Unheilige Allianzen
Experte: Burschenschaften akademisches Reservoir der AfD
Vom Erfolg der AfD bei den jüngsten Landtagswahlen können auch Burschenschafter profitieren. Sie haben gute Chancen, Mitarbeiter der Landtagsfraktionen zu werden. Parteichefin Weidel macht das vor.
Von Julia Giertz Donnerstag, 26.09.2024, 12:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 27.09.2024, 16:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Mit dem Aufstieg der AfD erhalten Burschenschaften nach Angaben der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus eine wichtige Rolle als Nachwuchsreservoir der Partei. „Der hohe Zuspruch zur AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg hat mehrere Dutzend neue Stellen in den Parlamenten zur Folge, bei denen Mitglieder von Burschenschaften bevorzugt ausgewählt werden“, erläuterte der Rechtsextremismusexperte der Karlsruher Institution, Anton Mägerle.
Die Vernetzung von Partei und Studentenverbindungen zeigt sich auch in der Personalwahl an der Parteispitze: Die AfD-Bundesvorsitzende und Fraktionschefin im Bundestag, Alice Weidel, beschäftigt nach Angaben ihres Sprechers Daniel Tapp drei Mitarbeiter mit Burschenschaftshintergrund, darunter ihn selbst. Er fügt hinzu: „Sowohl bei Abgeordneten des Bundestages wie auch der Landtage sind Burschenschafter beschäftigt.“ Sie seien grundsätzlich politisch interessiert, sozialisiert und als Akademiker gut ausgebildet.
Prozess gegen Burschenschafter
In Baden-Württemberg wirft ein Prozess ein Licht auf die Verbindungen zwischen den Männerbünden und der AfD, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz nach einem jüngst ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden darf. Nach einem antisemitischen Vorfall bei der Burschenschaft Normannia im Jahr 2020 hat das Landgericht Heidelberg die Verurteilung zweier junger Männer durch das Amtsgericht bestätigt und deren Berufungen dagegen verworfen. Einer der beiden, ein 25-Jähriger, war früherer Mitarbeiter eines AfD-Landtagsabgeordneten in Nordrhein-Westfalen. Die beiden waren in erster Instanz wegen gefährlicher Körperverletzung und tätlicher Beleidigung zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden.
Die heute 24 und 25 Jahre alten Männer hatten bei einer Feier in den Räumen der Normannia laut Anklage einen Gast attackiert, der vor den vermeintlichen Kameraden seine jüdische Herkunft erwähnte – und dafür antisemitisch beschimpft und mit Gürteln geschlagen wurde.
Verbindungen zwischen AfD und Burschenschaften
Als weitere Beispiele für personelle Überlappungen nennt Mägerle einen ehemaligen parlamentarischen Berater der baden-württembergischen AfD-Landtagsfraktion sowie einen zeitweisen Mitarbeiter der baden-württembergischen Abgeordneten Christina Baum und Heiner Merz. Beide seien in Burschenschaften gewesen.
Aus Sicht von AfD-Sprecher Tapp (Trierer Burschenschaft Germania und Wiener akademische Burschenschaft Gothia) ist es im parlamentarischen Betrieb durchaus attraktiv, Burschenschafter zu beschäftigen. „Durch das basisdemokratische Conventsprinzip in ihren Bünden bringen sie ein großes Verständnis für gelebte und lebendige Demokratie mit.“ Die inhaltliche Nähe der Burschenschafter zu freiheitlichem Gedankengut und eine traditionell liberale Staatsauffassung machten sie für die AfD bei der Personalrekrutierung interessant.
Unheilige Allianzen befürchtet
Der Grünen-Abgeordnete Oliver Hildenbrand warnt hingegen vor „unheiligen Allianzen aus Burschenschaftern, Identitären und Alternativen“. Das sei das Fazit einer kleinen Anfrage seiner Fraktion an die Landesregierung. Er fügt hinzu: „Wir dürfen die Scharnierfunktion brauner Burschenschaften für die extreme Rechte keinesfalls unterschätzen.“ Die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg müssten die Entwicklung sehr genau im Auge behalten.
Mägerle, der mit seinem Archiv den Grundstein der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus des Generallandesarchivs in Karlsruhe gelegt hat, fordert den Verfassungsschutz auf, seine Informationen öffentlich zu machen, wenn eine Einflussnahme auf das Parlament durch als rechtsextrem eingestufte Burschenschafter droht. Die Verfassungsschützer haben im Südwesten derzeit nach eigenen Angaben keine Burschenschaft unter Beobachtung.
Allerdings haben sie die sogenannte Burschenschaft Arminia Zürich zu Karlsruhe im Visier. Diese sei entgegen ihrer Selbstbezeichnung keine Burschenschaft im klassischen Sinne, sondern eine rechtsextremistische Kleinstgruppierung, die burschenschaftliches Brauchtum „nachahme“. Zu den Traditionen gehört unter anderem die Mensur, ein Fechtkampf von Mitgliedern zweier Verbindungen, der mit Verletzungen im Gesicht – den sogenannten Schmissen – enden kann.
Sonderfall Baden-Württemberg
Nach der Auskunft von Mägerle ist Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländern bezüglich der Mitarbeit von Burschenschaften im Landtag zumindest in dieser Legislaturperiode ein Sonderfall. In mehreren anderen Bundesländern gebe es Burschenschaften, die auf dem Prüfstand des Verfassungsschutzes stünden, und teils Verbindungen zu den dortigen Landtagen hätten.
Abspaltung moderater Burschenschafter
Eine differenzierte Haltung zu rechten Strömungen in der Deutschen Burschenschaft – ein Verband mit etwa 4.500 Mitgliedern in fast 66 Burschenschaften – hat die Allgemeine Deutsche Burschenschaft. „Unsere rund 4.000 Mitglieder fühlen sich weit überwiegend der politischen Mitte zugehörig“, sagt Sprecher Michael Schmidt. Zur Allgemeinen Deutschen Burschenschaft gehören derzeit 27 Burschenschaften aus 18 deutschen Hochschulorten; die meisten davon hatten 2016 wegen des „völkischen Kurses und extremistischen Ansichten“ der Deutschen Burschenschaft einen neuen Verband gegründet. Schmidt: „Wer die vor mehr als 200 Jahren beim Wartburgfest errungenen Werte Gleichheit, Freiheit, Sicherheit von Person und Eigentum infrage stellt, hat keinen Platz bei uns.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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