Sinnfreie Zone Mittelmeer
17-Jähriger stirbt nach Rettung wegen unterlassener Hilfe
Trotz mehrfachem Bitten helfen EU-Küstenstaaten nicht. In der Folge stirbt ein 17-Jähriger an Bord der „Sea-Watch 5“. Zu alledem setzt Italien das Rettungsschiff auch noch fest. Politisches Ablenkungsmanöver? Seenotretter beklagt sinnfreie Anweisungen am Mittelmeer.
Sonntag, 10.03.2024, 13:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 10.03.2024, 13:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Hilfsorganisation Sea-Watch beklagt den Tod eines zuvor auf dem Mittelmeer von einem überfüllten Holzboot geretteten 17-Jährigen. Er sei am Mittwochmittag von der Crew der „Sea-Watch 5“ zusammen mit rund 50 weiteren Menschen an Bord des Rettungsschiffes gebracht worden. Die Küstenstaaten Italien, Malta und Tunesien hätten trotz entsprechender Bitten keine Evakuierung eingeleitet, erklärte Sea-Watch. Nun will die Organisation wegen des Todes des Jungen rechtliche Schritte prüfen, wie Sprecher Oliver Kulikowski dem „Evangelischen Pressedienst“ sagte.
Der 17-Jährige und drei weitere Gerettete seien bewusstlos unter Deck des Holzbootes entdeckt worden, wo sie nach Aussagen Überlebender ungefähr zehn Stunden Sauerstoffmangel und Benzindämpfen ausgesetzt gewesen seien. An Bord der „Sea-Watch 5“ habe der 17-Jährige einen Herzstillstand erlitten und sei zunächst wiederbelebt, später jedoch vom medizinischen Personal für tot erklärt worden.
„Wir sind traurig und wütend“, sagte Hugo Grenier, der Einsatzleiter an Bord der „Sea-Watch 5“. Europas Abschottungspolitik habe ein weiteres Opfer gefordert. „Trotz stundenlanger Bitten um eine medizinische Evakuierung ist kein Küstenstaat unserer Aufforderung nachgekommen“, sagte er.
Italien lässt Leiche an Bord
In der Nacht meldete Sea-Watch auf der Plattform X, vormals Twitter, dass die italienische Küstenwache neun Stunden nach der ersten Evakuierungsanfrage vier Überlebende in kritischem Zustand von Bord geholt habe. Sie habe sich aber geweigert, die Leiche des 17-Jährigen mitzunehmen. Zwei der Evakuierten befänden sich in der Krankenstation auf der Insel Lampedusa, sagte Kulikowski. Die anderen beiden erhielten keine stationäre medizinische Behandlung mehr.
Die übrigen 51 Geretteten und die Leiche des Jungen sollte die Besatzung Kulikowski zufolge zunächst einmal zum 1.500 Kilometer entfernten Hafen von Ravenna bringen – trotz mehrfacher Bitten um die Zuweisung eines näheren Hafens. Erst nach politischem und medialem Druck habe das Schiff am Freitag in Pozzalla auf Sizilien anlegen können.
Italien setzt „Sea-Watch 5“ fest
Anschließend sei von italienischen Behörden eine Festsetzung des „Sea-Watch5“ für 20 Tage angeordnet worden, teilte die Betreiberorganisation Sea-Watch am Samstagabend auf X mit. Die Begründung für die Festsetzung wies Sea-Watch zurück. „Die Festsetzung der ‚Sea-Watch 5‘ ist ein rein politisches Manöver“, erklärte Sprecher Oliver Kulikowski. „Italien scheint jedes Mittel recht zu sein, um von seiner unterlassenen Hilfeleistung abzulenken.“ Sea-Watch kündigte an, die Entscheidung gerichtlich anzufechten.
Auch wegen des Todes des 17-Jährigen will Sea-Watch rechtliche Schritte prüfen. „Es ist erfahrungsgemäß aber sehr schwierig, jemanden haftbar zu machen, weil sich alle die Verantwortung gegenseitig zuschieben“, sagte Kulikowski. So habe Malta auf die Bitte um Evakuierung gar nicht erst reagiert, Tunesien habe sich für nicht zuständig erklärt, weil die Rettung in der libyschen Rettungszone stattfand, und Italien habe die Besatzung an Tunesien verwiesen, wegen der geringeren Entfernung zum nordafrikanischen Land. Es sei nicht klar, ob der Junge bei einer sofortigen Reaktion der Behörden überlebt hätte, sagte der Sprecher. „Aber es gab die Möglichkeit, dass er überlebt.“
Sinnfreie Anweisungen
Am Donnerstagmorgen rettete die „Geo Barents“ von „Ärzte ohne Grenzen“ 261 Menschen aus zwei überfüllten Holzbooten, wie die Organisation mitteilte. In der Nacht zum Sonntag wurden 132 Gerettete nach Civitavecchia nördlich von Rom gebracht. Ebenso viele weitere müssten aber auf Anweisung der italienischen Behörden an Bord bleiben und dürften erst in Genua in Norditalien an Land gehen, erklärte „Ärzte ohne Grenzen“, die Betreiberorganisation der „Geo Barents“. Diese sinnfreie Anweisung zwinge unter anderem Kinder unter drei Jahren und zwei Personen, die dringend medizinische Versorgung bräuchten, bei rauem Seegang zum Verbleib an Bord.
Das Mittelmeer zählt zu den gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. 2023 kamen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 3.000 Menschen bei der Überfahrt ums Leben, oder sie werden vermisst. Seit Beginn dieses Jahres sind es den Angaben nach bereits mehr als 250. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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