Brandanschlag in Saarlouis
Prozess-Gutachterin will Jugendstrafrecht für 52-Jährigen
Auf den Tag genau: 32 Jahre nach dem rassistischen und tödlichen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis neigt sich der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter dem Ende zu. Jetzt geht es darum, ob der heute 52-Jährige nach Jugendstrafrecht verurteilt wird.
Dienstag, 19.09.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.09.2023, 15:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Nach Einschätzung der Jugendgerichtshilfe und einer Gutachterin soll der Angeklagte im Prozess um einen tödlichen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim 1991 in Saarlouis nach Jugendrecht bewertet werden. Zerrüttete Familienverhältnisse, Beziehungsbrüche, Zeiten der Arbeitslosigkeit sowie einschlägige Delikte und extremer Alkoholkonsum des Angeklagten sprächen für die Anwendung des Jugendstrafrechts, sagte eine Vertreterin der Jugendgerichtshilfe am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Koblenz. Die forensisch-psychiatrische Gutachterin schloss sich der Einschätzung an.
Der Angeklagte sei bereits 1990 und 1993 wegen anderer Delikte nach Jugendstrafrecht verurteilt worden, sagte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte 20 Jahre alt und damit laut Gesetz ein Heranwachsender. Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Werden Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren nach Jugendstrafrecht verurteilt, sind nur in seltenen Fällen bei Mord mit besonderer Schwere der Schuld bis zu 15 Jahre möglich.
Die Bundesanwaltschaft wirft dem heute 52-jährigen, deutschen Angeklagten vor, den Brand aus rassistischer Gesinnung gelegt zu haben. Der damals 27-jährige Asylbewerber Samuel Yeboah aus dem westafrikanischen Ghana war infolge der Flammen gestorben. Der Angeklagte hatte im Prozess ausgesagt, bei dem Brand dabei gewesen zu sein. Gelegt habe das Feuer aber ein damaliger Bekannter aus der Skinhead-Szene. Der Prozess läuft bereits seit November vergangenen Jahres.
Ausführliche Erörterung der Lebensverhältnisse
Zu Beginn des Verhandlungstages überraschte der Angeklagte mit einer weiteren Einlassung. Er bereue sein Fehlverhalten im Jahre 1991, ließ er über seinen Anwalt vorlesen. Er habe ein Mitglied einer Gruppe sein und dazugehören wollen. Mittlerweile habe er sich aber distanziert und sei Vater. Von Freunden und Familie für ihn gesammeltes Geld in Höhe von 3.000 Euro wolle er den Brandopfern zur Verfügung stellen.
Im Prozess ging es am Dienstag neben der Frage des Jugendrechts vor allem um die damaligen Lebensverhältnisse und den Alkoholkonsum des Mannes. Der Angeklagte habe sein Leben damals ohne Weitsicht auf die Konsequenzen geführt, sagte die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe. Der erste Bruch in seinem Lebenslauf sei geschehen, als er erfahren habe, dass sein Stiefvater nicht sein leiblicher Vater sei. Dieser Vertrauensbruch habe tiefgreifende Veränderungen in der Familie ausgelöst.
Auf den Tag genau 32 Jahre nach dem Brandanschlag
Für klassische psychiatrische Erkrankungen gebe es keine Anhaltspunkte, sagte die forensisch-psychiatrische Gutachterin Sylvia Leupold. „Wohl gibt’s Hinweise auf eine nicht unproblematische Persönlichkeitsentwicklung.“ Das damalige Leben des Angeklagten sei sehr vom Lustprinzip geprägt gewesen. Der Angeklagte habe „überhaupt keine Reflexion“ der Konsequenzen gehabt. Es gebe Hinweise für eine leichte Alkoholkonsumstörung in den damaligen Jahren, sagte Leupold. Zum Tatzeitpunkt sei der Angeklagte alkoholisiert gewesen. Allerdings sei eine gewisse Bewusstseinsklarheit da gewesen.
Auf den Tag genau 32 Jahre nach dem Brandanschlag am 19. September 1991 wurde am Dienstag die Beweisaufnahme des Prozesses geschlossen. Nach 44 Hauptverhandlungstagen steht am kommenden Montag das Plädoyer der Generalbundesanwaltschaft an. Die ersten Ermittlungen vor 32 waren eingestellt worden, weil die Polizei einen rassistischen Hintergrund vorschnell ausgeschlossen hatte. Ein Ausschuss des saarländischen Landtages untersucht seit Juni 2023 den Umgang der saarländischen Behörden mit diesem Brandanschlag sowie mit fünf anderen offensichtlich rassistischen Anschlägen. (dpa/mig) Aktuell Panorama
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