Lale Akgün

Zwiespältige Integrationspolitik: Damit schaffen wir kein „Wir-Gefühl“

2009 ist für Deutschland ein Superwahljahr. Politische Präferenzen konnten und können zum Ausdruck gebracht werden bei der Bundestagswahl im September, bei 8 Kommunal-, 5 Landtagswahlen und nicht zuletzt bei der Europawahl am 7. Juni. Die Parteien werben vor allem mit ihrer Kompetenz zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Keine Rettung ist ihnen im Wahljahr zu teuer. Doch wie halten sie es mit gesellschaftspolitischen Themen wie der Inklusion und Integration von MigrantInnen und Minderheiten?

Von Filiz Keküllüoglu Donnerstag, 18.06.2009, 8:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 21.02.2023, 8:43 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Interview mit Lale Akgün 1
Wie bewerten Sie die Integrationspolitik der großen Koalition? Was hat sie besser gemacht als die rot-grüne Regierung?

Die Integrationspolitik der großen Koalition ist zwiespältig. Zum einen sehe ich die guten Folgen der kulturellen Änderung – selbst die Union hat heute weniger Probleme damit, Deutschland als Einwanderungsland, was es de facto war und ist, zu sehen. Ich sehe das Bemühen der Kanzlerin wie auch der gesamten Regierung, mit Migranten stärker ins Gespräch zu kommen, das ist sehr positiv.

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Andererseits steht dem die Realpolitik gegenüber, die oftmals nicht die richtigen Weichen in Bezug auf eine moderne Integrations- und Einwanderungspolitik stellt: Abschaffung des Optionsmodells, doppelte Staatsbürgerschaft, Erleichterung statt Erschwerung von Einbürgerungen, geregelter Zuzug von Arbeitskräften, um nur einige Beispiele zu nennen.

Probleme habe ich auch damit, dass man sich zu wenig mit der Integration als Sozialpolitik beschäftigt. Integrationspolitik spielt sich zwischen Kulturalisierung und Assimilationspolitik ab.

Sind Sie der Meinung, dass die Integrationskurse erfolgreich sind?

Definitiv, die Integrationskurse sind richtig und wichtig, wenn sie in Deutschland stattfinden. Die Menschen, die hierhin kommen, sollten Deutsch und vieles über Deutschland lernen, wie auch die Alteingesessenen sich für die Migrantinnen und Migranten interessieren sollten.

In den letzten Jahren sind immer weniger Menschen nach Deutschland immigriert. MigrantInnenverbände beklagen, dass die Hürden für die Familienzusammenführung im Zuwanderungsgesetz unerträglich hoch sind. Sind diese Hürden berechtigt?

Ich sehe da zwei Probleme: Zum einen, dass nachreisende Ehepartner bestimmte Deutschkenntnisse vorweisen müssen. Das ist in vielen Fällen ganz schwierig bis unmöglich. Die Ehepartner sollen nach der Eheschließung nach Deutschland einreisen dürfen, und dann hier die Integrationskurse besuchen. Ich begrüße daher die Aussage von Cem Özdemir, bei einer Regierungsbeteiligung diese Regelung abzuschaffen. Zum zweiten die Ungleichbehandlung der Menschen. Menschen, die laut Gesetz „einen geringen Integrationsbedarf“ haben, wie Amerikaner oder Japaner, müssen derartige Kenntnisse gar nicht nachweisen. Damit schaffen wir Zwei-Klassen-Einwanderer, das ist das Gegenteil einer vernünftigen Einwanderungspolitik, die ein „Wir-Gefühl“ bestärkt statt neue Gräben auszuheben.

Die Hauptschulen sind voll von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Diese sehen für sich keine Zukunftsperspektive. Wie kann die Politik mit dieser Bildungskatastrophe umgehen?

Das kann man nicht in ein paar Sätzen skizzieren. Fakt ist, dass die Hauptschule ein riesengroßes Imageproblem hat, obwohl es dort viele engagierte Lehrerinnen und Lehrer gibt. Das Problem ist doch, dass die Durchlässigkeit der Schultypen – etwa der Aufstieg von der Hauptschule zum Gymnasium – sehr schwer ist. Ich denke, dass wir eine grundlegende Reform des Schulsystems benötigen: ausgehend von einem guten Kindergarten mit früher Sprachförderung über ein verpflichtendes Vorschuljahr bis hin zu einer Gemeinschaftsschule, in der alle Kinder länger gemeinsam lernen. Wir brauchen endlich ein Schulsystem, das aufeinander aufbaut und nicht die Kinder in Parallelsystemen aufteilt.

