Giorgia Meloni, Italien, Politikerin, Rechtspopulistin, Rechtsextremismus
Italienische Premierministerin Giorgia Meloni © Domenico Cippitelli/AFP

Niederlage für Asyl-Hardliner

EuGH zieht Grenzen für Listen sicherer Herkunftsländer

Listen sicherer Herkunftsstaaten ermöglichen schnellere Asylverfahren. Italien nutzt sie bei seinem umstrittenen „Albanien-Modell“. Nun macht das höchste EU-Gericht dafür Vorgaben. Das Urteil ist auch für Deutschland wegweisend.

Von und Sonntag, 03.08.2025, 12:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 03.08.2025, 13:00 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) erhöht mit einem Urteil die Hürden für die Festlegung sicherer Herkunftsstaaten für beschleunigte Asylverfahren. Die EU-Länder dürfen solche Listen nur selbst erstellen, wenn sie die Quellen für ihre Einschätzung offenlegen. Zudem gilt derzeit, dass die gesamte Bevölkerung in dem Land sicher sein muss, entschieden die Richterinnen und Richter in Luxemburg.

In dem Verfahren ging es um Italiens umstrittenes „Albanien-Modell“ für schnelle Asylverfahren im Ausland. Die Bestimmung von sicheren Herkunftsstaaten ist eine Grundvoraussetzung, um das Modell umsetzen zu können.

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EuGH: Einstufung von Staaten muss gerichtlich überprüfbar sein

Wer aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommt und in der EU einen Asylantrag stellt, kann schneller abgelehnt werden. EU-Länder können selbst bestimmen, welche Staaten sie als sicher ansehen. Der EuGH legt in seinem Urteil nun fest, dass diese Einschätzung aber überprüfbar sein muss.

Außerdem dürfen dem Urteil nach Mitgliedstaaten – zumindest bis zum Inkrafttreten einer neuen EU-Asylregelung – einen Drittstaat nicht als „sicheren“ Herkunftsstaat bestimmen, wenn bestimmte Personengruppen, etwa homosexuelle Menschen, dort nicht sicher sind. Im vergangenen Jahr urteilte der Gerichtshof in einem anderen Fall, dass ein Staat bis auf weiteres nur als sicher eingestuft werden darf, wenn damit sein gesamtes Hoheitsgebiet gemeint ist.

Eine neue Regelung in der EU sieht allerdings vor, dass künftig Staaten auch unter Ausnahmen von Personengruppen sowie bestimmter Regionen insgesamt als sicheres Herkunftsland eingestuft werden dürfen. Die Regelung ist Teil der großen EU-Asylrechtsreform, die ab Juni 2026 gilt. Es stehe der EU frei, den Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Bestimmung vorzuverlegen, merkte das Gericht in Luxemburg an. Einen solchen Vorschlag machte die EU-Kommission im April. Demnach sollen Mitgliedstaaten sichere Herkunftsländer mit den genannten Ausnahmen benennen können. Noch müssen dem Vorschlag das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union zustimmen. Bis dahin gilt altes EU-Recht – und die Auslegung des Gerichts.

Hintergrund ist Italiens „Albanien-Modell“

Im konkreten Fall, der dem EuGH-Urteil zugrunde liegt, klagten zwei Menschen aus Bangladesch gegen die Ablehnung ihrer Asylanträge, weil ihr Herkunftsland von Italien als sicher eingestuft wird. Sie gehörten zu denjenigen Migranten, die von Italien in Lager nach Albanien gebracht wurden.

Grundidee des „Albanien-Modells“ ist es, Asylanträge von männlichen erwachsenen Migranten, die aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen und auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden, in Schnellverfahren im Ausland zu prüfen. Dazu schloss Italien ein Abkommen mit Albanien zum Aufbau von zwei Lagern auf albanischem Territorium.

Es ist das Prestigeprojekt von Italiens rechter Regierungskoalition unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, liegt aber wegen Widerstands in der italienischen Justiz derzeit auf Eis. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation ActionAid und der Universität Bari waren die Zentren 2024 effektiv nur an fünf Tagen in Betrieb – und das bei sehr hohen Kosten.

