„Zu lahmarschig“
Arbeitsminister wollen Gesetze ändern für schnelle Job-Integration
In Deutschland klafft eine riesige Fachkräfte-Lücke. Gleichzeitig müssen Hunderttausende Flüchtlinge Warteschleifen drehen, bis sie arbeiten dürfen. „Zu lahmarschig“, urteilt der Bundesarbeitsminister. Er appellierte an die Arbeitgeber. Flüchtlingsrat warnt vor negativen Folgen für Geflüchtete.
Mittwoch, 01.05.2024, 14:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.05.2024, 16:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und sein nordrhein-westfälischer Amtskollege Karl-Josef Laumann (CDU) haben sich für Gesetzesänderungen ausgesprochen, um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu erleichtern. „Die Berufsanerkennung ist zu lahmarschig in Deutschland“, sagte Heil am Montag bei einer Kita-Besichtigung in Neuss. Dass rund 700 verschiedene Dienststellen in Deutschland damit beschäftigt seien, sei „abschreckend“.
Dies werde im Juni Thema bei der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein. „Wir müssen bürokratische Hürden einreißen“, forderte Heil. „Es gibt auch gut ausgebildete Menschen in anderen Ländern.“
Arbeitsminister ziehen an einem Strang in die gleiche Richtung
Angesichts des Fachkräftemangels sei es systemrelevant für Deutschland, Menschen zu integrieren und schneller in Arbeit zu bekommen, betonte Laumann. „Wir müssen weg von der reinen Begutachtung formaler Qualifikationen.“ Auch die Erwartungen an das Sprach-Niveau dürften nicht zu hoch gehängt werden. Darüber gebe es zwischen den Arbeitsministern von Bund und Ländern parteiübergreifend keinen Streit. „Wir ziehen an einem Strang in die gleiche Richtung.“
Heil ergänzte, wer den Deutsch-Sprachkurs durchlaufen habe, sollte sofort in Arbeit gebracht werden – Aufstiegschancen inklusive – statt die Menschen zuerst „durch mehr Kurse zu jagen“. Schließlich könnten weitere Sprach-Qualifikationen auch berufsbegleitend erworben werden.
Beschäftigung von Ukrainern steigt sprunghaft an
Aktuell sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 215.400 ukrainische Staatsangehörige bundesweit in Beschäftigung, 171.500 von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, weitere rund 43.900 sind geringfügig beschäftigt. Im Vorjahresvergleich ist die Beschäftigung von Ukrainern damit um fast 36 Prozent gestiegen – bei den Asylherkunftsländern lag das Plus bei 10,2 Prozent. Die meisten Asylanträge kommen aus Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.
Allein in Nordrhein-Westfalen sind den Angaben zufolge aktuell fast 40.000 ukrainische Staatsangehörige beschäftigt – gut zwei Drittel von ihnen sozialversicherungspflichtig. In NRW liegt die Zuwachsrate bei der Beschäftigung sogar bei fast 39 Prozent – bei den Asylherkunftsländern liegt das Plus bei knapp 12 Prozent.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksii Makeiev, bedankte sich für die breite Unterstützung auf allen Ebenen. Mehr als eine Million Ukrainer hätten bereits Schutz in Deutschland gefunden. Viele wüssten nicht, dass gut die Hälfte von ihnen einen Hochschulabschluss habe, betonte er.
Appell an Arbeitgeber: freie Stellen melden!
Heil appellierte an die Arbeitgeber, freie Stellen bei der Bundesagentur und den Jobcentern zu melden: „Da ist noch Luft nach oben.“ Immerhin hätten rund 200.000 Ukrainer bereits einen Sprachkurs hinter sich. In den Jobcentern und Agenturen werde alles getan, um Geflüchtete, die grundständig Deutsch gelernt hätten, pragmatisch in Arbeit zu bringen, versicherte Daniel Terzenbach vom Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Dies sei angesichts konjunktureller Eintrübungen ein wichtiger Baustein gegen den Fachkräftemangel.
Ukrainerin Alona glücklich in Neusser Kita
Die Minister und der ukrainische Botschafter verschafften sich in einer Kita in Neuss ein persönliches Bild, wie Integration in den Arbeitsmarkt pragmatisch gelingen kann. Dort stand Alona Kameniuk Rede und Antwort, die im März 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet war und nun in der katholischen Einrichtung zunächst als Inklusionsassistentin arbeitet. Der Kontakt kam über deutsche Freunde zustande.
Auch in der Heimat sei sie bereits zwei Jahre in einer Kita tätig gewesen – allerdings ohne formelle Ausbildung als Erzieherin, berichtete die 29-Jährige. Im Sommer will sie nun in Neuss eine sogenannte praxisintegrierte Ausbildung starten. Sowohl vom Arbeitsvermittler als auch von Kita-Leiterin Katja Peters gab es nur Lob und Anerkennung für die „Überfliegerin“.
„Wir verlieren sehr viel Zeit“
Viele andere Beispiele zeigten dagegen: „Wir verlieren sehr viel Zeit“, urteilte Laumann über die langwierigen Prüfverfahren. „Die Menschen denken dann: Die wollen mich doch gar nicht.“ Deutschland müsse viel mehr Willkommenskultur ausstrahlen.
Schließlich wird das Beschäftigungswachstum hier laut Statistik der Bundesagentur zum großen Teil von Ausländern getragen – die Zahl der Beschäftigten mit deutschem Pass sinkt dagegen. Im Juni 2023 waren demnach rund 34,7 Millionen Menschen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt – davon knapp 7,3 Millionen in NRW. Im Vergleich zum Vorjahr war das bundesweit ein Plus um 264.000. Allerdings kompensierten dabei die Zuwächse aus dem Europäischen Wirtschaftsraum und der Schweiz (plus 84.000) sowie aus anderen Staaten (plus 257.000) das Minus von 77.000 Deutschen.
Flüchtlingsrat warnt vor negativen Folgen
Der sächsische Flüchtlingsrat indes hat vor negativen Folgen des „Job-Turbo“ für Geflüchtete gewarnt. So bleibe weniger Zeit für Deutschkurse und individuelle Qualifizierung, kritisierte der Flüchtlingsrat am Mittwoch. „Es ist zu befürchten, dass der Job-Turbo die gegebene Prekarisierung verstärken wird.“ Nach Auffassung des Vereins werden die Betroffenen verstärkt in Helfertätigkeiten vermittelt. Mit besseren Deutschkenntnissen und höheren Bildungsqualifikationen könnten sich dagegen anspruchsvollere und besser bezahlte Tätigkeiten für die Betroffenen ergeben. (dpa/mig)
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