Nervosität in Amman

Schulze gibt Hilfsgelder für Gaza frei – für Israel

Wenn eine deutsche Entwicklungsministerin reist, gibt es normalerweise weniger diplomatische Fallstricke als bei Besuchen des Kanzlers oder der Außenministerin. Schließlich geht es um Projekte, die dem Gastland nutzen. Doch in Jordanien liegen die Nerven blank.

Von Dienstag, 07.11.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.11.2023, 14:46 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Angesichts der wachsenden Not der Menschen im Gazastreifen nimmt Deutschland seine Entwicklungszusammenarbeit mit dem UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNWRA) wieder auf. Das gab Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstag nach einem Gespräch mit UNWRA-Generalkommissar Philippe Lazzarini in der jordanischen Hauptstadt Amman bekannt. „Israels Kampf gilt ja der Hamas, aber die Palästinenserinnen und Palästinenser sind nicht die Hamas“, erklärte Schulze ihre Entscheidung. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel vor einem Monat waren Gelder für Entwicklungsprojekte vorübergehend blockiert worden.

Lazzarini lobte den Schritt und wiederholte die Forderung der Vereinten Nationen nach einer humanitären Waffenruhe. Die Hilfslieferungen mit wenigen Lastwagen über den ägyptischen Grenzübergang Rafah seien nicht ausreichend. Er sagte: „Wir müssen den Trend der Belagerung umkehren, sonst wird die Belagerung zu einem der Hauptgründe dafür, dass Menschen im Gazastreifen sterben.“

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Mehrere nicht ganz einfache Treffen

Der Termin mit Lazzarini ist nur eines von mehreren nicht ganz einfachen Treffen, die Schulze in Amman absolviert. Am Dienstag spricht sie auch mit Jordaniens Ministerpräsidenten, Bisher al-Khasawneh. Er hat wenige Stunden zuvor die israelische Regierung gegen sich aufgebracht mit der Aussage, Versuche, Palästinenser aus dem Gazastreifen oder dem Westjordanland zu vertreiben, oder Bedingungen, das vorzubereiten, werde das Königreich als „Kriegserklärung“ betrachten. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Petra berichtet, sagte er, die „brutalen Angriffe auf Krankenwagen und humanitäre Hilfskräfte“ im Gazastreifen widersprächen „dem Prinzip der Selbstverteidigung“. Eine gemeinsame Pressekonferenz mit Schulze und Al-Khasawneh gibt es – auf Wunsch der Jordanier – nicht.

Als die Entwicklungsministerin in einer Rede beim Besuch des künftigen Deutsch-Jordanischen Zentrums für Arbeitsmobilität die „Solidarität“ der Jordanier bei der Aufnahme von „Flüchtlingen aus Nachbarstaaten“ lobt, zucken einige der jordanischen Regierungsvertreter zusammen – vielleicht weil sie die Warnung des Regierungschefs vor einer Vertreibung von Palästinensern nach Jordanien noch im Ohr haben. Tatsächlich gibt es in den Nachbarländern die Befürchtung einer großen Fluchtbewegung. In der Türkei machen in sozialen Medien bereits Gerüchte über die Aufnahme Hunderttausender Palästinenser die Runde und rufen überwiegend Empörung hervor.

„Etwas unterschiedliche Einschätzungen“

Schulze sagt, der jordanische Regierungschef habe die Bedeutung der Arbeit von UNWRA und einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und die Palästinenser betont. Da sei man sich einig. In einem anderen Punkt aber nicht, sagt Schulze. Die Bundesregierung sei sich sicher, dass sich Israel an internationales Recht halte. „Die jordanische Regierung sagt, dass das, was an Leid an der Zivilbevölkerung jetzt schon sozusagen sichtbar ist, dass das nicht mehr vereinbar ist mit dem, was das Völkerrecht sagt.“ Schulze fügt hinzu: „Da haben wir aber etwas unterschiedliche Einschätzungen.“

In Jordanien, wo ein Großteil der Bevölkerung palästinensischer Herkunft ist, herrscht große Solidarität mit den unter den israelischen Angriffen leidenden Bewohnern des Gazastreifens. Auf einem Werbeplakat in der Innenstadt von Amman wirbt ein Autohändler damit, für jeden verkauften Neuwagen 5.000 jordanische Dinar für Gaza zu spenden.

Wachsende Not der Menschen im Gazastreifen

Die Bundesregierung hatte ihre Gelder für Entwicklungsprojekte, die Vertriebenen in den Palästinensergebieten sowie palästinensischen Flüchtlingen in den Nachbarländern zugute kommen, nach dem Überfall der Hamas auf Israel vorübergehend gestoppt und – trotz bereits vorher geltender strikter Kriterien – eine eingehende Überprüfung aller Projekte angekündigt. Konkret ging es den Angaben zufolge darum sicherzustellen, dass damit weder eine Verbreitung antisemitischer Denkmuster noch Anhänger der Hamas gefördert werden. Lazzarini sagt, die Namen der UNWRA-Mitarbeiter in den Palästinensergebieten würden regelmäßig Israel als Besatzungsmacht und auch der palästinensischen Autonomiebehörde vorgelegt.

Mit Blick auf die wachsende Not der Menschen im Gazastreifen und die zunehmend instabile Lage in einigen Nachbarländern sei die weitere Unterstützung für UNRWA prioritär geprüft worden, teilt das Entwicklungsministerium mit. Als erstes Teilergebnis sollen jetzt bereits geplante Zusagen in Höhe von 71 Millionen Euro für UNRWA freigegeben und angesichts des gestiegenen Bedarfs zusätzliche 20 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.

„Wollen das Leid lindern“ – für Israel

Schwerpunkte des mit deutschen Entwicklungsgeldern finanzierten UNRWA-Engagements im südlichen Gazastreifen seien die dauerhafte Versorgung der Zivilbevölkerung mit Trinkwasser, sowie Hygiene und Sanitäranlagen in Notunterkünften für innerhalb des Gazastreifens vertriebene Menschen. „Wir sehen das große Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza und wollen es lindern“, betont Schulze. Sie sagte aber auch: Damit Israel in Frieden leben könne, „brauchen auch die Palästinenser eine Perspektive in Sicherheit“. Ob in dieser Aussage auch flüchtlingspolitische Erwägungen aus bundesdeutscher Sicht eine Rolle spielen, ließ die Ministerin nicht durchblicken.

Das Auswärtige Amt, das sich um kurzfristigere humanitäre Hilfe kümmert, hatte am 20. Oktober angekündigt, Deutschland werde seine humanitäre Hilfe für die Menschen in den palästinensischen Gebieten um 50 Millionen Euro aufstocken. (dpa/mig) Aktuell Politik

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