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Herero und Nama neben einem deutschen Soldaten im heutigen Namibia © AFP Photo / National Archives of Namibia

Aufarbeitung ohne Entschädigung

Bundesregierung lehnt Wiedergutmachung für ehemalige Kolonien ab

Aufarbeitung, aber keine Wiedergutmachung: Das ist die Haltung der Bundesregierung zu Unrecht im Kolonialismus. Ein Experte wertet das als Desinteresse am kolonialen Erbe und die Grünen kritisieren „formalistische Argumente“ der Regierung.

Sonntag, 17.08.2025, 13:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 17.08.2025, 14:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Bundesregierung will zwar die Aufarbeitung der deutschen Kolonialzeit vorantreiben, lehnt Wiedergutmachungszahlungen an ehemalige deutsche Kolonien aber weiter ab. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor, über die zuerst der „Tagesspiegel“ berichtet hatte.

Zwar wolle die schwarz-rote Koalition „das unter deutscher Kolonialherrschaft begangene Unrecht“ in den betroffenen Ländern aufarbeiten, heißt es darin. Aber: „Der Begriff der Wiedergutmachung im Völkerrecht ergibt sich aus der Verletzung einer internationalen Verpflichtung.“ Und die habe zur Zeit des begangenen Unrechts nicht existiert. „Das Konzept der Wiedergutmachung ist daher im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands nicht anwendbar“, fasst die Regierung zusammen.

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Claudia Roth fordert Empathie

Kritik daran kommt von der Grünen-Politikerin Claudia Roth, die die Anfrage gemeinsam mit ihren Parteifreundinnen Awet Tesfaiesus und Jamila Schäfer gestellt hatte. Das Erinnern an das von Deutschland begangene Unrecht sei die Voraussetzung für eine zukunftsfähige Partnerschaft mit den vom Kolonialismus betroffenen Ländern. „Dafür braucht es Empathie und keine formaljuristische Verweigerung“, sagte Roth der Deutschen Presse-Agentur.

Die Grünen-Politikerin Tesfaiesus erklärte, die Bundesregierung verschließe die Augen vor einer Wahrheit, die die ganze Welt kenne: „Die Axt vergisst ihr Werk. Der Baum erinnert sich.“ Damit verhindere die Bundesregierung, dass man Deutschland in allen Fragen der Verantwortung international als ehrlichen Verhandlungspartner wahrnehme, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst.

Eine Milliarde für Namibia

Die Bundesregierung befasst sich in ihrer Antwort auch mit dem Angebot, 1,1 Milliarden Euro an Namibia zu zahlen. 2021 hatte sie sich nach jahrelangen Verhandlungen darauf verständigt, mit dieser Summe das Land in den nächsten 30 Jahren zu unterstützen. „Davon sollen 1,05 Milliarden Euro für ein Programm für Wiederaufbau und Entwicklung und 50 Millionen Euro für ein Programm für Versöhnung bereitgestellt werden“, heißt es jetzt. Bisher ist aber noch kein Geld geflossen. Die Gespräche über die Umsetzung der beiden Programme einschließlich des zeitlichen Rahmens seien nicht abgeschlossen, heißt es.

Weitere Gelder würden aber auch in Projekte zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit fließen. Zudem stehe die Bundesregierung mit einer Vielzahl von Ländern zur Frage der Rückgabe von Kulturgütern und menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten im Kontakt.

Die Eigentumsübertragung von mehr als 1.000 Benin-Bronzen aus deutschen Sammlungen an Nigeria 2022 sei „ein positives Kapitel in der deutsch-nigerianischen Zusammenarbeit“, erklärte die Bundesregierung weiter. Sie sehe sich „in der Verantwortung, das unter deutscher Kolonialherrschaft begangene Unrecht aufzuarbeiten“. Das sei unbestrittener Teil der Erinnerungskultur in Deutschland. Das „Konzept der Wiedergutmachung“ sei aber aus den rechtlichen Gründen „im Zusammenhang mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands nicht anwendbar“.

Deutschland erkennt Völkermord an

Deutschland hatte sich ab 1884 Kolonien in Afrika, Ozeanien und Ostasien angeeignet. Die gewaltvolle Herrschaft führte zu Aufständen und Kriegen, im heutigen Namibia kam es zu einem Massenmord. Von 1904 bis 1908 wurden in Namibia etwa 80 Prozent des Herero-Volkes und die Hälfte der Nama von deutschen Streitkräften getötet. Schätzungen gehen von 100.000 Opfern aus. Die Bundesregierung erkannte die Gräueltaten 2021 als Völkermord an.

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es diesen juristischen Begriff noch nicht. Erst 1948 wurde Völkermord durch eine Konvention der UN-Generalversammlung zum Straftatbestand. Die Konvention gilt aber nicht rückwirkend. Deswegen ergaben sich für Deutschland keine rechtlichen Konsequenzen. Die Bundesregierung hatte bereits in der Vergangenheit betont, dass es aus ihrer Sicht keinen Rechtsanspruch auf Entschädigung gebe.

Der Historiker Jürgen Zimmerer von Universität Hamburg widerspricht: „Würde man das konsequent zu Ende denken, gäbe es ja auch keine Wiedergutmachungsleistungen für den Holocaust. Da wird aus meiner Sicht mit zweierlei Maß gemessen.“ In Deutschland habe es beim Thema Kolonialismus lange eine „völlige Amnesie“ gegeben. Seit etwa 2015 habe sich das Interesse verstärkt, Höhepunkt seien die „Black Lives Matter“-Proteste 2021 gewesen. „Doch seitdem erleben wir einen konservativen Rollback“, erklärte der Wissenschaftler und fügte hinzu: „Diese Regierung interessiert sich nicht für das koloniale Erbe.“ (dpa/epd/mig) Aktuell Politik

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  1. Levent Öztürk sagt:

    Es ist schon sehr typisch, dass Deutschland eine sogenannte Armeinien-Resolution im Bundestag beschlossen und verabschiedet hat aber in „eigener“ Sachen es keine diesbezügliche Herero-Nama Resolution gibt. Hierzu ein Zitat der Vorsitzenden des Herero-Verbandes OGC, Esther Muinjangue: “ Es ist interessant“, wie beflissen Deutschland die Geschichte anderer Länder aufarbeitet. Was ist der Unterschied? Die Herero sind schwarz, die Deutschen glauben, dass sie Schwarze nicht ernst nehmen müssen. Das ist für mich die einzige Schlussfolgerung. Wir finden es sehr interessant, dass sich die Deutschen so aktiv für die Sache der Armenier einsetzen, während sie ihre eigenen Angelegenheiten unter den Tisch kehren. Deutschland verhalte sich den Herero gegenüber wie ein Vergewaltiger, der gleichzeitig Richter ist.“ So die NGO-Vorsitzende Esther Muinjangue in einem Interview mit WELT.