Länger im Existenzminimum
So will die Bundesregierung bei Flüchtlingen Geld sparen
Im Streit um die Aufteilung der Kosten für Flüchtlinge sind sich Bund und Länder einig geworden. Länder und Kommunen sollen entlastet werden, indem der Bund mehr Geld gibt und bei der Versorgung der Schutzsuchenden gespart wird. Ziel: Deutschland soll für Geflüchtete unattraktiv werden. Experte bezweifelt die Wirkung.
Von Corinna Buschow Dienstag, 07.11.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.11.2023, 15:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Kommunen ächzten unter den Kosten für Flüchtlinge, die Länder drangen beim Bund auf Unterstützung – nach vielen Monaten mit Erfolg. In einer erneuten Nachtsitzung sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Ländern mehr Geld für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zu. Zusätzlich will die Bundesregierung nach Angaben vom Dienstag die Sozialleistungen für Flüchtlinge reduzieren. Damit soll zumindest ein Teil des Betrags, der Länder und Kommunen entlasten soll, bei den Betroffenen selbst eingespart werden.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Politik das Asylbewerberleistungsgesetz ändert, weil sie sich dadurch eine Wirkung auf das Migrationsgeschehen erhofft. Diesmal ist geplant, nicht die Höhe, sondern die Bezugsdauer dieses absoluten Existenzminimums zu ändern. Asylbewerber im laufenden Verfahren und Menschen mit einem Duldungsstatus, die also nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden, gleichzeitig aber auch nicht abgeschoben werden können, sollen bis zu 36 Monate die abgesenkten Leistungen erhalten. Sie beziehen bislang nach 18 Monaten Bürgergeld. Ein „mittlerer dreistelliger Millionenbetrag“ solle dadurch pro Jahr eingespart werden, heißt es im Beschlusspapier des jüngsten Bund-Länder-Treffens.
Die abgesenkten Leistungen gelten nur für Geduldete und Schutzsuchende, deren Asylverfahren noch läuft. Ist jemand als Flüchtling anerkannt, steht ihm Bürgergeld zu. Auch da will die Bundesregierung aber kürzen. Bei einer Unterbringung in einer Einrichtung mit Gemeinschaftsverpflegung sollen die Leistungen laut Bund-Länder-Beschluss reduziert werden. Damit würden „Doppelzahlungen etwa für Verpflegung und Strom vermieden“, hieß es aus Regierungskreisen – laut Papier ein weiterer „mittlerer dreistelliger Millionenbetrag“ jährlich.
Medizinische Hilfe nur im Notfall
Die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sind geringer als im Bürgergeld: Derzeit erhalten alleinstehende oder alleinerziehende Asylbewerber 410 Euro pro Monat, bei Unterbringung in einer Sammelunterkunft 369 Euro, Kinder bis sechs Jahre 278 Euro pro Monat. Medizinische Hilfe gibt es nur im Notfall. Wechseln die Betroffenen nun später in die Grundsicherung „kommt es auch bei den Gesundheitsleistungen zu zusätzlichen Einsparungen der Länder und Kommunen im dreistelligen Millionenbereich“, rechnet der Bund-Länder-Beschluss vor. Insgesamt gaben die Länder 2022 nach Daten des Statistischen Bundesamts netto rund 6,2 Milliarden Euro für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus.
„In verfassungsrechtlicher Hinsicht fraglich“ bewertet Pro Asyl die geplanten Kürzung. Sie schließe Geflüchtete von Maßnahmen oder Leistungen aus, die für ihr Leben essenziell seien, kritisierte die Organisation.
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht der Politik Vorgaben gemacht, die eine Grenze bei der Reduzierung der Sozialleistungen für Flüchtlinge setzt. Im Jahr 2012 entschied Karlsruhe, dass Leistungen nicht „evident unzureichend“ sein dürfen. Die Leistungen lagen damals bis zu 40 Prozent unterhalb der regulären Grundsicherung, heute sind es nach Berechnungen des Mediendienstes Integration rund 18 Prozent weniger.
Zur Bezugsdauer sagte das Bundesverfassungsgericht damals nichts. Dennoch reduzierte der Gesetzgeber bei der Reform auch die maximale Bezugsdauer von damals 48 auf 15 Monate. Die große Koalition setzte die Bezugsdauer in der vergangenen Legislaturperiode auf die aktuellen 18 Monate herauf.
Zwei bis drei Jahre abgesenkte Leistungen bereits Regel
Das heißt aber nicht, dass automatisch bei jedem derzeit nach 18 Monaten Schluss mit den abgesenkten Leistungen ist. In den normalen Sozialleistungsbezug wechseln laut Asylbewerberleistungsgesetz nur diejenigen, die „die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben“.
Bereits heute beziehen viele Asylbewerber deutlich länger die abgesenkten Leistungen, wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen. Von den knapp 400.000 Empfängerinnen und Empfängern von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen rund 182.000 die Leistungen bereits seit mehr als zwei Jahren, fast 142.000 sogar seit drei Jahren.
Oltmer: Asylbewerber kommen nicht wegen Geld
Ob das neue Regelwerk dazu führt, dass weniger Asylbewerber nach Deutschland kommen, bezweifelt der Osnabrücker Migrationsforschers Jochen Oltmer. „Migration und Fluchtbewegungen sind viel komplizierter. Mit solchen Einzelmaßnahmen, die auf die Kürzung von Sozialleistungen zielen, kann man keinen echten Effekt erreichen“, sagte er am Dienstag dem „Evangelischen Pressedienst“.
Oltmer wies darauf hin, dass das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 schon mit dem Ziel beschlossen worden sei, die Attraktivität Deutschlands für Schutzsuchende möglichst niedrig zu halten. Eben deshalb seien die Leistungen dieses Gesetzes so knapp bemessen. „Das hat bislang nicht den gewünschten Effekt erzielt. Warum sollte das jetzt plötzlich funktionieren?“, fragte er. Auch mit der Einschränkung des Familiennachzugs sei erfolglos versucht worden, Menschen von der Flucht nach Deutschland abzuhalten. „Die Politik verkennt die Hintergründe der Migrations- und Fluchtbewegungen. Sie verkennt, dass sich Menschen nicht einfach irgendwohin lenken lassen“, sagte Oltmer.
Andere Faktoren seien für die Entscheidung, warum Menschen nach Deutschland flüchten, viel entscheidender, sagte der Historiker am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. Dazu gehörten etwa bestehende migrantische Netzwerke. Geflüchtete gingen also dorthin, wo sie schon Verwandte und Freunde hätten. Auch dass Deutschland ein Rechtsstaat und eine stabile Demokratie mit funktionierender Wirtschaft sei und Asylverfahren nach rechtsstaatlichen Regeln durchführe, mache das Land attraktiv. (epd/mig) Aktuell Politik
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