
„Schrottimmobilien“
Wie im Ruhrgebiet seit Jahren Roma schikaniert werden
Politik und Medien sprechen vom Kampf gegen „Schrottimmobilien“, „Sozialbetrug“ und „Ghettobildung“. Doch in der Praxis richtet sich diese Politik vor allem gegen die Ärmsten der Armen.
Von Leon Wystrychowski Mittwoch, 13.08.2025, 16:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.08.2025, 16:32 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Vergangene Woche verkündete die SPD-Chefin und derzeitige Arbeitsministerin Bärbel Bas in Gelsenkirchen, wie wichtig der Kampf gegen sogenannte „Schrottimmobilien“ sei. „Es gehe darum, Ghettobildung aufzubrechen und ein Zeichen zu setzen, dass problematische Viertel nicht aufgegeben würden“, wird sie vom Deutschlandfunk paraphrasiert. Insbesondere Bürger aus Rumänien würden „angelockt“ und „zu überhöhten Mieten in den Immobilien untergebracht“. „Oft seien sie mit fingierten Arbeitsverträgen ausgestattet, die durch Bürgergeld aufgestockt würden. Dieses Geld werde ihnen jedoch vom Staat wieder abgenommen“, heißt es in dem Bericht. „Am Ende würden die Menschen bloß ausgenutzt.“
Was auf den ersten Blick so klingt, als gehe es um den Schutz der Betroffenen, erweist sich auf den zweiten als etwas ganz anderes: Bas kommt nämlich aus Duisburg. Und hier wird bereits seit mehr als einem Jahrzehnt der von ihr angemahnte „Kampf gegen Schrittimmobilien“ geführt, unter Leitung der SPD. Der aber ist alles andere als ein edles Unterfangen im Sinne sozialer Gerechtigkeit.
Von den „Peschen“ nach Marxloh
2013 ging es los, als zwei von mehreren Roma-Familien bewohnte Hochhäuser im Stadtteil Rheinhausen plötzlich bundesweit als „Problemhäuser“ von sich Reden machten. Den reißerischen Medienberichten über die Häuser „In den Peschen“ folgten bald Demos der rechtsradikalen Partei „Pro NRW“ (die AfD gab es damals noch nicht) und nächtliche Nazi-Angriffe auf das Haus, Proteste „besorgter Bürger“ und schließlich auch Polizeirazzien. Die Kampagne hatte „Erfolg“: Die Familien hielten den Druck nicht mehr aus und flohen aus den Häusern und dem Stadtteil.
Doch damit war noch lange kein Ende in Sicht: Denn nun verschob sich der Fokus von Politik und Medien auf den stark von Armut betroffenen und migrantisch geprägten Duisburger Norden, wo mittlerweile ebenfalls zahlreiche Roma lebten. Hier kam es in den kommenden Jahren vermehrt zu Wohnungsbränden, teilweise in leerstehenden Häusern (sogenannte „Warmsanierung“), häufig aber auch in Gebäuden, in denen Roma-Familien lebten. Diese mutmaßlichen Brandanschläge fanden jedoch keinerlei öffentliche Aufmerksamkeit, die lokalen Medien beschränkten sich auf Meldungen.
2014 führte die rot-grüne Landesregierung das Wohnungsaufsichtsgesetz in NRW ein. „Vorangetrieben wurde es unter anderem von Innenminister Ralf Jäger“, erklärt Sylvia Brennemann von der „Initiative Marxloher Nachbarn“ gegenüber MIGAZIN. Jäger ist ebenfalls Sozialdemokrat aus Duisburg und verkündete schon damals den Kampf gegen „Schrottimmobilien“. Das 2021 durch eine weitere Verschärfung aufgehobene Gesetz ermöglichte es den Kommunen, Wohnungen für unbewohnbar zu erklären und in kürzester Zeit zu räumen. „In der Praxis bedeutet das, dass Mieter innerhalb weniger Stunden auf die Straße gesetzt werden können“, so Brennemann. Unter anderem Duisburg, Dortmund und Gelsenkirchen richteten sogenannte ‚Taskforces‘ aus Polizei, Ordnungsamt, Feuerwehr, Stadtwerken, Jobcenter usw. ein. Diese haben mittlerweile einen legendären Negativruf. „In Duisburg gehen diese ‚Taskforces‘ mit – man kann es nicht anders sagen – krimineller Energie vor, um Betroffene, häufig in Nacht-und-Nebel-Aktionen, aus ihren Häusern zu schmeißen“, berichtet Brennemann.
Verdrängung und Einschüchterung
„Würde es wirklich um soziale Gerechtigkeit und Mieterschutz gehen, dann würde die Politik mit den Mietern gemeinsam nach Lösungen suchen, ihre Rechte stärken und ihnen Alternativen bieten“, meint auch Ahmad Omeirat, Stadtratsabgeordneter aus Essen. Stattdessen aber werde über ihre Köpfe hinweg und auf ihre Kosten gehandelt. Die „Initiative Marxloher Nachbarn“ versucht dieser Praxis etwas entgegenzusetzen: In ihr organisieren sich seit Jahren sowohl Betroffenen als auch solidarische Marxloh-Anwohner:innen. Doch wer sich für die Betroffenen einsetzt, wird selbst Ziel von Repression: „Mir und anderen werden mittlerweile Platzverweise erteilt oder wir werden sogar in Gewahrsam genommen, wenn wir bei Räumungen dazukommen. Angeblich, weil wir die Arbeit der Behörden behindern würden. In Wahrheit aber geht es darum, uns einzuschüchtern und Zeugen zu verhindern“, berichtet Shabnam Shariatpanahi von der Initiative.
