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Schweigeminute für Aboubakar Cissé im französischen Parlament © Magali Cohen / Hans Lucas / Hans Lucas via AFP

„Erschütternder Ignoranz“

Deutschlands Schweigen zum Mord in französischer Moschee

Ein junger Muslim wird in einer französischen Moschee ermordet, doch die Republik bleibt stumm. Was sagt das über uns – und wer hört den Hilfeschrei derer, die es betrifft?

Von Mittwoch, 30.04.2025, 19:37 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.04.2025, 19:39 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Am 25. April 2025 wurde der 22-jährige Aboubakar Cissé in der Khadidja-Moschee im südfranzösischen La Grand-Combe brutal ermordet. Der Täter stach dutzende Male auf ihn ein, filmte die Tat und äußerte dabei islamfeindliche Beleidigungen. In Frankreich löste dieses Verbrechen breite Empörung aus: Präsident Emmanuel Macron und Premierminister François Bayrou verurteilten die Tat öffentlich, über 1.000 Menschen nahmen an einem Trauermarsch teil, und es wurden verstärkte Sicherheitsmaßnahmen für Moscheen angekündigt. Minister und Abgeordnete der französischen Nationalversammlung hielten im Parlament eine Schweigeminute für Aboubakar Cissé ab.

In Deutschland hingegen blieb die Reaktion auffallend verhalten. Weder die Bundesregierung noch führende Parteien äußerten sich öffentlich zu dem Vorfall. Auch in den großen Medienhäusern fand der Mord kaum Beachtung. Selbst die größte deutsche Nachrichtenagentur brachte zwei kurze Meldungen über die Tat – einmal mit Fokus auf den flüchtigen Täter, einmal dass er sich gestellt hat. Lediglich muslimische Organisationen zeigten sich entsetzt und kritisierten die politische und mediale Zurückhaltung.

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Dieser Kontrast in der Reaktion wirft Fragen auf: Warum bleibt ein solch offensichtliches Hassverbrechen gegen einen Muslim in einem europäischen Nachbarland in Deutschland nahezu unbeachtet? Die mangelnde Aufmerksamkeit könnte als Indikator für eine gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber antimuslimischem Rassismus gewertet werden.

Ein Vergleich mit früheren Fällen zeigt, dass islamfeindliche Gewalt in Deutschland ebenfalls nicht immer die notwendige Aufmerksamkeit erhält. Straftaten, die von vermeintlichen Muslimen verübt wurden, hingegen haben vergleichsweise deutlich mehr Empörung hervorgerufen. Daraus ließe sich schließen, dass Straftaten gegen Muslime weniger Reaktionen hervorrufen als Straftaten von muslimisch gelesenen Menschen.

„Die aktuelle Zurückhaltung in Deutschland steht im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen.“

Die aktuelle Zurückhaltung in Deutschland steht jedenfalls im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen, jeder Form von Rassismus entschieden entgegenzutreten. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) spricht in seiner Stellungnahme von einer „beschämenden Gleichgültigkeit“ und „erschütternder Ignoranz“, die sich in der ausgebliebenen politischen und medialen Reaktion ausdrücke. „Wenn Gläubige selbst in ihren Gotteshäusern nicht mehr sicher sind, wird eine rote Linie überschritten, die uns alle angehen muss – unabhängig von Religion oder Herkunft“, heißt es.

„Es ist eine der zentralen Lehren unserer Geschichte und zugleich ein gesellschaftliches Versprechen, jeder Form von Rassismus entschieden entgegenzutreten.“

Das ist ein mahnender Hilfeschrei einer muslimischen Religionsgemeinschaft in Deutschland, die sich in ihrem Sicherheitsbedürfnis und ihrer gesellschaftlichen Zugehörigkeit nicht ernst genommen fühlt. Der ZMD warnt: Schweigen normalisiert diese Gewalt.

Dabei ist es eine der zentralen Lehren unserer Geschichte und zugleich ein gesellschaftliches Versprechen, jeder Form von Rassismus entschieden entgegenzutreten. Dieses Versprechen verliert an Glaubwürdigkeit, wenn antimuslimischer Rassismus nicht mit der gleichen Entschlossenheit verurteilt wird wie andere Formen gruppenbezogenen Rassismus. Wenn solche Warnungen ungehört verhallen, verlieren sowohl Lehre als auch Versprechen ihre Substanz. (mig) Meinung

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