Einbürgerungen zu hoch sind. Nach wie vor ist ein zu großer Teil der Gesellschaft von den staatsbürgerlichen Rechten, insbesondere dem Wahlrecht, ausgeschlossen. Unsere Demokratie erfordert, dass die dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen als Staatsbürgerinnen und –bürger die gleichen Rechte und Pflichten wahrnehmen können.

Mit unserem Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes (BT-Drucksache 17/3411) wollen wir Grüne daher die Einbürgerungsvoraussetzungen erleichtern. An dieser Stelle möchte ich nur einige mir besonders wichtige Forderungen nennen, die in unserem Reformvorschlag enthalten sind.

Wir wollen die Fristen für eine Einbürgerung verkürzen. Einbürgerungen müssen nach sechs Jahren und bei besonderer Integrationsleistung nach vier Jahren rechtmäßigen Aufenthalts möglich sein.

Die Mehrstaatigkeit darf kein Einbürgerungshindernis mehr sein. Untersuchungen haben bestätigt, dass, wenn ausländische Staatsangehörige ihre bisherige Staatsangehörigkeit beibehalten dürfen, die Bereitschaft zur Einbürgerung um ein Vielfaches steigt. Eine nachvollziehbare Begründung an dem Verbot der Mehrstaatigkeit festzuhalten, gibt es nicht. Meines Wissens hat auch der Ministerpräsident von Niedersachsen, Herr David McAllister, neben der deutschen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Keiner sieht deswegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung in Gefahr.

Von Rentnerinnen und Rentnern, die ihre Jugend und Gesundheit in den Aufbau unseres Landes investiert haben, dürfen keine Sprachtests gefordert werden, damit wir die Herzen ihrer Kinder und Enkelkinder für Deutschland gewinnen. Um die Einbürgerung für Rentnerinnen und Rentner weiter zu erleichtern, sind wir auch dafür, dass der Bezug von Grundsicherung im Alter der Einbürgerung nicht entgegen steht.

Der Einbürgerungstest hat seine abschreckende Wirkung bereits gezeigt. Er sorgt für mehr Bürokratie, verursacht Kosten und ist ein falsches Signal an Eingewanderte. Das abgefragte Wissen ist kein Indikator für den Grad an Integration. Getestet wird nur, ob eine Person intellektuell in der Lage ist, gelerntes Wissen korrekt wiederzugeben. Die sozial selektierende Wirkung wird dabei noch dadurch verschärft, dass die Betroffenen die Kosten – neben den hohen Gebühren für die Einbürgerung – zu tragen haben.

Zu einer einladenden Einbürgerungspolitik gehört auch die Erweiterung des Geburtsortsprinzips. Dabei wollen wir das sogenannte Optionsmodell aufheben, das junge Erwachsene zwingt, sich mit der Volljährigkeit für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden.

Außerdem sollen in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern bereits dann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn ein Elternteil seit sechs Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, unabhängig davon, ob das Elternteil bereits ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht hat.

Schließlich wollen wir die Einbürgerung von jungen Einwanderinnen und Einwanderern vereinfachen, die Einbürgerungs-Gebühren senken und dafür sorgen, dass die Einbürgerungsbehörden ihre Aufgabe nicht darin sehen, Einbürgerungen zu erschweren sondern zu erleichtern.

Und, viel wichtiger: Wir müssen eine Willkommenskultur entwickeln. Die Kanadier begrüßen die neuen Einwanderer mit folgenden Sätzen: „Herzlich Willkommen. Ihr gehört zu Kanada und Kanada gehört euch.“ Unsere Kinder müssen sich in Deutschland in der dritten und vierten Generation täglich drei Mal anhören, dass sie nicht dazu gehören.

Diese notorische, rassistische Diskussion muss beendet werden. Aktuell Meinung

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  1. Reiner Tiroch sagt:

    Diese unnötigen Disskusionen sind ein perfektes Ablenkungsmanöver vor der Monsterkrise welche von den Superpolitikern für beendet erklärt wurde obwohl sie nun auf Stelzen daherkommt.

  2. Lieber Herr Kilic,

    diese Position zur Einbürgerung ist im Kontext der deutschen Einwanderungsgeschichte und der Globalisierung nicht nur zeitgemäß sondern auch fortschrittlich und daher wünschenswert!

