Israel im Libanon
„Unfassbare Angst in den Augen der Menschen“
Die Offensive Israels in Nahost hat auch Libanon getroffen. Immer wieder nachts kommen die massiven Angriffe. Gewaltige Erschütterungen erfassen ganz Beirut. Eine traumatisierte Bevölkerung versucht zu überleben.
Von Amira Rajab Montag, 07.10.2024, 15:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.10.2024, 15:52 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Bevor ich schlafen gehe, stelle ich mir mehrere Wecker. Für jede Stunde einen. Ich habe Angst einen der Evakuierungsaufrufe zu verpassen“, sagt der 32-jährige Mohammed. Er ist aus Tyros im Süden des Libanon vor den israelischen Angriffen ins gut 70 Kilometer nördlich gelegene Beirut geflohen und bei Freunden untergekommen.
Seit Tagen greift das israelische Militär massiv im Libanon und insbesondere in den Vororten der Hauptstadt Beirut an. Immer wieder ruft ein Sprecher des israelischen Militärs die Menschen zur Flucht auf – oft mitten in der Nacht.
Viel Zeit, um ihr wichtigstes Hab und Gut einzupacken, bleibt ihnen dann nicht. Nur kurz nach Veröffentlichung der Fluchtaufrufe, mit denen die anvisierten Gegenden auf einer Karte markiert werden, greift das israelische Militär an. Oft bleibt den Menschen eine halbe Stunde, um sich in Sicherheit zu bringen. Dann hallen die gewaltigen Explosionsgeräusche der einschlagenden Bomben durch die ganze Stadt.
Eine Stadt gelähmt von Angst
Schlafen kann Mohammed seit Tagen nicht mehr. Selbst wenn die Angriffe nachließen, schrecke er bei jedem Geräusch auf. „Sobald sich ein Auto laut bewegt und ein Geräusch macht, bin ich wieder wach, weil ich Angst habe, dass es einen neuen Angriff gibt.“
Die sonst so lebendige Stadt am Mittelmeer sei von Angst gelähmt, schrieb die UN-Sonderkoordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert, auf der Plattform X. „Das Leben in Beirut wird vom unaufhörlichen Summen der Drohnen bestimmt.“
Die israelische Regierung spricht von einem Krieg mit der proiranischen Hisbollah – nicht gegen den Libanon selbst. Nach eigenen Angaben attackiert das Militär immer wieder „terroristische Infrastruktur“ der Schiitenmiliz, die sich in dicht besiedelten Wohngebieten befinden. Das gewaltige Ausmaß der Zerstörung zeigt sich vor allem in Beiruts südlichen Vororten, die als Hochburg der Hisbollah gelten. Anders als in Israel gibt es für die Bevölkerung so gut wie keine Bunker im Falle von Luftangriffen.
Augenzeugen berichten von massiven Zerstörungen. Auf Videos sind immense Schutthaufen und Verwüstung zu sehen. Straßen sind unter Trümmern begraben. Zum Teil fressen sich Krater infolge der Einschläge meterweit in den Boden. Die erinnern an die Zerstörungen im Gazastreifen, wo Israel nach den Massakern und Entführungen vom 7. Oktober 2023 durch gegen die Hamas vorgeht.
„Gibt keinen sicheren Ort mehr“
Die Studentin Rayan kommt aus Haret Hreik im Süden Beiruts, einem schwer getroffen Gebiet. „Ich glaube, unser Haus steht noch“, sagt sie. Sicher sei sie sich nicht. Von Nachbarn habe sie gehört, dass die angrenzenden Häuser bereits zerstört worden seien. Nach dem dem Beginn der massiven Angriffe floh sie zu ihrer Schwester im Norden der Hauptstadt. „Aber ich denke, mittlerweile gibt es keinen sicheren Ort mehr.“
Seit Ausbruch der Kämpfe zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär vor einem Jahr sind im Libanon nach offiziellen Angaben fast 2.000 Menschen getötet worden. Die Hisbollah hatte aus Solidarität mit der ihr verbündeten Hamas angefangen, den Norden Israels zu attackieren und feuert seitdem immer wieder Raketen ab. In der Folge flüchteten Israelis aus dem Grenzgebiet zum Libanon. Mitte September erklärte die Regierung ihre Rückkehr zu einem weiteren Kriegsziel und greift seit nun fast zwei Wochen täglich massiv im Libanon an. Zahlreiche hochrangige Kommandeure und der Generalsekretär der Hisbollah, Hassan Nasrallah, wurden getötet – aber auch immer wieder Zivilisten.
„Wir können hier nicht weg“
„Wir können hier nicht weg“, sagt Mona aus Beirut. Nur die libanesische Fluggesellschaft Middle East Airlines fliege noch den einzigen internationalen Flughafen im Libanon an. „Aber man kann keine Plätze mehr bekommen“, sagt sie. Nur wenige Staaten erlauben Libanesen zudem eine visumsfreie Einreise.
Nach Regierungsangaben wurden im Libanon mittlerweile rund eine Million Menschen vertrieben. Laut Weltgesundheitsorganisation kamen davon rund 350.000 Menschen in Notunterkünften unter. Andere fanden bei Verwandten Unterschlupf. Viele aber haben keinen Zufluchtsort. Sie schlafen auf den Straßen Beiruts und bauten sich notdürftige Unterkünfte. Viele schlafen und leben in Autos. Mit Flaschen holen sie Wasser aus dem Meer, um sich waschen zu können.
Selbst in das vom Bürgerkrieg gebeutelte Nachbarland Syrien flohen nach UN-Angaben bisher mindestens 160.000 Menschen. Libanons Regierung spricht von mehr als 200.000. Doch Israel zufolge soll die Hisbollah über Syrien Waffen in den Libanon schmuggeln. Und so scheint auch dieser Fluchtweg zunehmend gefährlich, seit das israelische Militär nahe eines von Vertriebenen genutzten Grenzübergangs nach Syrien angegriffen hat. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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