Umstrittener Flüchtlingspakt
Italien will in Albanien Asylzentren errichten
Italien will auf albanischem Boden zwei Aufnahmezentren für Geflüchtete errichten, die über das Mittelmeer gekommen sind. Dort sollen ihre Asylanträge geprüft werden. Meloni schafft mit dem Deal Fakten in einer Diskussion, die auch in Deutschland geführt wird.
Mittwoch, 08.11.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.11.2023, 15:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Angesichts der hohen Flüchtlingszahlen über das Mittelmeer nach Europa haben sich Italien und Albanien auf ein umstrittenes Flüchtlingspakt geeinigt. In Albanien sollen zwei Aufnahmezentren für Geflüchtete errichtet werden, in denen Asylanträge geprüft und wenn nötig schnellere Rückführungen ermöglicht werden. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Albaniens Regierungschef Edi Rama unterzeichneten in Rom eine entsprechende Absichtserklärung. Sowohl in Italien als auch in Albanien sorgt die Vereinbarung für Kritik.
Das Abkommen vom Montag zielt auf Geflüchtete ab, die sich auf Booten übers zentrale Mittelmeer nach Italien aufmachen, wie Meloni der Zeitung „Il Messaggero“ am Dienstag sagte. Die Menschen, die also von Schiffen der italienischen Behörden gerettet und aufgelesen werden, werden künftig direkt zur individuellen Fallbearbeitung nach Albanien gebracht. „Die Einrichtungen werden in der Lage sein, bis zu 3.000 Menschen gleichzeitig aufzunehmen“, so Meloni. Sie hofft, so bis zu 36.000 Asylbewerber pro Jahr nach Albanien bringen zu können.
Nur Menschen, deren Asylantrag bewilligt wurde, würden dann nach Italien gebracht. Ausgenommen von dem Abkommen sind allerdings Minderjährige, Schwangere und andere schutzbedürftige Menschen.
Zentren sollen 2024 betriebsbereit sein
Nach den Plänen Italiens und Albaniens sollen die Zentren in den nordalbanischen Städten Shengjin und Gjader errichtet werden. Sie sollen nach Melonis Worten von Italien verwaltet werden. Albanien werde bei der Überwachung mitwirken. Die Zentren sollen bereits im kommenden Jahr betriebsbereit sein.
In Italien wird seit geraumer Zeit über hohe Flüchtlingszahlen auf der Mittelmeerroute diskutiert. Nach Angaben des Innenministeriums in Rom kamen dieses Jahr bereits mehr als 144.700 Menschen auf Booten an (Stand 3. November). Im Vorjahreszeitraum waren es rund 87.300. Die Rechtspolitikerin Meloni, deren wichtigstes Wahlversprechen die Eindämmung der sogenannten „irregulären Migration“ war, steht deswegen massiv unter Druck – gemeint sind Menschen, die mangels legaler Fluchtwege ohne gültige Einreisedokumente kommen.
Meloni schafft Fakten
Nachdem erneut mehrere Tausende Menschen im Sommer Europa erreichten, wurden Forderungen laut, Asylverfahren in Drittländer auszulagern. Kritiker stellen bei solchen Vorhaben die Rechtmäßigkeit in Frage. Meloni schafft damit Fakten und liefert mit dem Deal ein erstes Beispiel dafür, wie eine Auslagerung von Asylverfahren in Drittländer – über die auch in Deutschland diskutiert wird – funktionieren könnte.
Meloni pries das Abkommen mit Albanien als mögliches Vorbild für ähnliche Abkommen mit anderen Ländern außerhalb der EU. Brüssel hielt sich hingegen zunächst bedeckt. Man stehe mit den italienischen Behörden in Kontakt und benötige noch weitere Details, teilte eine Sprecherin der EU-Kommission am Dienstag mit. Wichtig sei die Wahrung von EU-Vorschriften und Völkerrecht.
UNHCR: Asylverfahren in Drittstaaten mit Leitplanken möglich
Das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hält Asylverfahren in sogenannten sicheren Drittstaaten generell für möglich, allerdings nur unter eng gefassten Bedingungen. Das UNHCR vertrete seit langem den Standpunkt, dass Rückführungen oder Überstellungen in solche Staaten nur dann als angemessen angesehen werden könnten, wenn diese Länder die Rechte aus der Genfer Flüchtlingskonvention und die menschenrechtlichen Verpflichtungen in vollem Umfang respektierten, hieß es in einer Stellungnahme des UNHCR in Deutschland vom Mittwoch. Außerdem müsse eine entsprechende Vereinbarung mit einem solchen Staat dazu beitragen „die Verantwortung für Flüchtlinge fair unter den Staaten zu teilen, anstatt sie zu verlagern“.
Die Vertreterin des UNHCR in Deutschland, Katharina Lumpp, betonte, nach dem Flüchtlingsvölkerrecht liege die „primäre Verantwortung“ für die Prüfung von Asylanträgen sowie die Gewährung von internationalem Schutz bei dem Staat, in dem ein Asylsuchender ankommt und um Schutz ersucht. Durch eine Bearbeitung dieses Schutzersuchens außerhalb der eigenen Staatsgrenzen werde diese Verpflichtung nicht berührt.
EU für Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb bereits vor zwei Wochen für eine engere Zusammenarbeit mit Ägypten. Brüssel hatte im Sommer eine umstrittene Vereinbarung mit Tunesien getroffen: Im Gegenzug für millionenschwere Finanzhilfen sollte das nordafrikanische Land stärker gegen Schlepper und illegale Überfahrten vorgehen. Die EU-Kommission hatte damals viel Kritik geerntet, weil der tunesischen Regierung Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Inzwischen mehren sich angesichts tunesischer Kritik Zweifel, ob das Abkommen Bestand haben wird.
Meloni betonte dagegen, dass Albanien die „Achtung der Menschenrechte uneingeschränkt gewährleistet“. Die EU führt derzeit Beitrittsverhandlungen mit dem Balkanland.
„Das größte illegale Flüchtlingslager Europas“
An dem Flüchtlingspakt wurde indes scharfe Kritik laut. Es scheine gegen internationales und europäisches Recht zu verstoßen, sagte etwa die sozialdemokratische Oppositionspolitikerin Elly Schlein. Andere bezeichneten es als „pure Propaganda“. „Es ist eine propagandistische Verkürzung, die ebenso wirkungslos wie gefährlich ist, da das Risiko einer schwerwiegenden Verletzung europäischer und internationaler Standards besteht“, so Schleins Parteifreund Piero De Luca.
In Albanien lehnte die nationalistische Opposition die geplante Errichtung solcher Einrichtungen scharf ab. „Ohne parlamentarische Diskussion, ohne politischen Konsens (…) verwandelt Edi Rama von einem Tag auf den anderen Albanien in das größte illegale Flüchtlingslager Europa“, schrieb Belind Kellici, Präsidiumsmitglied der oppositionellen Demokratischen Partei (PD), auf seiner Facebook-Seite. Dies sei „Verrat an Albanien“. (dpa/mig) Ausland Leitartikel
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