    Besonders begrüße ich die Vorschläge zur Einbürgerung der so genannten Gastarbeiter. Ich plädiere schon seit Jahren dafür dieser Gruppe einen erleichterten Zugang zur Einbürgerung zu gewähren (siehe: http://futureorg.de/pdf/zaman_oktober2009.pdf) Wenn diese Eltern- und Großelterngeneration sich mit Deutschland identifizieren kann, so wird dies auch auf die Kinder und Enkelkinder abfärben. So ist Heimat nicht ein Stück Papier sondern ein Ort, der die Eltern und Großeltern aufgenommen hat.

    Herzlichst,
    Kamuran Sezer

  3. Bekir Altas sagt:

    Die Frage der Identität und Loyalität im Zusammenhang mit der doppelten Staatsbürgerschaft muss – soweit ich das überblicken kann – im deutschen Kontext noch theoretisch aufgearbeitet werden, um Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Ihr Hinweis auf den niedersächsischen Ministerpräsidenten ist zwar zutreffend und bezeichnend für die fatale Doppelmoral (siehe Ausnahmeregelungen), die hier gefahren wird. Zur Mehrheitsfindung bedarf es allerdings mehr; uzw. überzeugende Argumente.

    Die liefert etwa der Nobelpreisträger Amartya Sen in „Die Identitätsfalle“. Er stellt die reduktionistische Sichtweise etwa vieler Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft, die Menschen vorrangig als Angehörige der einen oder anderen Kultur zu betrachten, exzellent dar und legt ein Gegenentwurf vor, den wir im deutschen Kontext ausarbeiten müssen. So glaubt er, das starke Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft nicht andere Zusammenschlüsse und Zugehörigkeiten zunichte machen muss. Es gehe vielmehr darum wie und wie weit der Einzelne in seinem Leben Raum schafft für verschiedene Loyalitäten. Hier müssen wir meine ich ansetzten Herr Kilic und gute Argumente ausarbeiten und sie dann zur Diskussion stellen. Andernfalls bleibt es bei einem Schlagabtausch, der auch nach das Klima im Land vernichtet. Aber dennoch. Vielen Dank für die sehr mutigen und unmissverständlichen Formulierungen.

  4. Fritz sagt:

    Sehr geehrter Herr Kilic,
    egal, was die Kanadier an der Grenze zu den Ankömmlingen sagen, ein Satz, ob ausgesprochen oder nicht, gilt jedenfalls dort: „Sieh zu, wie Du klarkommst, wenn Du nicht klarkommst, geh wieder nach Hause.“
    Eine Einwanderung in Sozialsysteme gibt es dort nicht. Deshalb ziehen die auch Andere an als Deutschland.
    Gruß
    Fritz

  5. NDS sagt:

    …eine Einwanderung in Sozialsysteme gibt es auch hier nicht. Beweisen Sie es! Tipp: Mit Koranversen kann man das nicht beweisen.
    Ach ja, die einzigen Ausnahmen: Komplette Übernahme aller DDR-Bürger ins deutsche Renten- & Sozialsystem + Nochmal das gleiche (und noch viel mehr) für SpätaussiedlerInnen. Haben übrigens Muslime (ich weiß ja, auf was Sie hinaus wollen) ohne mit der Wimper zu zucken mitfinanziert!

  6. Fritz sagt:

    Verrehter NDS, ich weiß zwar nicht, welche Nationalität und Volkszugehörigkeit Sie haben, ich und meine Familie leben seit hunderten von Jahren hier. Und wenn wir als deutsches Volk beschließen, uns wie auch immer zusammenzuschließen, dann geht das außer den Deutschen (einschließlich Paßdeutschen) keinen was an. Natürlich zahlt der Ausländer für den DDR-Rentner, so wie die Kinder des DDR-Renners für den Ausländer zahlen.

    Zur Einwanderung in die Sozialsystem: Ich höre von verschiedensten Quellen, daß die Zahl z.B. der Türken in Deutschland seit 30 Jahren steigt, nicht aber die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze dieser Gruppe. Wie würden Sie eine solche Tatsache bezeichnen? Gibt es ein politisch-korrekteres Wort. Oder stimmt das alles einfach wieder nicht?

    Gruß

    Fritz

  7. Fritz sagt:

    Ach ja, NDS, Sie wollten ja Beweise. Nun, ich bin kein Wissenschaftler, kann jetzt nur die FAZ zitieren:
    „Eine staunenswerte Zahl zur fehlgeschlagenen Integration in den Arbeitsmarkt hat vor einiger Zeit die Bundesausländerbeauftragte veröffentlicht: Von 1971 bis 2000 ist die Zahl der Ausländer in Deutschland von 3 Millionen auf etwa 7,5 Millionen gestiegen. Die Zahl der erwerbstätigen Ausländer hat sich jedoch nicht bewegt: Sie blieb bei rund 2 Millionen. 1973 (dem Jahr des Anwerbestopps) waren 65 Prozent der Einwanderer auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt, ein Jahrzehnt später waren es nur noch 38 Prozent. Ein Großteil der Zuwanderung nach Deutschland, die seit dem Anwerbestopp hauptsächlich ungesteuert über Familienzusammenführung erfolgte, ging also nicht in den Arbeitsmarkt, sondern in die Sozialsysteme.“
    FAZ online 08.12.2009
    http://www.faz.net/s/RubB8DFB31915A443D98590B0D538FC0BEC/Doc~E77D544D81E4446CA91D0573BB14FF01E~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  8. NDS sagt:

