Bahá’í

Ein Toter braucht keine Kleidung

Insgesamt gibt es heute weltweit rund 6 Millionen Bahá’í. Rund 6000 allein leben in Deutschland und nur ein geringer Teil von ihnen kommt aus dem Iran. Eine Reportage über das Leben und die Erfahrungen von drei Bahá’í, die in Deutschland Sicherheit und Schutz gefunden haben.

Von Anika Schwalbe Donnerstag, 07.07.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.07.2011, 0:53 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Hoffentlich geschieht meiner Familie nichts, dachte A. F., als sie in dem 1,20 mal zwei Meter kleinen Raum sitzt. Außer ihr waren nur eine Matratze, eine Decke und ein Plastikbecher in dem Zimmer. Vier mal am Tag zu festgelegten Zeiten durfte sie mit verbundenen Augen zur Toilette gehen. Den Rest der Zeit war sie bei Verhören oder allein. A.F. ist zu diesem Zeitpunkt 22 Jahre alt und befindet sich in Einzelhaft eines iranischen Gefängnisses. Sie ist Bahá’í und ihr wurde vorgeworfen, eine Spionin zu sein.

Heute lebt A.F. in Deutschland. Sie ist verheiratet und verließ wie ihr Mann den Iran. Sie ist eine Frau mittleren Alters, die selbst während ihrer Erzählung über ihre Zeit im Gefängnis stets ein Lächeln im Gesicht hat. Ihre Hände jedoch schließt sie oft fest zusammen. „Am besten finde ich die Sicherheit in Deutschland“, sagt sie. Doch ihre Angst ist noch nicht verschwunden, jedenfalls nicht in Bezug auf ihre Familie und Landsleute. Das ist auch der Grund, warum sie anonym bleiben möchte. Selbst ein Synonym kommt für sie nicht in Frage. Wenn eine iranische Bahá’í zufälligerweise eben diesen Namen tragen würde, könnte A.F. es sich nicht verzeihen, wenn dieser Frau etwas zustoßen würde, erklärt sie.

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Baha’u’llah
Insgesamt gibt es heute weltweit rund 6 Millionen Bahá’í. Rund 6000 allein leben in Deutschland und nur ein geringer Teil von ihnen kommt aus dem Iran. Sie fordern die Gleichberechtigung von Mann und Frau, sehen „Einheit in der Vielfalt“ und glauben an nur einen Gott, der sich im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder in größeren Zeitabschnitten den Menschen offenbart und sich so den neuen Gegebenheiten in der Gesellschaft angleicht.

Als so genannte nachislamische Offenbarungsreligion ist der Bahá’í-Glauben laut der iranischen Regierung Ketzerei. Für Muslime gilt Mohammed nämlich als „Siegel der Propheten“ – der letzte Prophet. Demnach dürfte es den Religionsstifter der Bahá’í, Baha’u’llah, der sich selbst als Prophet bezeichnet, nicht geben.

So wurde bereits der Baha’u’llah als Agent im Dienste der Russen gesehen. Ein Feind, der nach seiner Gefängnishaft aus dem Land verbannt wurde. Später folgten angebliche Verschwörungen der Bahá’í mit den Briten, den Juden und den internationalen Zionisten, um den Islam zu zerstören. Diese Anschuldigungen werden auch heute über iranische Medien wie die Zeitung Kayhan, dessen Chefredakteur vom religiösen Führer Ayatollah Khamenei eingesetzt wurde, und dem Radiosender Maaref mit seiner wöchentlichen Sendung „Saraab“ (Illusion) verbreitet.

Schuldig aufgrund ihrer Religion
A.F. gehört zu einer Gruppe von Menschen, für die Deutschland so etwas wie eine zweite Heimat geworden ist. In ihrer ersten Heimat, dem Iran, werden sie verfolgt. Doch gänzlich sind die Bahá‘í in Deutschland noch nicht angekommen. Zu fremd sind sie hier. Wer nicht den Glauben mit ihnen teilt, kann mit dem Begriff Bahá’í meist nichts anfangen. Und auch, was diese Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit erlebt haben, wissen die wenigsten.

A.F. ist kein Einzelfall, das wusste sie schon als sie im Gefängnis saß. Seit 2004 wurden im Iran 334 Bahá’í inhaftiert und seit Beginn der islamischen Revolution 1979 200 aufgrund ihrer Religion hingerichtet. 15 sind verschollen. Seit Oktober letzten Jahres erhielten 20 Haushalte Drohbriefe, die sie aufforderten, den Kontakt zu Muslimen zu stoppen. 11 Geschäfte wurden in Brand gesteckt und zahlreiche Friedhöfe zerstört. Die über 350 000 im Iran lebenden Bahá’í werden unterdrückt und verfolgt. Im Artikel 13 der Landesverfassung beispielsweise werden die christlichen, jüdischen und zoroastrischen Iraner als einzige religiöse Minderheiten aufgeführt, die innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihrer Religion nachgehen dürfen.

