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Stacheldraht © JarkkoManty @ pixabay.com (CC 0), bearb. MiG

Sachsen-Anhalt

Ausreisegewahrsam: Unschuldige ins Gefängnis

Um Abschiebungen besser durchzusetzen, sollen Ausreisepflichtige in Sachsen-Anhalt in Gewahrsam genommen werden. Sie soll in einem umgebauten Knast untergebracht werden – eine menschenrechtlich umstrittene Übergangslösung.

Sonntag, 28.09.2025, 12:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.09.2025, 12:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bis Sachsen-Anhalts Abschiebungseinrichtung in Volkstedt (Landkreis Mansfeld-Südharz) in Betrieb geht, könnte in Halle eine Zwischenlösung entstehen. Konkret solle jetzt geprüft werden, ob in der JVA Halle, im sogenannten Roten Ochsen, ein Hafthaus für eine zeitlich befristete Abschiebesicherungseinrichtung (ASE) genutzt werden kann, sagte Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) in Magdeburg. Sie informierte den Innenausschuss des Landtags über das Vorhaben.

Bislang greift Sachsen-Anhalt auf Kapazitäten in anderen Bundesländern zurück. Die würden aber immer enger, weil insgesamt mehr abgeschoben werde, sagt Zieschang. Im vergangenen Jahr etwa brachte Sachsen-Anhalt 66 Abzuschiebende in anderen Bundesländern unter und zahlte dafür rund 400.000 Euro, so das Innenministerium. Für die Beamten bedeutete das zugleich lange Fahrtwege bis nach Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen oder Bayern.

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40 Personen in Ausreisegewahrsam

In diesem Jahr wurden bislang 40 Personen in Ausreisegewahrsam genommen, wie es weiter hieß. Laut Ausländerzentralregister gelten rund 4.700 Personen in Sachsen-Anhalt als ausreisepflichtig. Rund die Hälfte der Abschiebungen scheitert, weil die Ausreisepflichtigen untergetaucht sind oder am Tag der Maßnahme nicht angetroffen werden, so das Innenministerium.

Aktuell baut das Land eine eigene Abschiebesicherungseinrichtung neben dem Gefängnis in Volkstedt, einem Ortsteil von Eisleben. Sie soll bis Ende 2026 fertig gebaut sein und Anfang des zweiten Halbjahres 2027 in Betrieb gehen. Um den Zeitraum bis dahin geht es bei der Interimslösung.

300.000 Euro für Umbau

In den Blick nimmt das Land das Hafthaus 7.0 auf dem Gefängnisgelände in Halle. In dem unbewohnten mehrstöckigen Gebäude, das zuvor für das Ankommen neuer Strafgefangener genutzt wurde, könnten im Erdgeschoss acht bis zwölf Unterbringungsplätze entstehen. Der Grundsatz ist: Die Einrichtung muss komplett getrennt sein vom Strafvollzug. Nötig sind eigene Zugänge, getrennte Gebäude, separates Personal.

Und auch die Ausstattung muss speziellen Sicherheitsbedürfnissen entsprechen, betonte die Ministerin. Zu prüfen ist laut Zieschang etwa, welche baulichen Veränderungen nötig sind und wie schnell sie umgesetzt werden könnten. In der Planung gehe man davon aus, dass dafür etwa 300.000 Euro nötig wären. Nach einer groben Schätzung sehe es danach aus, dass eine Realisierung innerhalb von fünf Monaten möglich sein könnte.

Polizei soll aushelfen

Es geht aber nicht nur um die baulichen Fragen, sondern auch um das Personal. Mindestens 18 Kräfte sind nach Einschätzung des Innenministeriums nötig für den Schichtbetrieb rund um die Uhr. Bislang gebe es acht speziell ausgebildete Justizvollzugsbeamte, zwei weitere seien in Ausbildung. „Bei einer Interimslösung wird es immer so sein, dass wir sicherlich auch mit Polizeiverzugskräften, wie es auch andere Bundesländer machen, vorübergehend aushelfen müssen“, sagte die Innenministerin.

Geklärt werden müssten aber auch Punkte wie die medizinische Versorgung, Essensversorgung und ein eigenständiger Wachschutz. „Alles das wollen wir jetzt prüfen und danach muss man einen Strich ziehen und gucken: Ist es wirtschaftlich vertretbar?“ Die Ministerin strebt an, dass die Prüfung binnen sechs bis acht Wochen abgeschlossen ist.

Skepsis und Ermutigung von Parlamentariern

Die innenpolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Rüdiger Erben und Sebastian Striegel, äußerten im Ausschuss Skepsis mit Blick auf die Pläne. Er sei skeptisch, ob man binnen weniger Monate und mit wenig Geld das Gebäude so herrichten könne, dass es funktioniert, sagte Erben. Striegel äußerte die Befürchtung, dass man in der Sache nicht weiterkomme, aber viel Geld ausgebe.

Guido Kosmehl von der FDP hingegen hält die Interimslösung für machbar. Er sei dankbar dafür, dass dieser Zwischenschritt unternommen werden soll und die Kosten möglichst gering gehalten werden sollten. „Es kostet etwas Geld. Es bringt uns aber als Gesellschaft weiter.“ Diejenigen, die kein Aufenthaltsrecht mehr in Deutschland hätten, müssten das Land verlassen. Dafür müsse gesorgt werden – auch, um einen wehrhaften und durchsetzungsstarken Staat zu garantieren.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen

Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsräte kritisieren seit Jahren den sogenannten Ausreisegewahrsam. Sie verweisen darauf, dass es sich bei den Betroffenen nicht um Straftäter handelt, sondern um Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Eine Unterbringung in einer Haftanstalt werde deshalb als unverhältnismäßig und rechtlich problematisch bewertet. Auch der UN-Menschenrechtsrat hatte wiederholt angemahnt, dass Freiheitsentzug nur als letztes Mittel und nach strenger Prüfung erfolgen dürfe.

Juristen und Hilfsorganisationen warnen zudem vor psychischen Belastungen für die Betroffenen und sehen die Gefahr, dass Haftbedingungen wie im Strafvollzug faktisch eingeführt werden. Sie fordern Alternativen wie Meldeauflagen oder betreute Unterkünfte, die den Schutz der Menschenwürde besser gewährleisten. Schon 2019 hatte die damalige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) Überlegungen, Abschiebehäftlinge künftig auch in regulären Justizvollzugsanstalten unterzubringen, kritisiert. „Abschiebehaft und Strafhaft sind zwei unterschiedliche Dinge, was auch richtig ist“, hatte Barley gesagt. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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