
Nebenan
Staatsräson. Isoliert.
Deutschland bleibt seiner perversen Idee einer Staatsräson treu. Das ist in der Welt aber nicht mehr vermittelbar. Die Vorwürfe gegen Israel wiegen schwer – sehr schwer, zu schwer. So verrät Deutschland nicht nur sich selbst, sondern auch Israel.
Von Sven Bensmann Montag, 28.07.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.07.2025, 9:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
28 Staaten, von Kanada über Frankreich und Großbritannien bis Japan, Deutschlands engste Verbündete auf der Welt, haben letzte Woche eine Erklärung veröffentlicht, in der sie fordern, der Gaza-Krieg müsse sofort enden. Deutschland will das offenbar nicht – und hat die Erklärung entsprechend nicht unterzeichnet.
Ferner erklärten die Staaten, das derzeitige Modell der Hilfsgüterverteilung – bei der wohl immer wieder israelische Soldaten mit Sturmgewehren und Panzern, sogar mit Kampfflugzeugen, in die hungernden Massen schießen – sei gefährlich. Es sei überhaupt inakzeptabel, dass die israelische Regierung den Menschen humanitäre Hilfe im Gazastreifen weitestgehend vorenthält, dies fördere die Instabilität und nehme den Menschen ihre Würde. Als grauenerregend bezeichneten es die Staaten, dass bereits über 800 Menschen allein bei der Verteilung der Hilfsgüter getötet worden seien. Die Staaten verurteilten dabei explizit das Ermorden von Zivilisten und insbesondere Kindern, die schließlich nur ihre Grundbedürfnisse befriedigen wollten. Israel müsse sich unbedingt den Regeln des humanitären Völkerrechts beugen.
Deutschland scheint da anderer Meinung zu sein, denn weder hat es sich der Erklärung angeschlossen, noch bisher eigene Konsequenzen gezogen – stattdessen wird auf bilaterale Gespräche hinter verschlossenen Türen verwiesen, die, wenn sie denn stattfinden sollten, die israelische Regierung bisher jedenfalls nicht zu beeindrucken scheinen.
„Deutschland bleibt seiner perversen Idee einer Staatsräson treu.“
Zusätzlich wird auch die Umsiedlung der Palästinenser in die „humanitarian cities“, die der israelische Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert – der auch sonst zuletzt nicht mit seiner Meinung zur israelischen Politik hinterm Berg hielt – offen als „Konzentrationslager“ bezeichnete, und die ganz offensichtlich einer ethnischen Säuberung des Gazastreifens dienen sollen, als inakzeptabel bezeichnet. Deutschland schließt sich auch hier offenbar nicht an. Deutschland bleibt damit seiner perversen Idee einer Staatsräson, dass Israel sich weder moralischen noch (völker-)rechtlichen Restriktionen beugen müsse, treu.
Dasselbe galt natürlich, als Frankreich Ende der Woche ankündigte, Palästina als eigenständigen Staat anerkennen zu wollen: aus der Union wurde direkt erklärt, dies sei ein Irrweg – stattdessen müsse an dem vor über 30 Jahren eingeschlagenen Weg festgehalten werden, der in den aktuellen, immer häufiger als Völkermord bezeichneten, Konflikt mündete. Nur wenn Israel weiter mit den für seine abartige Kriegsführung notwendigen Waffen versorgt werde, könne ein dauerhafter Frieden erreicht werden. Ginge es nicht um Israel, hätte man – auch angesichts der ausgegebenen Kriegsziele und der dazu fehlenden Strategie – dabei wohl längst von „Endlösung“ statt „Konflikt“ oder „Krieg“ gesprochen, und käme damit den Einschätzungen breiter Kreise von Juristen, Völkerrechtlern, Politikern und Journalisten auf der ganzen Welt näher.
Nicht einmal deutsche Diplomaten halten sich mit ihren Einschätzungen zur deutschen Außenpolitik noch zurück, dass die deutsche Position schlicht nicht mehr vermittelbar ist, dass das ewige Bremsen der Bundesregierung in der EU Deutschland isoliert. Wie Hohn erscheint es da, dass Deutschland angesichts der Anerkennung Palästinas durch Frankreich seine Kritik mit dem Wunsch verband, man solle in der EU auf eine gemeinsame Position hinarbeiten: Diese gemeinsame Position gibt es bereits, Deutschland weigert sich bloß, sich dieser anzuschließen.
„Deutschland will dem Morden offenbar schlicht und einfach weiter zusehen.“
Deutschland will dem Morden offenbar schlicht und einfach weiter zusehen – dem Morden von Menschen durch Hunger, durch Durst, dem Morden durch Raketen und Gewehre, durch die gezielte Zerstörung von Krankenhäusern, das Bombardieren von Cafés in denen sich verhasste Intellektuelle und noch verhasstere unabhängige Journalisten treffen. Deutschland entschuldigt die Verbrechen Israels mit den Verbrechen der Hamas, als rechtfertige ein Verbrechen ein anderes, als sei nicht längst jedes Maß und jede Mitte verloren. Es entschuldigt sie mit einer Staatsräson, die sich einbildet, dieser Krieg würde die Sicherheit der israelischen Bürger begünstigen. Dabei ist Israel selbst offenkundig längst zu der Überzeugung gelangt, dass erst dann von Palästina keine Gefahr mehr ausgeht, wenn es keine Palästinenser mehr gibt.
Auf diese Weise verrät Deutschland nicht nur sich selbst, es verrät auch Israel, dessen Sicherheit sicherlich nicht durch weltweit verurteilte Kriegsverbrechen gefördert wird. Deutschland sollte aber endlich auf genau diese hinarbeiten, mit seinen Partnern in Europa, selbst wenn sich das Regime Netanjahu darauf bisher nicht einlassen will – schließlich gibt es in Israel eine Zivilgesellschaft, die jenen Frieden und jene Sicherheit will, die Deutschland seine Staatsräson nennt. (mig) Meinung
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