Trotzdem hat die Organisation bereits einiges erreicht. Etwa was Öffentlichkeitsarbeit angeht. So finden sich hier und da in großen Medien, vor allem aber in kleineren, Berichte und Reportagen, in denen das Vorgehen der Kommunen kritisiert wird und in denen Betroffenen und Aktivisten zu Wort kommen. Dabei wird schnell deutlich, unter welchem Druck die Menschen stehen: „Ich kaufe nicht mehr viel ein, weil ich nicht weiß, ob ich morgen noch eine Wohnung habe“, berichtet etwa eine Frau. Eine andere erklärt, wieso sie lieber in einer heruntergekommenen, überteuerten, aber immerhin sauberen Wohnung als in einer der von der Stadt zur Verfügung gestellten schmutzigen Notunterkünfte leben will: „In diesem viel zu kleinen Raum, voller Kakerlaken, lasse ich doch nicht meine Kinder wohnen“.
Doch vor allem konnte die Initiative in der Vergangenheit tatsächlich auch Räumungen verhindern: Im Herbst 2024 sollten in Duisburg-Marxloh nicht weniger als 900 Menschen kurzfristig aus ihren Wohnungen geworfen werden. Der Grund: Der Vermieter hatte die Mieten komplett eingestrichen und die Stadtwerke nicht bezahlt. Ersatzunterkünfte stellte die Stadt nicht zur Verfügung: Die Betroffenen sollten sich zügig neue Wohnungen suchen oder zu Verwandten ziehen, hieß es auf Nachfrage. Erst Widerstand und Proteste zwangen die Politik zum Einlenken.
Deutsche Tradition: Antiziganismus
Während Ralf Jäger 2014, ähnlich wie heute Bärbel Bas, von Vermietern sprach, die sich eine „goldene Nase“ verdienten, erklärte ihr Parteikollege, Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link, 2015 ganz offen, worum es wirklich geht: Er sei bereit, die doppelte Menge an Syrern aufzunehmen, wenn er dafür „ein paar Osteuropäer abgeben könnte.“
Ist von „Osteuropäern“, „Rumänen“ und „Bulgaren“ die Rede, sind damit meist Roma gemeint. Dass man diese Tatsache sprachlich gerne umschifft, dürfte kein Zufall sein: Während des Porajmos („das Verschlingen“) genannten Genozids ermordeten die Nazis 500.000 Sinti und Roma in Deutschland und im besetzten Europa. Auch wenn dieses Verbrechen bis heute kaum öffentliche Beachtung findet und der Begriff „Antizganismus“ nur wenigen Deutschen bekannt sein dürfte, scheint es angesichts dieser historischen Schuld „klüger“, nicht offen darüber zu reden, dass sich politische Maßnahmen heute wieder gegen dieselbe Bevölkerungsgruppe richten.
Dabei spielen selbst traditionelle rassistische Klischees eine starke Rolle bei der Legitimierung der Verdrängungspolitik. Ab 2013 war von Polizei, Politik und Medien die Rede von „hochmobilen“ Einbrecherbanden aus Osteuropa die Rede. Diese Formulierungen wurden schnell decodiert: Es ging um „kriminelle Roma-Banden“, die, „wie schon immer“, „fahrend durchs Land zogen“. Auch in Bezug auf jene Familien, die von den Kommunen aus ihren Wohnungen gedrängt werden, wird dieses Klischee angewandt. So berichtet Shariatpanahi: „Als ich bei einer Räumung nach dem im Gesetz vorgesehenen Ersatzwohnraum für die Familie gefragt habe, wurde mir geantwortet, das sei nicht nötig. Die gingen doch eh alle zu ihren Familien.“
Karrieren und Wahlkämpfe
„Ob sogenannte ‚Clan-Kriminalität’, Barber-Shops, Shisha-Geschäfte oder Roma-Familien – es geht letztlich immer darum, dass mit Hetze und auf Kosten einer Minderheit Politik gemacht wird“, meint Omeirat, der, selbst betroffen, seit Jahren gegen die Stigmatisierung von libanesischstämmigen Familien in NRW ankämpft. Brennemann weist ebenfalls darauf hin, dass mit dieser Art Politik Karrieren gemacht werden: So habe sich eine Dezernentin „für Sicherheit und Recht“ der Stadt Duisburg als eine der Hauptverantwortlichen für die Räumungen zur Staatssekretärin des NRW-Innenministeriums gemausert. Brennemann ist überzeugt: „Wenn das Thema ‚Roma‘ demnächst einmal nicht mehr so stark ziehen sollte, dann sind halt wieder die Libanesen dran. So läuft das Spiel!“
Aber noch „zieht“ das Roma-Thema. Und deshalb kann man Omeirat nur unschwer widersprechen, wenn er kritisiert: „Dass Bärbel Bas sich jetzt in Gelsenkirchen hinstellt und auf den Kampf gegen ‚Schrottimmobilien‘ einschwört, ist nichts anderes als Wahlkampfhilfe für die SPD vor den Kommunalwahlen in NRW“. (mig) Leitartikel Panorama
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