Erstmals deutliche Kritik
Habeck wirft Israel Völkerrechtsbruch vor
Nach dem Terrorangriff der Hamas hatte Habeck Israel „uneingeschränkte Solidarität“ versprochen. Jetzt geht er mit seiner Kritik an Israel über die bisherigen Äußerungen der Regierung hinaus. Ein erstes Umschwenken in der uneingeschränkt israeltreuen Linie.
Von Michael Fischer Montag, 27.05.2024, 10:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.05.2024, 10:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Vizekanzler Robert Habeck hat Israels Vorgehen im Gaza-Krieg als Völkerrechtsbruch kritisiert. „Selbstverständlich muss Israel sich an das Völkerrecht halten. Und die Hungersnot, das Leid der palästinensischen Bevölkerung, die Angriffe im Gazastreifen sind – wie wir jetzt auch ja gerichtlich sehen – mit dem Völkerrecht nicht vereinbar“, sagte Habeck am Samstag in einem Bürgergespräch beim Demokratiefest in Berlin. „Das heißt, es ist in der Tat so, dass Israel dort Grenzen überschritten hat, und das darf es nicht tun.“ Gleichzeitig verwies der Grünen-Politiker darauf, dass die Hamas im Gazastreifen den Krieg sofort beenden könnte, wenn sie ihre Waffen niederlegen würde.
CSU-Generalsekretär Martin Huber nannte die Aussagen Habecks „unfassbar und beschämend“. Der Wirtschaftsminister gieße „Öl ins Feuer der ohnehin schon antisemitisch aufgeheizten Stimmung in Deutschland.“ Huber warf Habeck vor, „das Narrativ der Hamas und der Israel-Hasser“ zu bedienen. Seine Äußerungen grenzten an Täter-Opfer-Umkehr. „Er reiht sich damit ein in die antiisraelischen Propagandisten des linken Antisemitismus. Dieser darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“.
Auch aus der CDU kam deutliche Kritik. Habecks Äußerungen seien „völlig unverständlich und inakzeptabel“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann Wadephul, der „Welt“. Es stelle sich die Frage, ob dies nun Position der Bundesregierung sei.
Habeck hatte „uneingeschränkte Solidarität“ versprochen
Habeck hatte Israel knapp eine Woche nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober in einer sehr emotionalen Videobotschaft die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands zugesichert. „Israel hat alles Recht sich zu verteidigen. Und wir werden es dabei unterstützen, wo immer es unsere Unterstützung braucht“, sagte er damals.
Die gesamte Bundesregierung, für die die Sicherheit Israels zur Staatsräson gehört, hatte sich lange Zeit mit Kritik an der Kriegsführung Israels zurückgehalten. Erst nach und nach wurden die Mahnungen an die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu deutlicher, vor allem was eine mögliche großangelegte Bodenoffensive in der Stadt Rafah angeht, in die Hunderttausende Palästinenser geflüchtet sind. Die Bundesregierung äußerte immer wieder die Erwartung, dass sich Israel an das Völkerrecht hält. Der von Habeck geäußerte Vorwurf des Völkerrechtsbruchs ist aber neu.
Gerichtsverfahren gegen Israel laufen noch
Der Wirtschaftsminister verweist in seiner Äußerung auf Gerichtsverfahren gegen Israel. Bisher hat aber noch kein internationales Gericht Israel wegen Völkerrechtsbruchs verurteilt. Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, hatte am Montag Haftbefehle wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant beantragt. Darüber muss das Gericht aber noch entscheiden.
Am Freitag hatte dann der Internationale Gerichtshof Israel verpflichtet, den Militäreinsatz in Rafah sofort zu beenden. In der Eilentscheidung ließen die Richter in dem von Südafrika angestoßenen Verfahren aber die Frage offen, ob Israel einen Völkermord begehe. Diese müsse in einem Hauptverfahren geklärt werden. Israel beruft sich bei seinem Militäreinsatz im Gazastreifen auf sein Selbstverteidigungsrecht.
US-Außenministerium kam zu keinem klaren Ergebnis
Das US-Außenministerium ist vor zwei Wochen in einem Bericht an den Kongress zu keinem klaren Ergebnis gekommen, was mögliche Verstöße der israelischen Streitkräfte gegen humanitäres Völkerrecht mit US-Waffen angeht. Aufgrund der Situation in dem Kriegsgebiet sei es schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende Feststellungen zu treffen, heißt es darin.
„Es gibt jedoch genügend gemeldete Vorfälle, die Anlass zu ernsthaften Bedenken geben.“ Das Außenministerium habe von mehreren glaubwürdigen UN- und Nichtregierungsquellen Berichte über mögliche Menschenrechtsverletzungen durch israelische Streitkräfte erhalten.
Scholz und Habeck warnen vor Großoffensive in Rafah
Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigten am Samstag die Warnungen der Bundesregierung vor einer großangelegten Militäroffensive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. „Unsere Aussage ist, dass die Kriegsführung immer so gemacht werden muss, dass sie die Regeln des Völkerrechts beachtet“, sagte Scholz bei einem Bürgergespräch in seinem Potsdamer Wahlkreis. „Deswegen sind wir auch immer sehr klar gewesen zu sagen: Eine Offensive in Rafah können wir uns nicht vorstellen ohne furchtbare, unverantwortbare menschliche Verluste.“
Habeck wies darauf hin, dass die Bundesregierung immer gesagt habe, „dass Israel diesen Angriff nicht vornehmen darf, jedenfalls nicht so, wie es davor im Gazastreifen umgegangen ist: Bombardements von Flüchtlingslagern und so weiter.“
Antisemitismusbeauftragter kritisiert Netanjahu
Zuletzt hat sogar der baden-württembergische Antisemitismusbeauftragte, Michael Blume, die israelische Regierung scharf kritisiert. Seiner Meinung nach erweist Netanjahu mit seinem Verhalten den Kampf gegen Antisemitismus einen Bärendienst. „Wir merken deutlich, dass der israelbezogene Antisemitismus stark zunimmt“, sage Blume der Deutschen Presse-Agentur.
„Rechtsextremisten aus Israel, den USA und Europa, aber auch die Regierung Netanjahu benutzen den Antisemitismus-Vorwurf inflationär und instrumentalisieren ihn – das hilft uns überhaupt nicht, wenn wir Antisemitismus ehrlich bekämpfen wollen.“ Man könne nicht jeden, der die israelische Regierung kritisiert, als Antisemiten abstempeln, sagte Blume.
Die Zahl der Toten im Gazastreifen beläuft sich laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde inzwischen auf 35.800. Zudem ist von mehr als 80.000 Verletzten die Rede. UN-Stellen berichten zudem von einer humanitären Katastrophe. (dpa/mig) Aktuell Politik
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