Die Bahá’í, gegründet vor rund 170 Jahren, ist die größte Minderheitsreligion im Iran und wird nicht genannt. Seit 1983 dürfen sie sich als Religionsgemeinschaft nicht mehr versammeln, sie dürfen keine religiösen Feste feiern, sich nicht im Iran organisieren. Verweise aus Schulen und willkürliche Durchsuchungen ihrer Wohnungen sind nur ein paar der alltäglichen Schikanen, denen sie begegnen. Sogar das Arbeiten in öffentlichen Institutionen wird ihnen versagt.

Eine Spionin
A.F. wurde damals vor die Wahl gestellt, ihren Glauben zu wechseln oder die Hochschule zu verlassen. Ihren Glauben hat sie behalten. Kurz wurde sie verhaftet: „Eine Gruppe Männer kam auf meine Arbeitsstelle. Sie haben gesagt, sie wollen ein paar Fragen stellen und ich werde vielleicht nur ein paar Tage ins Gefängnis kommen. Aus diesen paar Tagen wurden Jahre.“ Drei Jahre verbrachte A. F. im iranischen Gefängnis. Etwas weniger als ein Jahr davon in Einzelhaft. „Eine Einzelzelle ist wirklich sehr schrecklich. Man ist einem starken psychologischen Druck ausgesetzt. Man ist mit seinen Gedanken und Erinnerungen allein, erhält falsche Informationen über das Leben außerhalb des Gefängnisses. Und nicht selten drohen sie damit, Familienmitglieder oder Freunde ebenfalls zu verhaften“, sagt sie.

Eine normale Gerichtsverhandlung hat es nie gegeben. Sie war mit einem Mann in einem Raum, der ihr ein paar Fragen gestellt hat und am Ende wissen wollte „Wechselst du jetzt endlich deine Religion?“ Als A.F. das verneinte, meinte er nur, das sei schlecht für sie, da sie nun im Gefängnis bleiben müsse. Der eigentliche Vorwurf, eine Spionin zu sein, schien in diesem Moment unwichtig. Sie wurde verhaftet, weil sie eine Bahá’í ist.

Drei Toiletten für 300 Menschen
Die größte Aufmerksamkeit erregte in jüngster Zeit die Verurteilung der sieben iranischen Führungsmitglieder der Baháh’í zu zehn Jahren Haft. Einer von Ihnen ist Saeid Rezaie, Iman Naghashians Onkel. Iman Naghashian ist 28 Jahre alt, adrett gekleidet und zuvorkommend. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Im Iran war er noch nie. Er müsste dort seinen Militärdienst ableisten und sicher wäre er im Land seiner Eltern auch nicht, wie die Geschichte seines Onkels zeigt.

Am Morgen des 14. Mai 2008 wurden sechs der sieben Bahá’í-Führer überraschend festgenommen, Mahvash Sabet, die Sekretärin, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als zwei Monaten in Haft. Als eine Frau ihrem Mann bei der Verhaftung ein Päckchen mit Kleidung mitgeben wollte, sagten die Beamten nur: „Ein Toter braucht keine Kleidung“.

Fast zwei Jahre lang waren die Sieben zunächst im Evin-Gefängnis in Teheran untergebracht, ein Jahr davon ohne Rechtsbeistand und formale Anklage. Vorgeworfen wurde Ihnen regimefeindlich gehandelt zu haben und als Spione tätig zu sein. Anfang 2011 wurden sie in das Gohardasht-Gefängnis in Karaj gebracht und im März dieses Jahres in einem Revisionsurteil zu 20 Jahren Haft verurteilt. Bis auf die zwei Frauen, Fariba Kamalabadi und Mahvash Sabet, die wieder ins Teheraner Gefängnis verlegt wurden, befinden sich alle Verurteilten noch im Gohardasht-Gefängnis.

Die fünf Männer sind in Zellen der Größe eines Doppelbettes untergebracht. Nur vier von ihnen können nachts schlafen, einer muss stehen bzw. umherlaufen. „Es gibt nur drei Toiletten für 300 Insassen, alles ist kakerlakenverseucht, viele Krankheiten kursieren“, erklärt Iman Naghashian. Sein Onkel sollte eigentlich operiert werden, um seine Gallensteine zu entfernen. Doch dazu kam es nicht mehr, als er verhaftet wurde. „Im ersten Gefängnis hat er gegen die Schmerzen Morphin bekommen“, schildert Iman Naghashian, „Das kriegt er jetzt nicht mehr und die Schmerzen sind so heftig, dass er nachts nicht schlafen kann.“ Zugang zu einem Arzt können sie laut Imam Naghashian nicht erhalten, da sie sich offiziell noch immer in Untersuchungshaft befinden. Nach drei Jahren. Inwiefern sie gefoltert werden, ist unklar, da sie aus Angst vor Strafen nicht darüber reden. Manche Wunden lassen sich jedoch nur auf Schläge zurückführen.

