Der Umgang mit der AfD
Rote Linie oder Pragmatismus?
In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden 2024 neue Landtage gewählt. Die AfD rechnet sich dort große Chancen aus, auch wenn der Verfassungsschutz einen wachsenden Einfluss verfassungsfeindlicher Strömungen bei ihr sieht. Der Umgang mit der Partei ist teils unklar.
Von Oliver von Riegen Donnerstag, 03.08.2023, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.08.2023, 14:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der Wahlkampf wird in einigen Ost-Ländern diesmal eine besondere Herausforderung. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden im Herbst kommenden Jahres neue Landtage gewählt. In Umfragen lag die AfD in Thüringen mit bis zu 34 Prozent deutlich vor der Linken und der CDU, in Brandenburg kam sie zuletzt auf bis zu 28 Prozent deutlich vor der SPD. Die Wahl von Robert Sesselmann im Thüringer Kreis Sonneberg zum ersten AfD-Landrat Deutschlands und von Hannes Loth zum hauptamtlichen Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt hat die Debatte über den Umgang mit der Partei neu entflammt. Die Frage stellt sich auch wegen der Kommunalwahlen vor allem in den ostdeutschen Ländern im nächsten Jahr ganz konkret.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sah die jüngste Europawahl-Versammlung der AfD als Beleg für die Einschätzung, „dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt“. Seine Behörde stuft die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. In Thüringen wird die AfD mit ihrem Chef Björn Höcke vom Landesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. In Brandenburg ist der AfD-Landesverband ein rechtsextremistischer Verdachtsfall, die Jugendorganisation Junge Alternative gilt seit 12. Juli als gesichert rechtsextremistische Bestrebung – die AfD hält diese Einstufungen für falsch.
SPD und Grüne strikt gegen Zusammenarbeit, CDU pragmatisch
Die Brandenburger SPD, die seit mehr als 30 Jahren im Land regiert, fordert eine rote Linie gegen die AfD. „Für die SPD gibt es da keine Zusammenarbeit. Weder in der Sache und formal schon rechtlich nicht“, sagte Generalsekretär David Kolesnyk. Es solle keine gemeinsame Mehrheitsbildung betrieben werden oder Mehrheiten, die nur mit der AfD möglich seien, sollten nicht billigend in Kauf genommen werden. Grünen-Landtagsfraktionschefin Petra Budke sagte: „Es darf keine Zusammenarbeit mit der AfD geben – auch nicht auf kommunaler Ebene.“ Das bedeute auch: „Man stimmt AfD-Anträgen nicht zu.“
Brandenburgs CDU-Landeschef Jan Redmann schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD auf allen Ebenen aus. „Extremisten sind keine Partner der CDU“, hatte er kürzlich bei Twitter geschrieben. CDU-Landesvizechef Frank Bommert hält die Zustimmung zu bestimmten AfD-Anträgen in Kommunen allerdings für möglich – etwa wenn es um eine Kita, einen Jugendclub oder einen Fußballverein gehe. Aber: „Wir werden keinen gemeinsamen Antrag ausarbeiten.“
Ramelow: „Moderne faschistische Partei“
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte im Podcast des Nachrichtenportals „The Pioneer“ in der vergangenen Woche mit Blick auf den Sonneberger AfD-Landrat: „Der Mann ist gewählt worden, und der größte Fehler, den man machen kann, der übrigens auch passiert, ist, überall rumzuerzählen, dass man mit ihm nicht zusammenarbeiten kann.“ Sesselmann werde sonst künftig jeden Fehler damit rechtfertigen, dass er von vornherein keine Chance gehabt habe, sagte Kretschmer. Die Mitwirkung im Kreistag oder in der Personalvertretung ermögliche es anderen Parteien und Akteuren, dafür zu sorgen, „dass die Dinge vernünftig laufen“.
In Thüringen zeigt die AfD nach Auffassung des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), „wie sich die AfD zu einer modernen faschistischen Partei wandelt“. Thüringens CDU-Chef Mario Voigt warb mehrfach für einen pragmatischen Umgang mit der Partei. Er betonte dieser Tage im RTL/ntv-“Frühstart“ aber auch: Man könne mit der AfD nicht zusammenarbeiten. „Die sind eine extremistische Truppe, die unsere Institutionen kaputt machen will.“
Extremismusforscher: Man kann mit AfD „keinen Staat machen“
In Brandenburgs Kommunen haben AfD-Politiker bisher kein Spitzenamt, die Partei ist aber in vielen Kreis- und Stadtparlamenten vertreten. Der Extremismusforscher Gideon Botsch hält die AfD in den meisten Brandenburger Kommunen nicht für eine Kraft, mit der man pragmatisch zusammenarbeiten könne. „Man kann mit ihr keinen Staat machen“, sagte der Leiter der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum der Uni Potsdam. „Auf empirischer Grundlage können wir bestätigen, was Kommunalpolitiker demokratischer Parteien berichten: Das Ziel sei eher, die Verwaltungstätigkeit und die politische Selbstverwaltung zu behindern und lahmzulegen.“
Im Brandenburger Landtag ist die AfD seit 2014 vertreten. AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt hält seine Partei dort für ausgegrenzt. „Als stärkste Fraktion wird man die AfD nicht auf Dauer in Quarantäne halten können“, sagte Berndt. Die übrigen Parteien werfen der Partei Populismus und Rechtsextremismus vor.
In Kommunen keine systematische Ausgrenzung mehr
Nach Ansicht von Berndt gibt es „auf kommunaler Ebene die systematische Ausgrenzung der AfD nicht mehr“. Ein Zusammenwirken auf kommunaler Ebene sei nicht auf die CDU beschränkt, sagte er. In Golßen in der Lausitz gebe es mit der Unabhängigen Bürgerliste eine gute Zusammenarbeit, in Forst (Lausitz) gingen AfD, Freie Bürger und Unabhängige Linke zusammen, argumentierte Berndt.
Es gibt noch andere Beispiele. In Forst hatten die Stadtfraktionen der Linken und der AfD 2020 einem Antrag der Fraktion „Gemeinsam für Forst“ zugestimmt, der einen Neubau für einen Jugendclub vorsah. In Bestensee bei Königs Wusterhausen sorgte ein gemeinsamer Antrag von AfD, CDU und den Unabhängigen Bürgern zur Ansiedlung einer Montessori-Grundschule im selben Jahr für Aufregung. (dpa/mig) Aktuell Politik
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