Pläne der italienischen Regierung durchkreuzt?

Das Urteil stieß in Italien auf scharfe Kritik. Die Entscheidung sei überraschend und schränke den ohnehin begrenzten Handlungsspielraum der Regierungen weiter ein, sagte Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. „Dies ist ein Schritt, der alle beunruhigen sollte.“ Die Justiz – diesmal die europäische – beanspruche Zuständigkeiten, „die ihr nicht zustehen, während die Verantwortung bei der Politik liegt“, teilte die Chefin der rechten Regierungspartei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) mit.

Italiens Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte kritisierte die Regierungschefin auf Facebook. Melonis Empörung sei „leere Propaganda“ und eine „falsche Opferrolle“. Das EuGH-Urteil sei zu erwarten gewesen, Melonis Reaktion hingegen eine „Blamage“. Die sozialdemokratische Oppositionsführerin Elly Schlein warf der Regierung vor, eine „illegale Entscheidung getroffen“ zu haben, für die sie nun Verantwortung übernehmen müsse.

Der Anwalt der Kläger aus Bangladesch sagte gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur Ansa, dass durch das Urteil „die Position der italienischen Regierung abgelehnt“ worden sei. Er bewertete die Entscheidung demnach als Sieg für den Vorrang des Unionsrechts vor den Ansprüchen einzelner Nationalstaaten.

Die zwei Geflüchteten aus Bangladesch kamen später nach Italien und zogen dort vor Gericht. Weil das italienische Gericht nicht sicher war, ob die Liste der sicheren Herkunftsländer der italienischen Regierung mit EU-Recht vereinbar ist, wandte es sich an den EuGH.

Urteil auch für Deutschland wegweisend

Das Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist auch für Deutschland wegweisend, bestätigt Migrationsrechts-Expertin Pauline Endres de Oliveira. Denn auch Deutschland hat eine Liste sicherer Länder festgelegt. Sie umfasst neben den EU-Mitgliedstaaten die Westbalkanländer sowie Georgien, Ghana, Moldau und Senegal. „Die europäischen Vorgaben zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten gelten auch hier“, so Endres de Oliveira.

Für Clara Bünger, innenpolitische Sprecherin der Linke im Bundestag, ist das EuGH-Urteil ein klarer Auftrag an Deutschland: „Die Länderberichte müssen veröffentlicht und die Liste sicherer Herkunftsstaaten grundlegend überprüft werden. Georgien und Moldau gehören umgehend von dieser Liste gestrichen.“ Das Urteil sei auch eine deutliche Absage an die Pläne der Bundesregierung, weitere Länder als sicher einzustufen. In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, mit der Einstufung von Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten zu beginnen.

Innenministerium will Entscheidung auswerten

Das für das Thema zuständige Bundesinnenministerium sagte zunächst nichts zu konkreten Auswirkungen des Urteils für Deutschland. Man werde die Entscheidung des EuGH auswerten, teilte ein Sprecher mit. Er verwies darauf, dass man bereits die Gründe für eine Einstufung eines Herkunftsstaates als sicher offenlege und Deutschland grundsätzlich Staaten nur dann als sicher einstufe, wenn dort die Bevölkerung als sicher gelte.

Ob und wie es nach der Entscheidung mit dem „Albanien-Modell“ weitergehen kann, ist laut der Rechtsexpertin unklar. „Es gibt noch zahlreiche Rechtsfragen, die beim ‚Italien-Albanien-Modell‘ im Raum stehen“, erklärt die Professorin der Humboldt-Universität Berlin. Zum Beispiel, ob die geplante Unterbringung von Asylsuchenden in solchen Zentren rechtlich einer Inhaftierung gleichkomme. Das wäre problematisch, denn nach internationalem Recht dürfe niemand ohne rechtlichen Grund inhaftiert werden – und eine Asylantragstellung sei kein Haftgrund. (dpa/mig) Leitartikel Recht

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