Schweiz wählt
AfD-Vorbild SVP auf Höhenflug – Aber keine Aufregung
Rechtsaußen auf dem Vormarsch: In der Schweiz dürfte das AfD-Vorbild SVP bei der Wahl am Sonntag zulegen. Warum das längst nicht so aufregt wie der AfD-Höhenflug bei Umfragen in Deutschland? Dabei ist die SVP noch rechter als ihr Pendant in Deutschland.
Von Christiane Oelrich Donnerstag, 19.10.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.11.2023, 11:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Mit einer populistischen Rechtsaußen-Partei kennen die Schweizer sich aus. Während in Deutschland viele in Politik und Presse angesichts von Umfragen mit mehr als 20 Prozent Zustimmung für die AfD Schnappatmung bekommen, bleiben sie entspannt. Das AfD-Vorbild Schweizerische Volkspartei (SVP) ist nämlich schon seit 20 Jahren stärkste Partei. Sie dürfte bei der Parlamentswahl am Sonntag noch etwas zulegen, auf rund 28 Prozent. Brandmauern? Krisensitzungen? Demokratie-Sorgen? Nichts davon. Die SVP regiert mit. Wie funktioniert das?
Das Doppelspiel der SVP
„SVP und AfD sind sich grundsätzlich ähnlich, bei gewissen Themen ist die SVP noch rechter“, sagt Politikwissenschaftler Michael Hermann der Deutschen Presse-Agentur. Er ist Leiter des Instituts Sotomo, das unter anderem Meinungsumfragen durchführt. Die SVP sei aber in der Regierungsverantwortung. „SVP-Politiker gehen im Wahlkampf einerseits komplett auf Attacke mit harten Positionen, aber als Regierungsvertreter führen sie sich anders auf“, sagt Hermann. „Das Doppelspiel ist sehr etabliert und akzeptiert.“
Werkzeug der Rechtspopulisten: Ängste schüren
Die SVP ist ähnlich wie die AfD nationalkonservativ, schürt Ängste vor Ausländern und besonders dem Islam. Sie wettert gegen eine Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland und die Europäische Union. In den 90er Jahren eine Annäherung an die EU verhindert zu haben, zählt sie zu ihren größten Verdiensten. In unsicheren Zeiten mit Kriegen und Konflikten seien konservative Parteien, die Altes bewahren wollen, traditionell stärker, sagen Politologen. Themen wie der Klimawandel, mit dem Grüne oder Sozialdemokraten punkten, träten bei der Entscheidung der Wähler in den Hintergrund.
Der Stil von SVP und AfD sei ähnlich, sagt Historiker Damir Skenderovic von der Universität Freiburg/Fribourg: „Es werden einfache Lösungen für Probleme präsentiert. Sie bedienen sich der klassischen Sündenbock-Strategie: Es gibt Probleme in der Gesellschaft, und wir haben die Gruppe ausgemacht, die daran Schuld ist.“ Und weiter: „Die SVP und die AfD funktionieren wie andere rechtspopulistische Parteien nach dem Schema: wir hier unten gegen die da oben, also eine korrupte Elite; und wir gegen die Anderen, die Fremden, die von außen Kommenden“, sagt Skenderovic.
SVP und ihre lange Geschichte
Der Unterschied: Die AfD wurde als Protestpartei gegen „die da oben“ erst 2013 gegründet. Die Wurzeln der SVP reichen dagegen mehr als 100 Jahre zur Bauernpartei von Zürich zurück. Aus einem Zusammenschluss mit anderen Parteien wurde in den 70er Jahren die SVP. In den 90er Jahren startete Milliardär und Unternehmer Christoph Blocher den Rechtsaußen-Kurs. „Sie musste sich nie als demokratiestützende Partei legitimieren“, sagt Skenderovic. „Es gab nie eine Diskussion darüber, ob man mit dieser Partei zusammenarbeitet oder nicht.“ SVP-Parteivorsitzende Marco Chiesa konnte Fotos im Parlament mit Vertreterinnen einer Neonazigruppe ungestraft mit Unwissen abtun. Eingeladen hatte die Frauen ein Parteikollege.
Wahlkampf mit schwarzem Schaf
Die SVP hat mit ihren Wahlplakaten schon manches Vorbild für andere rechte Parteien in Europa geliefert: Ein schwarzes Schaf, das aus einer Herde weißer Schäfchen gekickt wird, bei einer Initiative zur Ausweisung krimineller Ausländer. Oder eine düstere Person mit Ganzkörperschleier und Minaretten, die wie Raketen aufgestellt sind, bei einer Abstimmung über ein Minarettverbot. Gerade wirbt die Partei auf einem Plakat mit herzigem Alpenpanorama und fröhlicher Familie, Kuh und Schafen und einer dicken Schranke mit einer schwarzen Hand, die Einhalt gebietet für eine Beschränkung der Einwanderung.
AfD-Co-Chefin bei der SVP
Viele Rechte in Europa blicken neidisch auf die SVP. Bei einer der größten Politikveranstaltungen der Schweiz, dem Albisgüetli-Treffen der SVP Zürich, war die AfD-Co-Parteichefin Alice Weidel im Januar 2023 dabei. Dort zog Milliardär und SVP-Patron Christoph Blocher in gewohnter Manier gegen „die illegal Eingewanderten, die Diebstahltouristen, die Krawallbrüder, die Asylsuchenden“ vom Leder.
Die SVP selbst hält Abstand zu anderen rechten Parteien. „Die SVP kommentiert die Arbeit ausländischer Parteien nicht“, schreibt eine Sprecherin im Auftrag von Fraktionspräsident Thomas Aeschi auf die Frage, ob sich konservative deutsche Parteien vielleicht bei der SVP etwas abschauen können. Was machte Weidel beim SVP-Treff in Zürich? „Die Albisgüetli-Tagung steht allen offen“, schrieb sie.
Das System Schweiz: Wahlen ändern Regierung nicht
Dass die Stärke einer rechtspopulistischen Partei in der Schweiz nicht zur Zerreißprobe wird, hat mit dem politischen System zu tun. Seit Jahrzehnten stellen die vier größten Parteien einvernehmlich die siebenköpfige Regierung. Zwei sind von der SVP. Minister bleiben oft zehn und mehr Jahre im Amt, bis sie ihren Rücktritt einreichen.
Parlamentswahlen ändern nur die Fraktionsstärke im Parlament. Auch gelten Wahlen nicht als Gelegenheit, der Regierung mal einen Denkzettel zu verpassen. Denn es gibt vier Volksabstimmungen im Jahr. Dabei kann jeder mit genügend Unterschriften eine Initiative starten. Wenn die Mehrheit bei einer Volksabstimmung zustimmt, kann die Regierung auch so in die Schranken verwiesen werden. Die Beteiligung bei nationalen Wahlen liegt meist unter 50 Prozent. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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