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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Sylt und Sachsen wachsen zusammen

Früher behielt man rassistische Parolen unter sich, heute filmt man sich dabei. Auch in der Politik hat man sich mit Faschismus bereits angefreundet.

Von Montag, 27.05.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.05.2024, 9:11 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Für Außenstehende ist es schon paradox: Da leben Menschen in Deutschland, die überall einen Linksruck sehen, eine grüne Meinungsdiktatur und lamentieren, dass man ja nichts mehr sagen dürfe – während ihre, das scheint das Wort der Stunde zu sein, „wohlstandsverwahrlosten“ Kids auf Sylt widerlichste Nazi-Parolen grölen.

Und machen wir uns nichts vor. Es sind eben nicht die Kinder von Ronny (36, arbeitsloser Schweißer), von Mandy (32, alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern von drei Vätern) oder Erich (72, frühverrenteter Mauerschütze und Flaschensammler), die auf Sylt: „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gegrölt haben; diese Art von Pack hat vielmehr Väter wie Christian Wolfgang (45, Experte für schwäbische Hausfrauen und Austern), Joachim-Friedrich Josef (69, Hobbypilot) und Markus Thomas Theodor, genannt „Maggus“ (57, Gelegenheits-Drag Queen).

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Auf Sylt wussten sie sich unter ihresgleichen, mussten keine Konsequenzen fürchten – bis halt jemand so verstrahlt war, die Nummer auch noch zu filmen. Das muss diese Enthemmung sein, von der aktuell ständig geredet wird: Früher behielt man derlei Parolen unter sich, mittlerweile sind sie für viele aber bereits eine solche Normalität, dass es keine Hemmungen mehr gibt, sich dabei auch zu filmen. Jene, die bisher ihre schützende Hand über die Delinquenten hielten, sind damit allerdings (bisher noch) zum Handeln gezwungen, weil Geld zwar nicht stinkt, aber weniger Geld, das stinkt manchen dann halt doch. Und so gibt es dann doch einige klare Ansagen, von denen jede/r halten kann, was er oder sie will.

Hinweis: Auch auf Sylt und von den gleichen, wenn auch nicht denselben, Leuten beleidigt und verletzt worden, ist übrigens eine junge, schwarze Frau, die über social media gerade nach Menschen sucht, welche die Beschuldigten identifizieren können. Sie bittet dafür um möglichst viel Reichweite; und so tue ich gern meinen kleinen Teil: _flawlessjazz_.

„Wenn die jetzt ihren Job als Influencer oder im Consulting verlieren, dann sitzen sie nicht auf der Straße, sondern gehen halt einem anderen Hobby nach.“

Der Unterschied im Elternhaus ist dabei durchaus wichtig, aber er ist nicht signifikant: was die Klientel der AfD von größeren Teilen der CXU und auch der FDP unterscheidet, ist nicht das Gedankengut, es ist allein das Elternhaus. Wenn die jetzt ihren Job als Influencer oder im Consulting verlieren, dann sitzen sie nicht auf der Straße, sondern gehen halt einem anderen Hobby nach, während sie Mamis oder Daddys Vermögen verprassen: Professorensöhne, Firmenerben, Beamtenkinder gehen im Drogenrausch auch zu Laila ab, aber wenn sie das tun, dann sind sie für die deutsche Öffentlichkeit nicht rechtsextrem, keine Rassisten oder Nazis, nein, sie sind nur wohlstandsverloste, aber doch eigentlich harmlose – das sei mir gelassen – Sackgesichter.

„Der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamm, Sylt und Sachsen wachsen zusammen.“

So wie an dieser Stelle schon mehrfach diskutiert wurde, dass Merz die Union wohl schrittweise zur AfD zu öffnen versucht, ist auf europäischer Ebene immerhin längst keine Spur mehr von einer Brandmauer: Der Apfel fällt halt nicht weit vom Stamm, Sylt und Sachsen wachsen zusammen. Wohl deshalb hat sich gerade erst Markus Söder mit Giorgia Meloni zum Tête-à-Tête getroffen, um anschließend festzustellen, dass es große Übereinstimmung mit der Post-Faschistin gebe, die gerade dabei ist, ihren Staat zu einem autoritären, potenziell totalitären Staat umzubauen.

Auch der EVP-Parteivorsitzende Weber und die Unions-Spitzenkandidatin von der Leyen haben sich mit der (Post-)Faschistin bereits angefreundet; letztere stellte unlängst sogar klar, dass sie kein Problem damit habe, sich notfalls auch mithilfe der Parteien von Meloni, Le Pen, Wilders und den anderen Mitgliedern der europafeindlichen, rechtsextremen Fraktion zur Kommissionspräsidentin wählen lassen, die sich gerade symbolisch und konsequenzlos von der zu sehr SS-begeisterten AfD getrennt hat: Da stockte selbst manchem Teilnehmer der Spitzenkandidatenrunde der Atem – obwohl die die von der Leyen doch eigentlich kennen müssten.

„Die Nähe zur AfD ist selbst für Frankreichs Nazis geschäftsschädigend und gefährdet die erwünschte Wahl zur französischen Präsidentin.“

Ob die angesprochene Trennung der europäischen Rechtsextremen von der AfD auch nach der Wahl im neuen Parlament noch Bestand haben wird, darf natürlich auch bezweifelt werden – für Le Pen ist es jedenfalls keine europapolitische, keine ideologische Frage, sondern allein eine machtpolitische: Die Nähe zur AfD ist selbst für Frankreichs Nazis geschäftsschädigend und gefährdet die erwünschte Wahl zur französischen Präsidentin.

Ausgerechnet Jens „Wir werden uns viel zu verzeihen haben“ Spahn erinnerte sich angesichts all des Kuschelns der Union mit den europäischen Nazis dann aber doch noch an die Brandmauer. Er erklärte stolz: „die Brandmauer in Europa verläuft rechts von Meloni“. Dabei verschwieg er, was allen klar sein müsste: dass rechts von Meloni nur noch die Wand ist. Aber die ist ja gewissermaßen auch eine Brandmauer, wenn die ganze Bude erst einmal in Flammen steht. Meinung

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