Grenzkontrolle, Deutschland, Grenze, Kontrolle, Polizei, Polizeikontrolle
Grenzkontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze © Michaela Stache/AFP

Historischer Bruch

Erstmals werden an deutschen Grenzen Asylsuchende zurückgewiesen

Seit 2015 wird darüber gestritten, ob Asylsuchende an der Grenze abgewiesen werden können. Der neue Bundesinnenminister hat nun entschieden. Die Kritik ist scharf – sie kommt auch aus den Nachbarländern. Pro Asyl beobachtet massives Racial Profiling an den Grenzen.

Donnerstag, 08.05.2025, 16:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.05.2025, 18:55 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Nach der Anweisung des neuen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU) zu schärferen Regeln an den deutschen Grenzen laufen in den ersten Bundesländern verstärkte Kontrollen an. In Bayern etwa kontrolliert die Bundespolizei ab sofort die Grenzen zu Österreich und Tschechien stärker. Das wird nach Angaben eines Sprechers für Reisende wahrnehmbar sein. Auch an den sächsischen, niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Außengrenzen sind laut Bundespolizei zusätzliche Beamte im Einsatz. In Rheinland-Pfalz und im Saarland sollen die Kontrollen in Kürze anlaufen. Aus der Opposition und dem Ausland kam Kritik an den strengeren Regeln.

Das Präsidium der Bundespolizei erklärte, „Maßnahmen zur temporären Kräfteintensivierung“ würden stetig geprüft und umgesetzt. Zu konkreten Einsatzstärken werde man sich nicht äußern.

___STEADY_PAYWALL___

Dobrindt hatte angekündigt, schärfer kontrollieren zu lassen. Wenige Stunden nach seinem Amtsantritt kündigte er an, künftig sollten auch Asylsuchende an der Grenze zurückgewiesen werden können – ein historischer Bruch. Dies soll allerdings nicht für Schwangere, Kinder und andere Angehörige vulnerabler Gruppen gelten. Er kündigte zudem eine Initiative zur Verschärfung der europäischen Asylpolitik an. Das im vergangenen Jahr beschlossene Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) sei „der richtige Weg, aber braucht zu lange“. Man wolle es „nachschärfen“, sagte Dobrindt, ohne dabei konkreter zu werden.

Im vergangenen Jahr stellten 229.751 Menschen erstmals in Deutschland einen Asylantrag. Das waren rund 100.000 Asyl-Erstanträge weniger als im Jahr zuvor. Das erkannte auch Dobrindt an. Er halte sie „dennoch für zu hoch“, auch weil sich die Gesuche auf die der Vorjahre hinzusummierten.

Grünen-Chefin: Beamte fehlen dann an Kriminalitätsschwerpunkten

Grünen-Chefin Franziska Brantner kritisierte eine fehlende Zusammenarbeit mit den Nachbarländern. „In Zeiten, in denen wir mehr Europa brauchen, wir erinnern gerade diese Woche daran, aus welchen kriegerischen Zuständen wir in Europa kommen und wir zum Glück Frieden haben, ist es nicht akzeptabel, nicht besonders gut, wenn man nicht mit den Partnern gemeinsam handelt“, sagte sie im RTL/ntv-„Frühstart“. Sie bemängelte zudem, dass die Beamten anderswo abgezogen würden. „Das sind die Hauptbahnhöfe, das ist der Flughafen, das sind Kriminalitätsschwerpunkte in diesem Land. Dort werden die fehlen. Also ein Weniger an Sicherheit an anderen Orten für ein Signal an der Grenze.“

Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic hält die Maßnahmen nicht für rechtskonform. „Pauschale Zurückweisungen von Asylgesuchen an den Grenzen sind schlicht europarechtswidrig und stellen die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarländern grundsätzlich in Frage“, sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Schweiz: Systematische Zurückweisungen verstoßen gegen Recht

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war vereinbart worden: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Dobrindt sagte nun: „Wir halten unsere Nachbarn in enger Abstimmung.“

Den ersten Reaktionen aus Polen und der Schweiz zufolge handelte Dobrindt nicht in Übereinkunft. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht“, schrieb das Schweizer Justizministerium auf der Plattform X. Die Schweizer Behörden „prüfen gegebenenfalls Maßnahmen“. Auch das Innenministerium in Wien pochte auf die Einhaltung des geltenden EU-Rechts. Generell begrüße Österreich aber die Bestrebungen Deutschlands im Kampf gegen die Schleppermafia und illegale Migration, hieß es.

