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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während seiner Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (Archiv)

Wahlkampfmodus

Steinmeier ruft Parteien zur Kooperation in Flüchtlingsfrage auf

Wie kann Einwanderung nach Deutschland in geregelte Bahnen gelenkt werden? Dazu gibt es viele Ideen, aber keinen Königsweg. Jetzt schaltet sich der Bundespräsident ein - mit einem Appell an Regierung und Opposition.

Von und Dienstag, 03.10.2023, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.10.2023, 16:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich für eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen in Deutschland ausgesprochen und alle demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit dabei aufgerufen. Derzeit sei die Politik noch im Wahlkampfmodus wegen der Landtagswahlen in Hessen und Bayern, sagte Steinmeier am Montagabend in der ARD. „Ich hoffe sehr, wenn das hinter uns liegt, dass dann wieder ein Klima entsteht, in dem die demokratischen Parteien untereinander zu Verständigungen kommen.“ Sollte die Flüchtlingspolitik ein ewiges Streitthema bleiben, würden andere davon profitieren, warnte Steinmeier – ohne die AfD beim Namen zu nennen.

Die Wahlen in Hessen und Bayern finden am kommenden Sonntag statt. CDU-Chef Friedrich Merz drängt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu Gesprächen über die Migrationspolitik schon am Tag nach der Wahl. Im „Handelsblatt“ beschwerte er sich, dass Scholz bisher nur einmal mit ihm über das Thema gesprochen habe. „Aus dem Kanzleramt kommt zurzeit nur Schweigen.“ Scholz hat sich allerdings grundsätzlich zu Gesprächen mit Merz bereiterklärt.

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Mehrheit wünscht sich Kooperation

Knapp drei Viertel der Bevölkerung (73 Prozent) wünschen sich eine solche Kooperation von Regierung und CDU/CSU, wie das RTL/ntv-“Trendbarometer“ des Forsa-Instituts ergab. Nur 20 Prozent der Befragten halten es für ausreichend, wenn die Koalition aus SPD, Grünen und FDP unter sich zu einer gemeinsamen Linie in der Zuwanderungspolitik findet.

77 Prozent mehr Asylanträge als im Vorjahr

Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Von Januar bis August stellten mehr als 204.000 Menschen erstmals einen Antrag, darunter knapp 16.000 in Deutschland geborene Kinder im Alter von unter einem Jahr. Damit liegen die Zahlen deutlich über den Werten aus dem Vorjahreszeitraum, aber deutlich unterhalb der Zahlen aus den Jahren 2015 und 2016 (477.000 bzw. 746.000).

Scholz hatte sich bereits am Wochenende in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) für eine Begrenzung der Zuwanderung ausgesprochen. „Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland streben, ist im Moment zu hoch“, sagte er und machte sich für wirksame Kontrollen der EU-Außengrenzen stark.

Steinmeier: „Wir brauchen eine Begrenzung der Zugänge“

Ähnlich äußerte sich nun Steinmeier. „Wir brauchen eine Begrenzung der Zugänge, das ist keine Frage“, sagte er. Das sei am Ende aber nur zu erreichen, wenn Deutschland mit den anderen europäischen Mitgliedsstaaten Außengrenzkontrollen mache. Zudem müssten Prüfverfahren an den Außengrenzen abgewickelt werden und Menschen ohne Anspruch auf Asyl von dort aus abgeschoben werden. „Wenn wir diese Regelung hinkriegen, und auf dem Weg sind wir ja Gott sei Dank inzwischen, dann werden sich auch die Ankunftszahlen in Deutschland verringern“, sagte Steinmeier.

Verhandlungen mit sechs Ländern über Migrationsabkommen

Als ein weiteres Schlüsselelement bei der Begrenzung der Flüchtlingszahlen neben Grenzkontrollen und der Einrichtung von Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen sieht die Bundesregierung Migrationsabkommen mit Herkunftsstaaten. Sie sollen einerseits die Rückkehr von Menschen ohne Bleiberecht in Deutschland in ihre Heimatländer ermöglichen, andererseits aber auch die Einwanderung von Fachkräften in den deutschen Arbeitsmarkt regeln. Mit mindestens sechs Staaten wird derzeit über solche Abkommen verhandelt.

Der für den Abschluss der Abkommen eingesetzte Sonderbevollmächtigte Joachim Stamp sei derzeit mit mehreren Ländern in vertraulichen Gesprächen, teilte das Bundesinnenministerium der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit. „Aktuell genannt werden können dabei Georgien, Moldau, Kenia, Kolumbien, Usbekistan und Kirgistan.“

Bisher nur ein Abkommen mit Indien

Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, einen Sonderbevollmächtigten einzusetzen. Stamp nahm am 1. Februar dieses Jahres seine Arbeit auf. Bereits kurz davor – Anfang Dezember 2022 – wurde mit Indien ein erstes „Migrations- und Mobilitätspartnerschaftsabkommen“ unterzeichnet, das seit März in Kraft ist. Es blieb aber bis heute das einzige.

Mit den beiden zentralasiatischen Staaten Usbekistan und Kirgistan gibt es allerdings inzwischen immerhin Absichtserklärungen. Die entsprechende Vereinbarung mit Kirgistan wurde am Freitag während des Zentralasien-Gipfels bei Scholz unterzeichnet. Aus den beiden früheren Sowjetrepubliken kommen aber aktuell nur sehr wenige Asylbewerber nach Deutschland. Aus Kirgistan waren es nach der Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von Januar bis August dieses Jahres 60, aus Usbekistan 100.

Stamp: „Das geht nur sukzessive“

Auch Kenia (272 Anträge), Kolumbien (2037 Anträge) und Moldau (2124) zählen nicht zu den Hauptherkunftsländern. Georgien (7405) rangiert in der Statistik etwas weiter oben.

Stamp hat allerdings von Anfang an klar gemacht, dass er eine Wirkung seiner Arbeit erst mittel- bis langfristig sieht. „Das geht nur sukzessive. Wir können jetzt nicht gleichzeitig 20 Länder bearbeiten“, sagte er vor wenigen Tagen dem „Spiegel“.

Scholz: „Wir machen das jetzt echt“

Der Kanzler zeigte sich am Montag bei einem Bürgergespräch in Hamburg zuversichtlich, dass bald weitere Migrationsabkommen folgen. „Da sind schon viele Töne gespuckt worden, sag‘ ich mal so, aber wir machen das jetzt echt und haben das sehr weit vorangetrieben“, sagte Scholz.

Er wies darauf hin, dass inzwischen ein Muster für die Abkommen entworfen und der Sonderbevollmächtigte eingesetzt wurde. Er selbst spreche das Thema bei seinen Treffen mit anderen Staats- und Regierungschefs immer an. (dpa/mig) Aktuell Politik

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