Uni-Abschluss aus Damaskus
Die Eintrittskarte in eine bessere Zukunft
Abduls Familie stammt aus Aleppo in Syrien. Während des Krieges studierte der heute 25-Jährige in Damaskus. Er hat einen Uni-Abschluss in Pharmazie. Abdul hofft, dass es seine Eintrittskarte in eine bessere Zukunft wird.
Von Matthias Klein Donnerstag, 10.09.2015, 8:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.09.2015, 16:20 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Als Abdul die unterste Schublade seiner kleinen weißen Kommode öffnet, hält er einen Moment inne. Er zeigt einen großen Papierumschlag. Daraus zieht er ein buntes Papier mit arabischen Schriftzeichen. „Das ist my life, mein Leben“, sagt Abdul feierlich. Das Dokument beurkundet seinen Uni-Abschluss in Pharmazie. Abdul hofft, dass es seine Eintrittskarte in eine bessere Zukunft wird.
Abduls Familie stammt aus Aleppo in Syrien. Während des Krieges studierte der heute 25-Jährige in Damaskus. „Dort war es meistens ungefährlich“, erzählt er. Der Alltag war allerdings alles andere als normal. Ständig sei der Strom ausgefallen – „wir haben dann bei Kerzenlicht gelesen“, berichtet Abdul. Eines Tages wurde ein Freund ermordet. Innehalten konnte Abdul nicht – am nächsten Tag hatte er eine Prüfung. „Ich musste lernen und sie bestehen. Ich hatte keine Wahl“, sagt er leise.
Abdul sitzt im großzügigen Wohnzimmer seiner WG. Die Wände säumen weiße Bücherregale bis unter die Decke. Das Reihenhaus liegt in einem Bonner Vorort. Rundherum sind viele Bäume. Die Straße ist schmal, am frühen Nachmittag sind kaum Autos unterwegs. „Es ist angenehm hier“, sagt Abdul und strahlt. Fragen solle man ihm auf Englisch stellen, bittet er. Er antwortet auf Deutsch, streut nur ab und zu ein englisches Wort ein.
Zur Bonner WG brachte ihn Maria Wieler. Sie lernte Abdul im Sommer in einer Facebook-Gruppe von Flüchtlingen kennen. In dieser Zeit ging es ihm elend. Anfang des Jahres war er über Beirut mit einem Studentenvisum nach Deutschland geflogen. „Ich hätte nach dem Studium zur Armee gehen müssen“, erzählt Abdul. Er verließ lieber seine Heimat, als in den Krieg zu ziehen.
In Deutschland ging ihm schnell das Geld aus. Er stellte einen Asylantrag. Vier Monate lebte er in einem Asylbewerberheim. Mit mehreren Männern aus der ganzen Welt musste er in einem Zimmer schlafen. „Wir konnten nichts tun, nur warten – den ganzen Tag“, sagt Abdul. Maria fand das schrecklich. Über Facebook stieß die 22-Jährige, die in Bonn Evangelische Religion und Englisch auf Lehramt studiert, auf die Berliner Initiative „Flüchtlinge willkommen“, die Flüchtlinge und WGs über eine Internetseite zusammenbringt. Bundesweit sind laut den Initiatoren 86 Geflüchtete an WGs vermittelt worden.
Bei Abdul ging es ganz schnell. Maria stellte den Kontakt zur Bonner WG her, die einen Mitbewohner suchte. „Wir fanden die Idee gleich sinnvoll“, berichtet Kai Flessing. Der 43-Jährige arbeitet als Schulbegleiter behinderter Menschen. In seinem Elternhaus lebt er mit vier Studenten. Abdul hat nun ein 18 Quadratmeter großes Zimmer im ersten Stock. Ein Regal, ein Bett, ein Fernseher und ein kleiner Sessel – viel ist noch nicht drin. Er hat eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Nun will er beantragen, dass die Kommune seine Miete übernimmt. Erstmal organisiert Maria das Geld: Sie hat 20 Spender aufgetan.
Die neuen Mitbewohner fanden schnell zusammen. „Es ist total unkompliziert“, freut sich Flessing. Abdul fühlt sich wohl und ist sehr aktiv. Er besucht einen Deutschkurs. Dreimal die Woche arbeitet er als Praktikant in einer Apotheke. In die WG hat er inzwischen auch einige andere Geflüchtete mitgebracht: „Man hat gar nicht das Gefühl, dass die Menschen fremd sind“, berichtet Mitbewohnerin Selina Doulah, die Technikjournalismus studiert. „Sie kennen ohnehin dieselben Filme und Musik wie wir.“ Beide Seiten profitierten, sagt Wieler: „Seit ich Abdul kenne, ist mein Leben bunter geworden.“
Nur wenn es um seine Familie geht, wird Abdul schweigsam. Seine Eltern, beide Zahnärzte, und seine beiden jüngeren Geschwister leben weiter in Aleppo. Über das Internet halten sie Kontakt. „Mein Vater will die Heimat auf keinen Fall verlassen“, erzählt Abdul. „Er ist, wie sagt man?“ Er schaut in die Runde. „Stur“, sagen die Mitbewohner. Abdul nickt.
Er wolle auf jeden Fall wieder zurück nach Syrien – „aber wahrscheinlich nur als Besucher“. Er versucht, sich auf ein Leben in Deutschland einzurichten und hofft, dass er als Apotheker arbeiten kann. Eine Zukunft sehe er für sein Land nicht. Seine kleine Schwester ist 16 und geht noch zur Schule. Nebenbei lernt sie Deutsch. Abdul hofft, dass er sie eines Tages nachholen kann. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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