
Studie
Teilhabechancen von Jugendlichen hängen stark vom Wohnort ab
Für junge Menschen herrscht in Deutschland keine Chancengleichheit. Die Ausgangsbedingungen klaffen regional teils weit auseinander, wie eine Studie zeigt – große Unterschiede gibt es auch zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationserfahrung.
Montag, 12.05.2025, 12:47 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 12.05.2025, 13:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Von der Länge des Schulwegs über das Freizeitangebot bis hin zur Busanbindung: Die Voraussetzungen für Kinder und Jugendliche, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, unterscheiden sich innerhalb Deutschlands einer Studie zufolge enorm. „Chancengleichheit? Fehlanzeige!“, heißt es in der Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und der Wüstenrot Stiftung. Die am Montag veröffentlichte Erhebung gibt auch eine Reihe von Empfehlungen, um die Lage zu verbessern.
Für die Studie analysierte das Forschungsteam Daten unter anderem zu Kinderarmut, dem Angebot an Ausbildungsplätzen, der Erreichbarkeit von Schulen und der Breitbandversorgung. Anhand dieser Daten wurden alle 400 Landkreise und kreisfreien Städte in Deutschland miteinander verglichen. Zusätzlich führte das Forschungsteam in bestimmten, als exemplarisch ausgewählten Gegenden Interviews mit Kindern und Jugendlichen sowie Fachkräften aus der Kinder- und Jugendarbeit.
Die Unterschiede zwischen den Regionen seien „teils gravierend“, heißt es in der Studie. Beispielsweise verließen im Kreis Stendal im Norden von Sachsen-Anhalt rund 15 Prozent der Jugendlichen die Schule ohne Schulabschluss. In München liege die Quote bei nur drei Prozent. „Noch größer sind die Unterschiede bei der Kinderarmut“, heißt es weiter.
Migranten mehrfach benachteiligt
„Auch Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund sind im deutschen Bildungssystem benachteiligt“, schreiben die Studienautoren. Die Bildungsforschung zeige jedoch, dass das weniger der Einwanderungsgeschichte geschuldet sei, als der Tatsache, dass viele Haushalte mit Zuwanderungshintergrund in Deutschland einen niedrigen sozialen Status haben.
Erschwerend kommen bei Jugendlichen, die nicht deutsch gelesen werden, Diskriminierungserfahrungen hinzu. „Ein Wuppertaler Sozialarbeiter erzählt, dass viele Betroffene schlechte Erfahrungen mit der Polizei machten, vor allem an öffentlichen Plätzen“, heißt es weiter. Ein Jugendlicher mit Migrationsgeschichte im Wuppertaler Stadtteil Heckinghausen wird wie folgt zitiert: „Mein blauäugiger Freund Leon wird auf der Straße nicht kontrolliert.“. Jugendliche erzählten, dass sie von der Polizei anders behandelt werden würden als Gleichaltrige mit deutschen Eltern.
Sicherheit ist auch eine Frage des Migrationshintergrundes
Der aktuelle Rechtsruck verstärke diesen Effekt weiter. Einige Befragte beschrieben ein „gruseliges politisches Klima“. In der östlichen Wetterau etwa traue sich eine Schülerin nicht zur Volleyball-AG, weil ihr die Teilnahme „zu gefährlich [sei], vor allem wegen der Rassisten“. Rassismus komme nicht nur von Erwachsenen, sondern auch Jugendliche verbreiten rechtsextremes Gedankengut. Die Experten folgern: „Sicherheit ist auch eine Frage des Geschlechts und des gelesenen Migrationshintergrundes.“
Die Gespräche mit den jungen Menschen ergaben der Studie zufolge, dass sich deren Interessen überall stark ähneln, egal ob auf dem Land oder in der Stadt. „Sie wollen Freunde treffen, gemeinsam Sport treiben, Musik machen oder digitale Medien nutzen.“ Dabei wünschten sich die Kinder und Jugendlichen nicht nur „fertige Angebote“, sondern auch „Räume, die sie selbst gestalten können“.
Experte: Jugendlichen mehr Mitspracherechte geben
Die Autorinnen und Autoren der Studie raten deshalb unter anderem dazu, jungen Menschen mehr Mitspracherechte zu geben. Entscheidungsträgerinnen und -träger „sollten sich trauen, Kinder und Jugendliche zu fragen und ihre Interessen ernst zu nehmen“, sagte Mitautor Jasper Mönning vom Berlin-Institut dem Evangelischen Pressedienst. Diese machten „einen immer kleineren Anteil der Bevölkerung aus – aber das bedeutet nicht, dass ihre Stimme leiser werden sollte, eher im Gegenteil“.
Politikwissenschaftler Mönning verwies auf Erfahrungen aus der Recherche für die Studie, als die Autorinnen und Autoren Gespräche mit Kindern und Jugendlichen führten. „Das war häufig ein Aha-Erlebnis, weil wir gemerkt haben, Kinder und Jugendliche haben Lust, ihre Meinung kundzutun, und können das auch gut. Sie haben konkrete Ideen und möchten sich gerne einbringen.“
Mehr Mobilität, weniger Elterntaxi
Johanna Okroi von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sagte bei der Präsentation der Studie in Berlin, in den Gesprächen hätten die jungen Menschen oft auch mehr Selbstbestimmung eingefordert. Dazu gehörten etwa guter öffentlicher Nahverkehr und sichere Radwege, um nicht aufs „Elterntaxi“ angewiesen zu sein. Auch mehr frei nutzbare Räume, etwa offene Jugendtreffs, würden gewünscht.
Zu den weiteren Empfehlungen in der Studie gehören außerdem gezielte Investitionen in Bildungseinrichtungen in benachteiligten Regionen. Um den Interessen junger Menschen mehr Gewicht zu verleihen, sollten zudem die UN-Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. (dpa/mig) Aktuell Gesellschaft
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