Vom Glück der kleinen Dinge
Weihnachtsfeier im Flüchtlingsheim
Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie - doch wie geht das, wenn man die Heimat verlassen musste? Gefeiert wird trotzdem, so auch in einer Flüchtlingsunterkunft in München, mit Menschen verschiedenster Religionen. Ein Fest vor allem für die Kinder.
Von Cordula Dieckmann Donnerstag, 21.12.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.12.2023, 14:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Sie haben die Hölle des Krieges in Mariupol in der Ukraine erlebt, Konflikte in Somalia oder die Flucht aus Afghanistan. Nun haben sie Zuflucht gefunden, am östlichen Stadtrand von München. Rund 170 Menschen leben in der städtischen Unterkunft, darunter vor allem Familien. Mit fröhlichen Farbakzenten und dem Garten ringsum wirkt das Gebäude einladend und freundlich. An diesem Nachmittag im Dezember herrscht aber Aufregung. Kinder jeden Alters laufen durch die Gänge und können es kaum abwarten, bis sich die Tür zu einem der Aufenthaltsräume öffnet. Ein Blick durch den Glaseinsatz der Tür verrät, worum es geht: Auf Tischen locken Lebkuchen, Chips und Gummibärchen. Und unter einem geschmückten Weihnachtsbaum liegen haufenweise bunt verpackte Geschenke.
Es ist der Tag der Weihnachtsfeier, auch wenn viele Bewohnerinnen und Bewohner eigentlich keinen Bezug zu diesem christlichen Fest haben. Unterkunftsleiter Andreas Schima findet es dennoch wichtig, gemeinsam zu feiern. „Wir wollen dadurch die verschiedenen Kulturen zusammenbringen und das Wir-Gefühl stärken“, sagt er.
Praktische Dinge unterm Baum
Ein Plan, der aufgeht. Kinder jeden Alters aus verschiedensten Teilen der Welt belagern die Tür, während drinnen Schima mit Kolleginnen und Kollegen letzte Vorbereitungen trifft. Nilab kann ihre Ungeduld kaum zügeln. „Wann geht es los?“, fragt die Achtjährige wieder und wieder und zeigt auf ihr Handgelenk, wo oft eine Armbanduhr sitzt. Mit anderen scherzt sie über die sprichwörtliche Pünktlichkeit der Deutschen, mit der es nun aber nicht weit her ist. Schließlich sollte das Fest bereits vor wenigen Minuten beginnen.
Dann endlich der große Moment: Die Tür öffnet sich. Andächtig betreten die Mädchen und Buben den Raum, während Helferinnen die Geschenke überreichen. Jedes Päckchen trägt einen Namen. Die Kinder konnten vorab Wünsche äußern, die von Sponsoren erfüllt wurden. Nun warten sie geduldig, bis sie an der Reihe sind. Bescheidene, oft praktische Dinge liegen unterm Baum. Malsachen, ein Rucksack, Puzzles, ein Feen-Kostüm oder Winterstiefel. Bei Nilab ist es eine Winterjacke. Glücklich hält das afghanische Mädchen ihr weiches Paket im Arm. „Die Jacke kann ich morgen in die Schule anziehen“, freut sie sich. Ihre Freundin ist glücklich mit einem Mikrofon, mit dem sie singen möchte, allerdings nicht zu oft, um ihre Eltern in der Enge ihres Zimmers nicht zu stören. „Einen Tag singe ich, zwei Tage nicht“, erklärt sie ihren Plan.
Familienbesuch – wenn‘s geht
An Weihnachten selbst wird es ruhiger im Haus. Viele nutzten die Feiertage, um Verwandte und Freunde zu besuchen, die andernorts untergekommen sind, in Deutschland oder auch in Nachbarländern wie Frankreich, erklärt Schima. „Sie wollen sich die deutsche Tradition aneignen, zu Weihnachten die Familie zu besuchen.“ Da bieten sich die freien Tage an, schließlich gehen nach Angaben Schimas rund 70 Prozent der Männer und Frauen einer Arbeit nach.
Für manche sind die nahenden Feiertage schwierig, etwa wenn der Vater im Krieg kämpft oder Angehörige weit weg sind. Diese Sorgen kennt man auch bei der Rummelsberger Diakonie, einem der großen diakonischen Träger in Bayern, der auch ein Psychosoziales Zentrum für Flüchtlinge in Nürnberg betreibt. „Weihnachten ist ein Fest der Freude und des Miteinanders – und ein Fest, an dem manches Herz schwer wird“, sagt Pressesprecher Georg Borngässer. „Wir versuchen so zu begleiten, dass sich niemand alleine fühlt. Nicht immer kann es uns gelingen.“
Muslime haben Respekt vor christlichen Festen
Gemeinsame Feiern wie in der Unterkunft in München sind da ein wichtiger Baustein, auch wenn die eigene Religion eine andere ist. „Unsere Erfahrung mit Muslimen ist, dass sie Respekt vor christlichen Festen haben. Mit der Geburt von Jesus Christus können sie auch etwas anfangen, denn er ist in ihrem Glauben ein Prophet“, berichtet Borngässer. Mit Hilfe von Spenden sorgt die Diakonie auch in ihren Häusern für kleine Geschenke für Kinder. „Darüber hinaus versuchen wir ein wenig Weihnachtsstimmung aufkommen zu lassen. Bei den Feiern erzählen Flüchtlinge mit einem christlichen Hintergrund davon, wie Weihnachten in ihrer Heimat gefeiert wird.“
Und bei den Kindern spielen Herkunft oder Religion ohnehin keine Rolle. Viele von ihnen tragen seelische Wunden, die nach außen nicht sichtbar sind. Da tut es gut, mit anderen zu spielen und Spaß zu haben. „Einfach zusammen sein, was Schönes erleben, die Alltagssorgen vergessen“, darauf komme es an, sagt Boglarka Börcsör von der Fachstelle Ehrenamt der Diakonie in München. Das begeistert auch Einrichtungsleiter Schima: „Wenn man die Kinder lachend durch die Gänge laufen sieht, da schmilzt einem das Herz.“ (dpa/mig) Gesellschaft Leitartikel
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