Seit paar Jahren kursiert der Begriff „Einbürgerung des Islam“. Was können wir uns darunter vorstellen?

Gar nichts. Eine Religion kann nicht eingebürgert werden. Unser Fehler ist, Menschen nur aufgrund eines Bausteines ihrer Identität – in dem Fall der muslimische Teil – zu kennzeichnen. Viele weitere Kriterien spielen eine mindestens ebenso große Rolle: Mann, Frau, Kind, Arbeiter, Akademiker…Es ist doch vielmehr so, dass Integrationsfragen entlang sozialer Komponenten (Bildungsgrad, Verdienst usw.) verhandelt werden. Religiosität spielt entlang kultureller Integrationsfragen eine Rolle. Hier sehe ich keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen einem Islam, den es als monolithischen Block nicht gibt, und einer modernen demokratischen Gesellschaft. Da müsste man jetzt über Einzelfälle sprechen…

Dem Islam gegenüber ist die westliche Gesellschaft ziemlich vorurteilsgeladen. Wie können diese Vorurteile abgebaut werden?

Durch Begegnung und schonungslose Diskussion. In Wahrheit ist diese „Vorurteilsgeladenheit“, wie Sie sagen, ein legitimer Reibungsprozess, wenn sich eine neue Strömung von Menschen – in diesem Fall Muslime – offen zeigen und natürlich auch ein Land verändern. Ich habe das Gefühl, dass wir über die größten Vorurteile schon hinweg sind.

Welche politischen Prioritäten setzt die SPD insbesondere hinsichtlich der Migration und Integrationspolitik für die Zukunft?

Wir müssen weg kommen von einer Integrationspolitik, die Zuwanderer als Fremdkörper in einen intakten Körper implantieren wollen. Zeichen einer solchen falschen Vorstellung von Integrationspolitik sind beispielsweise Diskussionsbeiträge, die von „uns“ und „den Muslimen“ sprechen. Einwanderer sind ein Teil dieser Gesellschaft und werden es in Zukunft immer mehr sein. Das ist der politische Leitsatz, aus dem sich eine Reihe pragmatischer Forderungen ergeben: Erleichterungen von Einbürgerungen, Regeln zur Akzeptanz ausländischer Bildungsabschlüsse usw.

Frau Akgün, 2009 ist in Deutschland ein Superwahljahr. Warum sollen eingebürgerte MigrantInnen und Menschen mit Migrationshintergrund ausgerechnet Ihre Partei wählen?

Die SPD hat nach Jahrzehnten der faktischen Leugnung von Einwanderung durch die konservativen Parteien gemeinsam mit dem grünen Koalitionspartner ein Umdenken bewirkt – ich spreche von dem Zuwanderungsgesetz, aber auch von einer Änderung in der Kultur des Zusammenlebens. Das Staatsbürgerschaftsrecht ist vom altdeutschen Abstammungsprinzip in Richtung eines modernes Staatsbürgerschaftsrechts entwickelt worden, das Einbürgerung erleichtert und den Einwanderern Brücken baut, sich nach Jahren des Hierlebens als Deutsche zu identifizieren. Das war ein großer kultureller Schritt durch die rot-grüne Koalition in Richtung einer liberalen und modernen Gesellschaft – der sich auch in anderen Reformen niederschlägt, wie etwa der Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Filiz Keküllüoglu im Mai 2009.
Das Interview wurde zuerst auf www.migration-boell.de veröffentlicht.

  1. Lale Akgün ist seit 2001 Mitglied des Vorstandes des SPD-Unterbezirks Köln und seit 2002 Bundestagsabgeordnete. 2007 wurde sie in den erweiterten Vorstand der SPD-Bundestagsfraktion gewählt und ist die islampolitische Sprecherin ihrer Partei.
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  1. umut sagt:

    In vielen Punkten lobt sie die Grünen, warum tritt sie dann nicht selber den Grünen bei?. Die Grünen werden immer beliebter mit der Linkspartei und die SPD wird immer schwächer !

  2. delice sagt:

    Ich hoffe nur inständig, dass die SPD auf nicht mehr als 19 Prozent kommt und auf mindestens 10 Ligislaturperioden in der Opposition verharrt! Ich mag lieber Gegner, die ich kenne, aber keine Meuchelmörder, die einem jedesmal von hinten tief zustechen, und auch noch behaupten, dass es die anderen waren!

  3. Harald sagt:

    Warum spricht Frau Agkün vom „altdeutschen Abstammungsprinzip“(jus sanguines) , wenn in der Tükei eben
    dies Abstammungsprinzip grundsätzlich gilt( Art. 1,2 türk. StAG)?