A. F’s Wunden sind nicht auf körperliche Gewalt zurückzuführen, aber sie sind noch nicht verheilt. Sie erlitt psychische Gewalt. „Oft musste ich eine halbe Stunde vor einer Wand stehen. Ich sollte warten, bis sie kamen, um mich zu schlagen. Sie haben es aber nie getan.“ Ein Erlebnis hat sich jedoch noch mehr in ihre Erinnerung eingebrannt: „Einmal haben sie mir gesagt, ich solle mein Testament schreiben, weil sie mich umbringen wollen. Ich wusste nicht, was ich schreiben sollte und was passiert.“ Sie lacht kurz auf, überkreuzt ihre Beine und faltet die Hände über ihrem Knie zusammen. Schlimm war auch die Angst um die eigene Familie und die Ungewissheit, was passieren würde. Eins habe sie gelernt: „Es gibt wirklich keine, keine Regeln im Gefängnis“. Vier oder fünf ihrer Freunde wurden hingerichtet.

Die grüne Revolution
Seit ihrer Haft ist viel Zeit vergangen. An den Zuständen für die Bahá’í im Iran hat sich jedoch nichts geändert. Wie brutal die Regierung auch mit jeglichem Versuch der iranischen Bevölkerung umgeht, sich gegen das diktatorische Regime zu wehren, zeigte sich im Juli 2009. Nachdem Präsident Ahmadinedschad ganz offensichtlich Wahlfälschung betrieben hatte, gingen Tausende Menschen auf die Straßen. Das Resultat waren mehrere Hundert Tote, Tausende Verletzte, Folter und Verhaftungen.

Der 21-jährige Sepehr Atefi aus Isfahan war dabei. Er kämpfte vor und während der Grünen Revolution unter anderem bei den „humanrightsreporters“ für die Wahrung der Menschenrechte. Als die Revolution niedergeschlagen wurde, verbrachte er zunächst einige Monate im Untergrund und floh anschließend in die Türkei. Nach fünf Monaten hatte er das Glück, einer von 50 Flüchtlingen zu sein, die aufgrund einer Sonderbescheinigung des deutschen Innenministeriums nach Deutschland ausreisen durften. Acht seiner Freunde waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Gefängnis. Das hätte ihn auch erwartet, zumal er sich nicht nur für die Menschenrechte einsetzte, sondern auch noch Baháh’í ist. Einzelhaft hätte er bekommen und sicher mehr als sechs Monate in Haft verbringen müssen.

Deutschland als Sicherheit
Mittlerweile hat er eine dreijährige Aufenthaltsgenehmigung und lebt in Berlin. Sobald es möglich ist, will er wieder in den Iran zurückkehren. Seine Familie, die er von einem Tag auf den anderen verlassen musste, fehlt ihm. Allein das Zusammenleben mit zwei ebenfalls verfolgten Freunden erleichtert es ihm, die Situation zu ertragen. Aufgeben kommt für ihn jedoch nicht in Frage. Noch immer versucht er, über das Internet etwas in seinem Land zu bewegen und in Deutschland findet er die nötige Sicherheit dafür.

Eine Sicherheit, die auch A.F. braucht, und im Iran nicht finden würde. Nach drei Jahren Haft wurde sie aus dem Gefängnis entlassen und kehrte nach Hause zurück. „Ich habe in den ersten Tagen viel Besuch bekommen, aber es war einfach zu viel für mich. Ich wollte eigentlich nur allein sein und konnte mich nicht richtig unterhalten.“ Sogar viele Gesichter von engen Bekannten und Verwandten erinnerte sie nicht, viele Namen hatte sie vergessen. „Aber es hatte auch etwas Positives“, sagt sie. Das Gefängnis hat sie in ihrem Glauben bestärkt und sie weiß, dass sie jedem Druck standhalten kann.

Die Geschichten von A.F., Imam Naghashian und Sepehr Atefi sind allesamt sehr unterschiedlich. Sie profitieren alle von der Sicherheit, die ihnen Deutschland geben kann. Aber den Iran, ihre Heimat werden sie nie vergessen. „Im Iran als Baháh’í weiß man nicht, wenn man schlafen geht, was am nächsten Morgen passiert. Aber trotzdem will ich im Iran leben, weil es mein Heiliges Land ist“, erläutert A.F. Aktuell Gesellschaft

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