    Lieber Fritz,
    zunächst einmal bin ich eine Frau und ihrem Vokabular nach „Passdeutsche“, denn ich bin nicht als Deutsche geboren. Da die Einbürgerung aber in meiner Kindheit durch meine Eltern erfolgte, kenne ich mich mit anderen Staatsangehörigkeiten nicht viel aus. Soviel zu dem, wen etwas angeht. Und soviel zum Privaten.
    Sie haben eigentlich selber direkt deutlich gemacht, dass diese Rechnerei Unsinn ist: Der deutsche Rentner hat seinerzeit die Ausbildung der jüngeren Generation mitfinanziert, dafür kann er erwarten, dass er im Alter mit den Pflegekosten nicht allein gelassen wird. So läuft das hier.
    Jetzt bin ich tatsächlich studierte Soziologin und würde mich schon als Expertin bezeichnen. Ohne großartig zu recherchieren würde ich ihre FAZ-Quelle folgendermaßen kommentieren: Ganz bestimmt ist die Erwerbsquote bei Migranten ähnlich hoch gebleiben. Die Familienzusammenführung mit meist weiblichen, wenig qualifizierten Ehepartnerinnen lässt einen Anstieg der Erwerbsquote nicht erwarten. Auf der anderen Seite ist die Familienzusammenführung keine Migration in die Sozialsysteme: den Ehepartner/in „holen“ kann nur derjenige, der genug Geld verdient und eine geräumige Wohnung vorweisen kann. Ob die Familie sofort Kindergeld bekommen hat (ist alles lange vor meiner Geburt gewesen, sorry!), wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wissen hier einige DiskutantInnen mehr. Ob der Mann seine 1000 Mark alle verbraten, damit seine Familie in der Türkei oder doch lieber in Deutschland finanzieren möchte, ist nun wirklich seine Sache. (Übrigens reden wir die ganze Zeit von einem Bruchteil (25 % ?) der Migranten, deren Biographie wie in diesem Beispiel verlaufen ist. Nicht reingerechnet sind die, die ledig gekommen sind und ihre Partnerin hier kennengelernt haben, die als Frauen als Gastarbeiterinnen hier sind/ waren, viele, die zurückgekehrt sind und viele andere gar nicht GastarbeiterInnen waren, sondern Studierende, Fachkräfte, politische Flüchtlinge (zB aus dem Iran).
    Das Problem in der ganzen Rechnung ist: Da Migranten seinerzeit in den gesundheitsgefärdendsten Berufen gearbeitet haben, sterben sie recht früh, meist beziehen sie kaum Rente, da sie auch eine geringere Lebenserwartung aus ihren Herkunftsländern mirbringen. Gegenzurechnen ist, dass aufgrund der demographischen Rechnung die Kinder von Migranten bald ArbeitnehmerInnen mit großen Steueraufkommen sein werden – ein Gut, dass erziehungswilligen türkischen Müttern anzurechnen ist (übrigens belasten MigrantInnen aufgrund der hohen Hausfrauenquote in der ersten Generation die Pflegekassen praktisch nicht). Dennoch haben trotzdem deutsche Rentner seinerzeit die Ausbildung der jungen MigrantInnen mitfinanziert. Und natürlich sind viele Migranten der zweiten Generation von prekären Verhältnissen bedroht, weil diejenigen, die den sozialen Aufstieg nicht geschafft haben, auf die Verdienste im Niedriglohnsektor angewiesen sind -der faktisch aufgrund des Outsourcings der Arbeitskraft in billigere Länder kaum noch Bedeutung hat. Davon bedroht sind aber auch Deutsche ohne Migrationshintergrund aus ähnlichen Schichtzugehörigkeiten.
    Aber sie sehen, wie sehr die Dinge verwoben sind, weshalb nicht 1:1 gerechnet werden kann und dass die Schulfrage eine unseriöse ist.