Polens Regierungschef Donald Tusk hatte die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) scharf kritisiert. „Deutschland wird in sein Gebiet lassen, wen es will. Polen wird nur in sein Gebiet lassen, wen es akzeptiert“, sagte Tusk am Mittwoch in Warschau. Es solle weder der Eindruck entstehen noch die Fakten geschaffen werden, dass irgendwer einschließlich Deutschlands bestimmte Gruppen von Migranten nach Polen schicke.

Merz verteidigt schärferen Kurs in Migrationspolitik

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) indes hat den verschärften migrationspolitischen Kurs Deutschlands mit mehr Zurückweisungen an den Grenzen verteidigt. Die Kontrollen an den Binnengrenzen könnten nur ein Übergang sein, sagte Merz dem Sender „Welt TV“. „Aber sie sind halt notwendig, solange wir eine so hohe irreguläre Migration in der Europäischen Union haben.“ Deutschland sei ein Land in der Mitte Europas, das davon mit am meisten betroffen sei. Das habe er auch den Gesprächspartnern in Polen und Frankreich gesagt, betonte Merz.

Neu sind die Grenzkontrollen nicht. Die ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die 2015 begonnenen Kontrollen an der Landgrenze zu Österreich mehrfach verlängert. Sie hatte solche temporären Kontrollen Mitte Oktober 2023 auch für die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet und bei der EU-Kommission notifiziert. Im vergangenen September entschied sie dann, dass es feste Kontrollen – die eine Voraussetzung für Zurückweisungen sind – auch an den restlichen Grenzabschnitten geben solle.

Die rechtliche Lage bei Zurückweisungen an der Grenze ist derzeit nicht eindeutig. Einige Experten lesen geltendes EU-Recht so, dass Zurückweisungen grundsätzlich nicht erlaubt sind. Dies hängt auch damit zusammen, dass Grenzkontrollen praktisch nicht exakt auf der Grenzlinie erfolgen, sondern oft etwas dahinter.

Söder spricht von „Asylwende“

Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Alexander Throm, verteidigte die Maßnahmen hingegen. Die Kontrollen würden schrittweise hochgefahren, es werde kein Nachbarstaat überfordert, sagte er im ARD-“Morgenmagazin“. Die Abstimmungsgespräche mit den Nachbarländern seien „am Laufen“, sagte Throm. „Es ist ein erster Schritt in der Migrationswende, ein wichtiger Schritt, aber mit Sicherheit nicht der alleinige, den wir jetzt angehen werden.“

CSU-Chef Markus Söder bezeichnete die neuen Regeln als Beginn einer „Asylwende“. „Seit gestern ist die Asylwende in Deutschland eingeleitet worden. Jetzt gilt wieder der alte Zustand, wie vor 2015“, sagte Bayerns Ministerpräsident in einem auf X geteilten Video.

Pro Asyl kritisiert Racial Profiling

Scharfe Kritik ernteten die Maßnahmen von der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl: Deren Mitarbeiter hatten sich am 7. Mai vor Ort an der deutsch-polnischen Grenze ein Bild der Lage gemacht. Dabei beobachteten sie nach eigenen Angaben gezielte Personenkontrollen auf Grundlage äußerlicher Merkmale – sogenanntes Racial Profiling – sowie Fälle, in denen Asylsuchenden trotz eines geäußerten Schutzgesuchs die Einreise verweigert worden sei. Bei Racial Profiling handelt es sich um eine polizeiliche Praxis, bei der Menschen allein aufgrund äußerlicher Merkmale wie Hautfarbe, Sprache oder Kleidung kontrolliert werden – unabhängig von einem konkreten Verdacht. Mehreren Gerichtsentscheidungen zufolge ist diese Praxis rechtswidrig.

„Alle Menschen, die aus Sicht der Bundespolizei nicht in das Bild eines Deutschen oder einer Europäerin passen, wurden kontrolliert, andere nicht“, erklärte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher der Organisation. Einige Betroffene berichteten demnach, sie hätten versucht, einen Asylantrag zu stellen, seien jedoch abgewiesen und auf die polnische Seite zurückgeschickt worden – ohne dass ihre Anträge registriert worden seien. Dort gebe es kaum Unterbringungsmöglichkeiten, viele müssten im Freien übernachten.

Pro Asyl sprach von rechtswidrigen Zurückweisungen und warf der Bundesregierung vor, internationales und europäisches Recht zu verletzen. Die Organisation forderte die sofortige Einstellung dieser Praxis. Das europäische Recht sehe vor, dass Asylanträge unabhängig vom Einreiseweg geprüft werden müssen – auch an der Grenze. Eine ministerielle Anweisung könne daran nichts ändern. (dpa/epd/mig) Leitartikel Panorama

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)