  9. Fritz sagt:

    Werte NDS,
    zunächst einmal Dank für Ihre ausführliche Antwort, die auch in vielem hilfsreich und erläuternd ist.
    Nur zur Klarstellung: „Paßdeutsche“ sind für mich Menschen, die die deutsche Staatsangehörigkeit aus praktischen Erwägungen beantragt haben, diesem Land aber kulturell und emotional distanziert bis teilweise ablehnend gegenüberstehen.

    Ihre Ausführungen sind natürlich logisch und nachvollziebar. Allerdings dürfte Ihnen darüber hinaus ja auch bekannt sein, daß bestimmte Gruppen in der Arbeitslostenstatistik oder bei Bezug von Hartz IV überrepräsentiert sind, ich mache mich jetzt aber nicht die Mühe, diese Zahlen herauszusuchen.

    Für mich ist es nachvollziehbar und verständlich, daß ein Mensch, der aus einer armen Gegend stammt und weiß, daß er in Deutschland von Sozialtransfers besser leben kann als in der Heimat von Arbeitseinkommen, daß er in Deutschland dazu noch eine qualitativ bessere Gesundsheitsversorgung bekommt, daß dieser Mensch versuchen wird, nach Deutschland zu kommen. Ich würde es an seiner Stelle genauso machen. Die Verantwortung für solche Entwicklungen tragen in meinen Augen die, die diese Anreize erst schaffen und nicht die, die solchen Anreizen erliegen.

    Mir geht es auch nicht darum, mit dem Finger auf irgendwelche Gruppierungen zu zeigen. Wir können aber nur dann Lösungsansätze entwickeln, wenn wir Probleme vorher benannt haben. Dies wird von verschiedenen Kräften seit Jahren erfolgreich verhindert. Denn dann könnte man ja politische Konsequenzen fordern.

    Sarrazins Buch ist doch offensichtlich deshalb für viele so ärgerlich, weil er sich nicht mit Statistiken über „die Migranten“ hat abfertigen lassen, sondern weil er diese Zahlen weiter aufgeschlüsselt hat. Das ist für die Migrations- und Gutmenschenindustrie mehr als unangenehm.

    Gruß

    Fritz

  10. NDS sagt:

    Lieber Fritz,
    ich danke Ihnen ebenfalls.
    Nur noch eine Bemerkung zu Sarrazin. Seine Ausführungen sind nicht unbequem, sondern tölpelhaft. Wie ich oben statistische Zusammenhänge oberflächlich versucht habe zusammenzufassen nun zu Sarrazin.
    Ich nehme vorweg: ich habe sein Buch nicht gelesen, werde es auch nicht. Ich beschäftige mich eher mit den Zitaten, die er optisch als die seine erkennbar von sich gibt und das reicht mir.
    Nun zu seinen Statistiken.
    Ich nehme an, er betreibt eine Sekundärdatenanalyse, da er keine eigene Großbefragung durchgeführt haben wird. Dh also, er benutzt den Mikrozensus, bezieht sich auf das sozio-ökonomische Panel oder nimmt Daten aus der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage (eher ersteres, die anderen beiden kenne ich eher aus soziologischer Arbeit). Soweit, so gut. Jetzt ist es aber so, dass in diesen Erhebungen die religiöse Zugehörigkeit nicht erfasst wird. Vielleicht die Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde oder in einem Moscheeverein. Doch in Moscheevereinen sind bekanntlich nur einige Prozent der Muslime meist im Seniorenalter erfasst. Was wird Herr Sarazin also machen: Er wird sich die aktuellen oder ehemaligen Staatsangehörigkeiten angucken und ableiten, dass Türken, Araber und Bosnier allesamt Muslime sind. Dies wird auch zu einem überwiegenden Teil stimmen, nur was sagt es über die Religiösität der Menschen? Oder was über die politische Färbung dieser Migranten? Was über die kulturellen Besonderheiten, die sie mit dem Islam verknüpfen (suchen sie mal in der Türkei oder im Nahen Osten nach einer Familie, die Frauenbeschneidungen für rechtmäßig hält: sie werden sie nicht finden. Andererseits glauben die Menschen in Teilen Afrikas, dass der Islam die Frauenbeschneidung befiehlt.) Was über die schichtspezfischen Problematiken? Was zur Intensität des Glaubens/ zur Gläubigkeit? Was zur Einstellung zum Laizismus? Was zu dem regionalen Hintergrund im Herkunftsland, die die Menschen auch geprägt haben? Was zur Migrantionsabsicht (es gibt Flüchtlings-, Arbeits-, Heirats- und Bildungsmigration, nur ganz grob)?
    Rein gar nichts!
    Grüße, NDS